Humor in der Lyrik – Folge 48: Theodor Storm (1817 – 1888) „O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren!“

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Eigentlich gilt dieser Dichter als recht wenig humorvoll und heiter. Auch die Menschen in seinen Novellen sind oft grüblerisch und ziehen sich gern in die Einsamkeit zurück, wo sie sich vergangener Zeit erinnern.

Theodor Storm, Sohn eines Advokaten, wird in Husum geboren. Die Erzähllust ist ein Erbe des Vaters, von seiner Mutter und Großmutter kommt der Hang, sich gern an die Vergangenheit zu erinnern. Schon als 15-jähriger Schüler verfasst er seine ersten Gedichte und führt Puppentheaterstücke in der elterlichen Wohnstube auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Lübeck studiert er in Kiel Rechtswissenschaften. Danach wirkt er als Rechtsanwalt in Husum. 1848 gehen die Schleswig-Holsteiner gegen die dänische Herrschaft auf die Barrikaden. Storm stellt sich auf ihre Seite und tritt für die nationale Unabhängigkeitsbewegung in Schleswig-Holstein ein. 1852 wird er samt seiner Familie dafür von der dänischen Regierung des Landes verwiesen, worauf er sich in Preußen nach einer neuen Stelle umsieht. Von 1853 bis 1856 arbeitet er in Berlin und danach bis 1864 in Heiligenstadt auf dem Eichsfeld als Richter. 1855 begegnet er in Süddeutschland seinem Dichterkollegen Mörike, den er sehr bewundert.

Verliebt ist Storm des Öfteren, so mit 19 Jahren unsterblich in die damals erst zehnjährige Bertha von Buchan. Ein Jahr später, 1837, verlobt er sich mit Emma Kühl, die sich aber schon ein Jahr später von ihm zurückzieht. 1842 macht er seiner inzwischen 16 Jahre alten Jugendliebe Bertha einen Heiratsantrag, den diese jedoch abweist. Verheiratet ist Storm zweimal, zuerst 1846 mit seiner Cousine Constanze Esmarch, die ihm sieben Kinder schenkt. Als sie 1865 bei der Geburt des 7. Kindes stirbt, ist er tief deprimiert. „Wenn wir uns recht besinnen“, klagt er, „so lebt doch die Menschenkreatur, jede für sich, in fürchterlicher Einsamkeit, ein verlorener Punkt in dem unvermessenen und unverstandenen Raum.“ Trost erfährt er bei seiner Jugendliebe Dorothea Jensen, die 1866 seine zweite Frau wird und eine gemeinsame Tochter zur Welt bringt.

Als 1864 die Dänen besiegt sind, kehrt Storm in seine Heimatstadt Husum zurück und erhält dort die Stelle eines Landvogts, die er 16 Jahre lang innehat. Im Mai 1880 tritt er in den Ruhestand und verlässt Husum. Er zieht nach Hademarschen, wo ein jüngerer Bruder lebt, und bewohnt eine Villa, in der etliche seiner Altersnovellen entstehen, darunter auch die berühmte Novelle „Der Schimmelreiter“. Ein Leben lang schreibt Storm gegen die eigene Schwermut an. 1888 erkrankt er an Magenkrebs, an dem er am 4. Juli 1888 im Alter von 71 Jahren stirbt. Begraben wird er auf dem Friedhof St. Jürgen in Husum.

Mehr als ein halbes Hundert gefühls- und stimmungsbetonte Novellen verfasst der Dichter in seinem Leben. Kennzeichnend darin ist die Liebe für Heide, Moor, Wald, Meer und Nacht. Aber wo bleibt in Storms Werk nun der Humor? In seinen Novellen „Beim Vetter Christian“ und „Die Söhne des Senators“ blitzt durchaus subtiler Humor auf und nicht nur dort.

Theodor Storm
Theodor Storm Abb. aus „Gartenlaube 1887“, nach einer Photographie von Karl Andersen

Humorvoll ist ebenso Storms bekanntes Kinderbuch „Der kleine Häwelmann“, das er 1849 für seinen Sohn Hans schreibt. Der „kleine Häwelmann“, ein vorlauter Lausbub, will nicht schlafen, sondern fortwährend in seinem Rollenbettchen hin- und hergefahren werden. Als die Mutter dabei einschläft, baut sich das noch putzmuntere Bürschchen aus seinem Nachthemd ein Segel und entkommt auf einem Lichtstrahl des Mondes ins Freie. Er segelt durch die Straßen der Stadt, den Wald und immer weiter, schließlich bis ans Ende der Welt und in den Himmel hinauf. Dort fährt er dem Mond frech über die Nase. Das ärgert den so sehr, dass er sein Licht löscht. Nun fühlt sich der kleine Häwelmann einsam. Er fährt herum, bis die Sonne aufgeht. Doch die duldet niemand anderen am Himmel und schubst ihn ins Meer, so dass er schwimmen muss. Zum Glück war alles nur ein Traum.

Doch Storm fühlt sich weniger als Geschichtenerzähler, vielmehr als Lyriker: „Meine Novellistik“, so äußerte er einmal, „hat sich aus der Lyrik entwickelt.“ Und in der Tat ist er zusammen mit C.F. Meyer und Droste Hülshoff eine der stärksten lyrischen Begabungen des poetischen Realismus. Obwohl der Umfang seiner Gedichte im Vergleich zu den Novellen gering ist und lediglich ein kleines Bändchen füllt, so betonte Storm mehrfach: „Ich weiß, ich bin der größte lebende Lyriker“, so sehr ist er von seiner lyrischen Begabung überzeugt. Seine Gedichte kreisen um die Bereiche Natur, Liebe und Lebensfragen. Während viele dieser Texte eine eher melancholische Grundstimmung auszeichnet, so gibt es von ihm doch auch einige humorvolle Gedichte, wie etwa das folgende „Inserat“ oder das Scherzgedicht über „Die Flöhe und Läuse“ und das Spottgedicht über „Beamte“.

 

August

Die verehrlichen Jungen, welche heuer
Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,
Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen
Womöglich in so weit sich zu beschränken,
Dass sie daneben auf den Beeten
Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

 

Die Flöhe und die Läuse

Die Flöhe und die Läuse.
die hatten sich beim Schopf
Und kämpften gar gewaltig
Auf eines Buben Kopf.
Das nahm der Bube übel
Und haschte Floh und Laus
Und macht´ mit seinem Nagel
Den Kämpfern den Garaus.

Ich und mein Lieb, wir kosten
Auf meines Nachbars Land –
Hätt bald der grobe Schlingel
Uns beide untergerannt.

 

Der Beamte

Er reibt sich die Hände: „Wir kriegen’s jetzt!
Auch der frechste Bursche spüret
Schon bis hinab in die Fingerspitz’,
Dass von oben er wird regieret.

Bei jeder Geburt ist künftig sofort
Der Antrag zu formulieren,
Dass die hohe Behörde dem lieben Kind
Gestatte zu existieren!“

 

Besonders besticht das folgende balladeske Scherzgedicht „Von Katzen“ durch seine Ironie. Auch Eduard Mörike war davon begeistert. Er schreibt am 26. Mai 1853 an den Verfasser: „Das von den Katzen wusste ich bald auswendig und habe Manchen schon damit ergötzt. Von Wem ist das? frug ich unlängst einen Freund. Nu, sagte er lächelnd, als wenn es sich von selbst verstünde – von dir!“ Storm freut Mörikes Lob, der damals schon ein berühmter Dichter ist, und antwortet ihm am 12. Juli: „Wenn Ihnen die Katzen zugeschrieben werden und Sie dieß nicht ganz ohne Behagen erfahren, so wollen Sie nicht vergessen, daß Eduard Mörike ganz besonders zu den Dichtern gehört, die auf die Ausbildung meines kleinen Talentes von Einfluß gewesen sind.“

 

Von Katzen

Vergangnen Maitag brachte meine Katze
Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen.
Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen!
Die Köchin aber – Köchinnen sind grausam,
Und Menschlichkeit wächst nicht in einer Küche –
Die wollte von den sechsen fünf ertränken,
Fünf weiße, schwarzgeschwänzte Maienkätzchen
Ermorden wollte dies verruchte Weib.
Ich half ihr heim! – Der Himmel segne
Mir meine Menschlichkeit! Die lieben Kätzchen,
Sie wuchsen auf und schritten binnen kurzem
Erhobnen Schwanzes über Hof und Herd;
Ja, wie die Köchin auch ingrimmig dreinsah,
Sie wuchsen auf, und nachts vor ihrem Fenster
Probierten sie die allerliebsten Stimmchen.
Ich aber, wie ich sie so wachsen sahe,
Ich pries mich selbst und meine Menschlichkeit. –
Ein Jahr ist um, und Katzen sind die Kätzchen,
Und Maitag ist’s! Wie soll ich es beschreiben,
Das Schauspiel, das sich jetzt vor mir entfaltet!
Mein ganzes Haus, vom Keller bis zum Giebel,
Ein jeder Winkel ist ein Wochenbettchen!
Hier liegt das eine, dort das andre Kätzchen.
In Schränken, Körben, unter Tisch und Treppen,
Die Alte gar – nein, es ist unaussprechlich,
Liegt in der Köchin jungfräulichem Bette!
Und jede, jede von den sieben Katzen
Hat sieben, denkt euch! sieben junge Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen!
Die Köchin rast, ich kann der blinden Wut
Nicht Schranken setzen dieses Frauenzimmers;
Ersäufen will sie alle neunundvierzig!
Mir selber! ach, mir läuft der Kopf davon –
O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren!
Was fang ich an mit sechsundfünfzig Katzen! –

Ein weiteres Gedicht Theodor Strom, das zu seinen humorvollen Werken zählt ist das Gedicht:

 

Engel-Ehe

Wie Flederwisch und Bürste sie regiert!
Glas und Gerät, es blitzt nur alles so
Und lacht und lebt! Nur, ach, sie selber nicht.
Ihr schmuck Gesicht, dem Manne ihrer Wahl,
Wenn ihre wirtschaftliche Bahn er kreuzt,
Gleich einer Maske hält sie’s ihm entgegen;
Und fragt er gar, so wirft sie ihm das Wort
Als wie dem Hunde einen Knochen zu.

Denn er ist schuld an allem, was sie plagt,
Am Trotz der Mägde, an den großen Wäschen,
Am Tagesmühsal und der Nächte Wachen,
Schuld an dem schmutz’gen Pudel und den Kindern. –
Und er? – Er weiß, wenn kaum der grimme Tod
Sein unverkennbar Mal ihm aufgeprägt,
Dann wird, der doch in jedem Weibe schläft,
Der Engel auch in seinem Weib erwachen;

Ihr eigen Weh bezwingend, wird sie dann,
Was aus der Jugend Süßes ihr verblieb,
Heraufbeschwören; leuchten wird es ihm
Aus ihren Augen, lind wie Sommeratem
Wird dann ihr Wort zu seinem Herzen gehn. –
Doch wähnet nicht, daß dies ihn tröste! Nein,
Den künft’gen Engel, greulich haßt er ihn;
Er magert ab, er schlottert im Gebein,
Er wird daran ersticken jedenfalls.

Doch eh ihm ganz die Kehle zugeschnürt,
Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;
Die Rede, die er brütend ausstudiert,
Womit vor seinem letzten Atemzug,
Jedwedes Wort wie Schwert, auf einen Schlag
Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,
Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln
Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.

Das alles weiß er, und es macht ihn toll;
Er geht umher und fluchet innerlich.
Ja, manches Mal im hellsten Sonnenschein
Durchfährt es ihn, als stürz er in das Grab.
Es war sein Weib, sie sprach ein sanftes Wort;
Und zitternd blickt er auf: „Oh, Gott sei Dank,
Noch nicht, noch nicht das Engelsangesicht!“

 

Der Literaturhistoriker Alfred Biese (1856-1830) erblickt in diesem Storm-Gedicht zu Recht Witz und Humor, wenn er schreibt: „In `Engel-Ehe´ ist der Humor nicht so durchsichtig, ja, Heyse fand das Gedicht trotz wiederholten Lesens endgültig unverständlich, während es Storm selbst `sehr innig´ nennt. Eine Novelle Karl Spindlers gab den Titel und den Grundgedanken; der Engel wird in dem teuflischsten Weibe, für das der Mann an allem Ungemach und Ärger schuld ist, erwachen, wenn es sicher ist, daß des Friedensstörers letzte Stunde geschlagen hat. Daher bangt ihm vor jenem ersten holden Worte aus ihrem Munde; wohl hat er eine scharfe Schlußrede sich schon einstudiert, aber er weiß, bezwungen dann von ihrem Himmelsglorienschein, wird er nur – Segen stammeln! – In dem Kontrast, daß hier das Süße und Liebevolle aus Weibermund zu einem Memento mori wird und daß doch alles angehäufte Böse von Grimm und Groll in Liebe untergehen dürfte, liegt die Seele des launig-witzigen und bissigen und doch wieder innigen Gedichtes; denn mag die gute Frau Do, die an Ordnung und Reinlichkeit, an Schrubben und Scheuern ihre Hausfrauenfreude hatte, auch den Perpendikelstoß gegeben haben, ein Hausdrache war sie nicht, sondern allezeit ein Schutzengel des geliebten Mannes.“

1830 urteilt Thomas Mann über Theodor Storm: „Er ist ein Meister, er bleibt.“ Während uns etliche Autoren des 19. Jahrhunderts schon fremd geworden sind, sind Storms Werke – nicht nur seine Novellen, sondern auch seine Gedichte – immer noch aktuell. Denn auch 200 Jahre nach seiner Geburt betreffen seine Texte weiterhin uns.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

 

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