Humor in der Lyrik – Folge 53: Karl May (1842 – 1912) – Vom Knastbruder zum Bestsellerautor

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Es ist nicht nur Karl Mays wohl bekannteste Figur mit dem langen zungenbrecherischem Namen „Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah“, die verrät, das May Humor besaß. In seinem Kolportageroman „Der Weg zum Glück“, der von Juli 1886 bis August 1888 in 108 Lieferungen erschien und insgesamt 2616 Seiten umfasst, erzählt der bekannte Abenteuerschriftsteller „höchst interessante Begebenheiten aus dem Leben und Wirken des Königs Ludwig II. von Baiern“, wie der Untertitel verspricht. Die Helden des Romans sind der Wurzelsepp, ein schrulliges bayerisches Original, und der bayerische Märchenkönig Ludwig II. Beide sorgen sich um das Glück gleich mehrerer Personen, so um Wurzelsepps Patenkind, die arme Sennerin Magdalena, die vom Wilderer Krickelanton sitzengelassen wurde. Weitere Figuren sind der Fex, die Murenleni, der Fingerlfranz und der Jäger-Naz. Ausführlich wird der Kampf gegen die Machenschaften der beiden Bösewichte Peitschenmüller und Silberbauer geschildert, die in der Walachei eine Fürstin ermordet und deren Kind entführt haben. Die Geschichte endet mit dem Mord am bayerischen König, worauf der treue Wurzelsepp an gebrochenem Herzen stirbt.

Das unfreiwillig Komische an dieser ohnehin komischen Geschichte ist aber Karl Mays Bemühung, bayerischen Dialekt in die Dialoge einzubauen. „O, das thut nix. Wannst nur erst einmal aufi bist, nachhero werd ich schon dafür sorgen, daßt nicht wiederum zu schnell abi kommst.“ Dieser selbst gebastelte, fehlerhafte Dialekt hat mit bayerischer Mundart ebenso wenig zu tun wie das angeblich bayerische Lokalkolorit. Aber Karl May hat „keine Angsten“, und Humor beweist er damit allemal. Kein Wunder, dass sein Werk auch Anregung für die 2001 entstandene saukomische Karl May-Film-Parodie „Der Schuh des Manitu“ war.

Grotesk war auch Karl Mays Leben. Kurz nach der Geburt verliert er sein Augenlicht, das er nach vierjähriger ärztlicher Behandlung wiedergewinnt. Vom Lehrerseminar in Waldenburg reißt er aus, weil er beschuldigt wird, einem Kameraden die Uhr gestohlen zu haben. Nun schlägt er sich mit Gaunereien durch und gerät auf die schiefe Bahn. Sein Sündenregister: Er gibt sich als Doktor, Advokat, Polizeileutnant, Geheimpolizist aus, angeblich auf Suche nach Geldfälschern, und konfisziert bei reichen Bürgen deren Geld als angebliches Falschgeld. Steckbrieflich gesucht, verkriecht er sich in eine Waldhöhle, bevor er erneut umhergaunert, einem Wirt das Pferd entwendet und an eine Roßmetzgerei verscherbelt, zudem einem Bäcker Geld stiehlt. Als er gefasst wird, erklärt er vor Gericht sein Verhalten so:

„Ich habe unausgesetzt den inneren Befehl vernommen, an der menschlichen Gesellschaft Rache zu nehmen, und zwar dadurch Rache, daß ich mich an ihren Gesetzen verging“ Mildernde Umstände bringt ihm das nicht ein und so wird er wegen Diebstahls, Betrugs, Fälschung, Amtsanmaßung und Landstreicherei zu vier Jahren Zuchthaus verdonnert. Hinter schwedischen Gardinen setzt dann die wunderbare Verwandlung ein. Er beginnt Fortsetzungsromane zu schreiben, mit denen er Erfolg hat. Sein Motto: „Schreiben wir nicht wie die Langweiligen, die man nicht liest, sondern schreiben wir wie die Schriftsteller, die es verstehen, Hunderttausende und Millionen Abonnenten zu bekommen!“ Er erfindet Helden wie Winnetou und dessen Blutsbruder Old Shatterhand.

Bald erzielen die Bücher des ehemaligen Knastbruders eine weltweite Gesamtauflage von 200 Millionen Exemplaren und machen ihn zu einem der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und zum reichen Mann. Das Schwindeln kann er aber doch nicht ganz lassen. So behauptet er, Doktor einer amerikanischen Elite-Universität zu sein und versichert: „Ich habe jene Länder [über die ich schreibe] wirklich besucht und spreche deren Sprachen.“ Aber auch hier ging mit ihm wieder einmal die Phantasie durch oder vielleicht war es nur sein kurioser Humor, der sich auch in einigen seiner Gedichte wiederfindet, wie etwa in der von ihm verfassten „Ode an das Schwein“, die er sogar in zwei Fassungen stotterte:

 

Ich kekenne ein wuwunderliliebliches Thithier
Dem scheschenk ich alle A a a achtung;
Es lelebt bei jejedem Babauer hihier
und a auch auf jejeder Papapapachtung.
Es kokommt aus dedem Bakonyerwawald
Und lelebt von dem was es frifrifrifißt.
Es schmememeckt wawarm, es schmememeckt kakalt,
Wewenn es gebraraten i i i ist.

Drum Heiheil und Heheil und dreifach Heheil
Dem Schwewein seseinem Hihintertheil!

Die Boborsten, die an der Schwawarte sisind,
Die brabraucht der Bübürstenbibibibinder
Und wwie es weweiß fafast jedes Kikind,
Der Schuschuster auch nicht mimimiminder
Der Rüssel wiwird beim lulustigen Schmamaus
Mit e e e einer Citrone verziert
Und mimit dem Nabel in manchem Hahahaus
Die Stitititifel und Schuhe geschmiert.

Drum Heiheil und Heheil und dreifach Heheil
Dem Schwewein seseinem Hihintertheil!

Aus Leder da wurden zu Adams Zeit
Die Fofolianten gebunden.
Und später hat Moses gagaganz gescheidt
Die Cocoteletten erfunden,
Und Würste, die hat man gesesesesehn
Wie man Sohorten nur nennt,
So lange schon, daß man dededededen
Erfinder nicht mehr kennt.

Drum Heiheil und Heheil und dreifach Heheil
Dem Schwewein seseinem Hihintertheil!

Sogar der Teteufel, der hälts mit dem Speck:
Er ist vor zweittatausend Jahren
Damals bei den Gigirgesarenern vor Schreck
In ihre Sasäue gefahren.
Und was nun mich seseselber betrifft
Und meine Papapartie,
So sterb ich am Liebsten am Schinkengigift
und sage darum fini.

 

Aber darf man Karl May deshalb auch schon als Lyriker bezeichnen? Sein Gedichtband „Himmelsgedanken“ wurde von der Kritik jedenfalls böse verrissen. In der Kölnischen Volkszeitung wollte sich Hermann Cardauns „Herrn May als lyrischen Dichter verbitten“. Arno Schmidt nannte die „Himmelsgedanken“ kopfschüttelnd „so konfirmandenmäßig ausgefallen […], daß man sich entweder furchtbar entrüsten, oder aber ebenso lachen muß“. Auch Hans Wollschläger beurteilte Mays Gedichte als eine „ziemlich leer laufende Reim-Maschinerie, die besser aus dem Verkehr geblieben wäre“.
Doch in heutiger Zeit beurteilt man einige May-Gedichte dann doch etwas freundlicher, auch wenn seine Lyrik weiterhin auch nur als Nebenzweig seiner literarischen Produktion gilt. In einigen wenigen May-Gedichten blitzt dann aber doch so etwas wie Humor auf, so etwa in seinen lyrischen Reflexionen über:

 

Das Ich

„Ich bins!“
Jawohl, du bists, mein Ich;
Gestatte mir, dich zu erkennen!
Du rühmst und lobst und brüstest dich,
Stets fertig, dich mein Ich zu nennen.
Doch, seh ich dich mir in dem Licht
Der Wirklichkeit genauer an,
So bist du es und doch auch nicht.
Du weißt, was ich nicht sagen kann!

„Ich wills!“
Jawohl, du willsts, mein Ich;
Gestatte mir nur, dich zu kennen!
Du rühmst und lobst und brüstest dich,
Stets fertig, dich mein Ich zu nennen,
Du hast schon viel, schon viel gewollt,
Doch, sah ich mirs genauer an.
So war es nie, was ich gesollt.
Du weißt, was ich nicht sagen kann!

„Ich kanns!“
Jawohl, du kannsts, mein Ich;
Gestatte mir nur, dich zu kennen!
Du rühmst und lobst und brüstest dich,
Stets fertig, dich mein Ich zu nennen.
Du hast schon viel, schon viel gekonnt,
Doch, sah ich mirs genauer an,
So hast du dich in mir gesonnt.
Du weißt, was ich nicht sagen kann!

“Ich schweig!”
Jawohl, mein liebes Ich;
Gestatte mir, dies klug zu nennen!
Du bist nur Staub, nur Staub für mich,
Und von dem Staub muß ich mich trennen.
Denn, seh ich dich mir in dem Licht
Der Ewigkeit genauer an,
So brauche ich dich einstens nicht.
Das ists, was ich dir sagen kann!

 

Und als Sachse konnte Karl May natürlich auch nicht umhin, der „Sächsischen Sprache“ eine kleine Lobeshymne zu widmen:

 

Die sächsische Sprache die scheenste ist
Von der Elbe bis zum Ganges;
Sie hat so was Italienisches
Hinsichtlich des Gesanges.
Wie scheen ist doch: ja, ja, nee, nee!
Und gar nur erscht: Nu äben!
Wie scheen is ooch: Herrjemerschnee!
Es gann nischt Scheeners gäben?

 

Was er von Jesuiten hielt verdeutlichte er ganz unverblümt in dem gleichnamigen Spottgedicht:

 

Der Jesuit

Es schleicht ein Fuchs aus seinem Bau
Um Beute sich zu holen.
Weil er das Licht zu scheuen hat
Treibt er sein Werk verstohlen.
Ein gleißender Pelz, doch ein Herz voller Gier,
So windet er lechzend sich durch das Revier
Und wo eine Seele vertrauensvoll ruht
Da stürzt er sich auf sie und fordert ihr Blut.
O flieht diesen Fuchs und weicht ihm aus
Und fürchtet sein´ leisen Schritt
Er ist Dein allerschlimmster Feind
Und führt den Namen Jesuit.

Es huscht ein Marder auf den Ast
Und duckt sich ins Gezweige
Und lauert, ob die Beute kommt,
Die er im Sprung erreiche.
Es glüht in den Augen ein blutiger Schein,
Es zucken die Krallen und biegen sich ein;
Es schnellt sich hinab – ein tödtlicher Schrei
Die That ist geschehn – ein Leben vorbei.
O flieht diesen Marder, weicht ihm aus
Und fürchtet seinen leisen Schritt
Er ist Dein allerschlimmster Feind
Und führt den Namen Jesuit.

Es hat ihr feines Netz gebaut
Die Spinne in der Ecke
Und eine Höhle angeklebt,
In der sie sich verstecke.
Wohl scheinet das seidne Gewebe so zart
Als sei es vollkommen unschädlicher Art
Doch wehe – es zittert – ein Fang ist geschehn,
Verloren die Fliege, eh sie sichs versehn.
O flieht diese Spinne, weicht ihr aus,
Wo Euch ihr Netz entgegen tritt:
Sie ist Dein allerschlimmster Feind
Und führt den Namen Jesuit.

Es kommt mit freundlichem Gesicht
Ein Mensch in Deine Nähe,
Von dem du meinst, daß all sein Thun
Zu deinem Wohl geschehe.
Er duftet von Weihrauch, er streichelt so mild,
Es träuft ihm von biblischen Sprüchen der Mund
Doch hinter der Maske knurrt heimlich der Hund.
Flieh diesen Schurken, weich ihm aus,
Der Dich umgarnt auf Schritt und Tritt,
Er ist Dein allerschlimmster Feind
Und führt den Namen Jesuit.

 

In manchen seiner Poeme gerierte sich Karl May auch gerne als Philosoph, der seinen Lesern Ratschläge gab und ihnen beispielsweise empfahl:

 

Sei weise!

Geh nicht zu Denen, welche von sich reden;
Sie kennen nur das eigne, liebe Ich.
Ein feines Ohr vermeidet die Trompeten;
Der Weise hält am liebsten sich für sich.

Geh nicht zu Denen, welche von sich schweigen;
Auch sie verehren nur ihr liebes Ich.
Sie wollen sich als große Schweiger zeigen;
Der Weise hält am liebsten sich für sich.

Und mußt du doch als Mensch zu Menschen gehen,
So sprich und schweig, doch Beides nicht für dich.
Das Sprechen sei für die, die dich verstehen,
Das Schweigen für der Andern liebes Ich.

 

 

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

 

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