Im babylonischen Süden der Lyrik – Folge 47: »POESÍA MEXICANA – MEXIKANISCHE POESIE: ELSA CROSS«

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 

¡Enhorabuena, Elsa Cross!

Kürzlich, mitten im Juno, wurde die mexikanische Dichterin, Übersetzerin und Essayistin Elsa Cross mit dem renommierten Premio Iberoamericano Ramón López Velarde 2019 im zentralmexikanischen Zacatecas ausgezeichnet. Noch einen Monat vorher stellte die Berliner Zeitschrift für Literatur PARK, herausgegeben vom Berliner Lyriker, Literaturwissenschaftler und Celan-Jahrbuch-Editor Michael Speier, in ihrer aktuellen Ausgabe 71 fünf mexikanische Dichterinnen vor: Coral Bracho, Tedi López Mills, Maricela Guerrero, Beatriz Saavedra Gastélum und eben Elsa Cross  ̶  siehe zu mehr mexikanischer Poesie auch »Im bayblonischen Süden der Lyrik« Folge 35.

 

Die mexikanische Lyrikerin Elsa Cross
Die mexikanische Lyrikerin Elsa Cross (Foto: La Otra Revista, Méxiko D.F.)

«Cross es una de las voces más personales de la última poesía latinoamericana. Su obra, ya considerable, reúne algunos de los poemas más perfectos entre los escritos por las últimas generaciones mexicanas. Digo voz y no escritura poética porque la poesía, aunque se escriba, sobre todo se dice. Dos notas opuestas se conjugan armoniosamente en Elsa Cross: la complejidad del pensamiento y la diafanidad de dicción.»

Octavio Paz

»Cross ist eine der persönlichsten Stimmen der neuesten lateinamerikanischen Poesie. Ihr Werk, schon beachtlich, versammelt einige der vollkommensten der geschriebenen Gedichte der neuesten mexikanischen Generationen. Ich sage Stimme und nicht poetisches Schreiben, weil die Poesie, obwohl geschrieben, vor allem gesagt wird. Zwei gegensätzliche Töne werden bei Elsa Cross harmonisch in Einklang gebracht: die Komplexität des Gedankens und die Diaphanität des Ausdrucks.«

Octavio Paz

 

Zur Feier der Poesie von Elsa Cross, die ein vielschichtiges, wechselseitiges Bündnis zwischen den inneren und äußeren Räumen eingeht, folgt eins ihrer Gedichte.

 

Elsa Cross

Ditirambos (6)

Vestido del abismo
desprendes de tu paso
al ser nombrado
tu brillo más oscuro.
Ebrio,
más que ese fondo,
Terso,
más que la noche en que me envuelves.
Oh Tenebroso,
Oh Tremendo,
allí te escondes.
Cuando despiertas nada queda.

Y yo estoy entre mi sueño
y tu despertar.
Voy de mi aliento a tu párpado,
estoy en juego
–   como las cosas otras
que aniquilas
cuando abres los ojos.

 

Elsa Cross

Dithyramben (6)

Vom Abgrund gekleidet
löst du von deinen Schritten
beim Genanntwerden
deinen dunkelsten Glanz.
Trunkener noch
als der Grund
Makelloser noch
als die Nacht, in die du mich einhüllst.
O Düster,
o Schrecken,
dort verbirgst du dich.
Wenn du erwachst, bleibt nichts.

Und ich finde mich zwischen meinem Traum
und deinem Erwachen.
Ich bewege mich von meinem Atem zu deinem Lid,
ich stehe auf dem Spiel
–   ganz wie die übrigen Dinge,
die du auslöschst,
wenn du die Augen öffnest.

 

Übersetzt von Emma Julieta Barreiro und Michael Speier

 

Die aktuelle Ausgabe »Heft 71« der Zeitschrift für neue Literatur PARK mit dem zweisprachigen Dossier »Fünf Dichterinnen aus Mexiko« ist in jeder guten Buchhandlung (ISSN 0944-917) erhältlich oder per E-Mail park53@aol.com bestellbar.

 

 

Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt. Foto: privat

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018). Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

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