Lockdown-Lyrik 134: »Frankfurt im Mai 2020« von Katharina Körting

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Katharina Körting

Frankfurt im Mai 2020

Die Oder fließt im Stillen. Drüben sitzen
mit blanker Brust zwei Angler. Sie vergessen

(auf ihren Köpfen weiße Mützen, denn
die Sonne brennt) die kalte Seuche weltwärts.

Vor Sankt Marien trifft man, geritzt auf Steinen,
die Frankfurter, die von Bedeutung waren.

Im Kleist-Museum bin ich ganz allein.
Das Tuch vorm Mund darf ich beiseitelegen.

Buchstaben hinter Glas lehren den Blankvers
und dass Identitäten brüchig sind.

Geschulte Stimmen lesen feine Sätze,
wo neben Büchern Marionetten tanzen.

Ich nehme ihre Widersprüche mit
ans Ufer, an das grenzenlose Fließen.

 

© Katharina Körting, Berlin

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.

Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

2 Kommentare

  1. Am 6. März war ich in Frankfurt/Oder und habe das Kleist-Museum besucht: letzte Kurzreise vor den Beschränkungen (die allerhöchstens zu ahnen waren), letzter Museumsaufenthalt vor den Schließungen (die zehn Tage später Wirklichkeit wurden). In Odernähe erreichte mich eine SMS des polnischen Gesundheitsministeriums: “Alert RCB […] Coronavirus threat”, man möge sich auf der angezeigten englischsprachigen Website informieren. Kleist von vor 200 Jahren: only the good die young. Blankvers und Zeilenbruch und beredte Vitrinen, und draußen hinter dem Garten fließt wie immer der Fluss. Danke für Ihr schönes Gedicht.

  2. Danke Ihnen für das (Mit)Teilen Ihrer Eindrücke und für den freundlichen Kommentar – ich freue mich, dass meine Zeilen “ankamen” :-)

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