Lockdown-Lyrik 150: »Corona-Ballade« von Fritz Deppert

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Fritz Deppert

Corona-Ballade

Carne vale weltweit und
von Brescia bis Heinsberg.
Die Besitz- und Maskenlosen
in Brasilien zum Beispiel
liegen ohne letzte Ölung und
ohne einmeterfünfzig Abstand
in Massengräbern. Der Mob
sieht es und leugnet es;
wohlsituierte Süppchenkocher
fordern Arme und Dumme auf
zu demonstrieren – je mehr
von ihnen krepieren, desto
schneller steigen die Kurse wieder.
Wenn die Sargvorräte nicht reichen,
wickelt man sie in die Pappen, auf
die sie ihre Sprüche geschrieben
haben. Wer überlebt, in Afrika
zum Beispiel, wird verhungern.
Ausbeuter von Bodenschätzen
danken den Verschwörungsspinnern
und reiben sich die desinfizierten Hände.
Auch die Zahl der immer noch
ungeliebten Schwarzen in den
vereinigten Staaten vermindert
sich, Corona sei Dank. Scheinheilig
zeigt man mit den oberflächlich
rein gebliebenen Fingern
auf Schuldige in Wuhan und Peking.

Ob sie sich selbst schaden, weil
ihre Sklaven, Knechte und Handlanger
dezimiert werden? Ich weiß es nicht
und ziehe mir die Maske
auch noch über die Augen.

 
© Fritz Deppert, Darmstadt

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

Ein Kommentar

  1. Ich ziehe mir die Maske auch noch über die Augen: gefällt mir. Das wird angesichts des Zustandes der Welt insbesondere der Natur allerdings auch nach Corona noch so bleiben für unabsehbare Zeit.

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