Lockdown-Lyrik 2.0 / 005: »Maskierungszärtlichkeit« von Lutz Rathenow

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer für die Mitherausgeberschaft bei Folge 1-154).

 

Lutz Rathenow

Maskierungszärtlichkeit

Zum ersten Mal setze ich meine Maske nach der Straßenbahnfahrt nicht ab,
der Wind der Wind …, ich allein auf dem Fußweg, rechts der Zwingerteich, links
die ersten Räume vom Landtag. Ein Fenster, in dem ein Hase grüßt: jederzeit

osterbereit. Holz, coronaresistent. Gerade hört der Regen auf. Gerade weht es
kräftiger. Der Stoff wärmt angenehm, heimatlich, Nähe entsteht – durch
Berührungen. Ab wann wird das Leben ohne dem Ding vor Nase Mund Bart
Lippen schwer vorstellbar? Hier übten am Samstag Skater auf dem Fußweg,

zwischen Granitsteinen am Boden schlängelten sie sich wieder und wieder –
um die kleinen Felsen. Einer fuhr, eine filmte von unten jene Bewegungen,
Bretter mit Füßen in Sportschuhen. Ich konnte die Marke nicht entziffern.

Stundenlang das Geräusch dieses Gleitens, hinter dem offenen Bürofenster.
Auf der Straße am Wochenende nur eine dünne Schlange von Automobilen,
Kutschen vereinzelt, Gemütlichkeitsinszenierungen mit Pferden und Gästen.
Kein Tuten der Elbdampfer (Niedrigwasser? Die epidemiologische Situation?

Insolvenz?) Jetzt schlendert eine Familie vor meinem Fenster vorbei, zu dritt.
Die Tochter jongliert eine Maske in ihrer Hand. Sie durchkreiselt die Luft, ich
winke dem Kind. Lichtschnell taucht die Sonne am Himmel auf, ihre Strahlen

erzeugen einen Spiegeleffekt im Fensterglas. Sie sehen mich nicht und gehen
weiter und weiter und aus meinem Blick, nur in diesen Zeilen hängen sie fest.

 

© 2020 Lutz Rathenow, Berlin und Dresden
(Redaktion: Anton G. Leitner)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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