Lockdown-Lyrik 2.0 / 073: »Kontaktaufnahme« von Keti Gzirishvili

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer, Mitherausgeber Folge 1-154).

 

Keti Gzirishvili

Kontaktaufname

Arbeiten im Homeoffice
sollte im besten Fall durch
Liebe mit Abstand ersetzt werden,
aber wenn eine solche Beziehung stattfindet,
kann die Liebe nicht mit kalten Tastaturtasten auf der warmen Haut
getauscht werden.

Deshalb sitze ich an diesem Abend,
statt besorgt an meine Liebe zu denken, an einer Recherche,
diesmal über Michel Tamarati*.
Ja, ich bin ihm dankbar, an diesem Abend,
da es ihm gelungen ist,
meine Aufmerksamkeit auf die von ihm empfundene und gelebte Liebe zu lenken
und meine eigene unmögliche Liebe zu vergessen.
Und ich stelle mir vor,
wie er in verstaubten europäischen Archiven alte Manuskripte durchblättert,
in der Erwartung, etwas zu finden.
Oder ich denke an sein Ertrinken in Santa Marinella, beim Versuch, Andere zu retten.

Der Tod ist jetzt wieder da, vor Angst ist heute die Liebe mal ganz fern
und ich sitze im Home Office.
– Padre, welch eine große Distanz ist zwischen uns, ein ganzes Jahrhundert!
Aber trotzdem dichte ich über dich und meine damit meine Liebe.
Ich rede vom Abstand, meine damit die Einsamkeit
und in meiner Wohnung, wo ich alleine sitze wie im Kerker,
unterdrücke ich meine Liebeslust.

In Tbilisi sind unsere Kontakte eingefroren,
stattdessen nehme ich Verbindung mit Santa Marinella auf.
 

*Michel Tamarati – Michail Tamarashvili, ein georgischer, römisch-katholischer Priester und Historiker (1858-1911).

**Santa Marinella, wo Michel Tamarati starb, ist eine italienische Stadt in der Region Latium, zu Rom gehörend.

 

ქეთი გზირიშვილი

ჩართვა

დისტანციური მუშაობა
უკეთეს შემთხვევაში შეიძლება ჩანაცვლდეს
დისტანციური სიყვარულით,
მაგრამ დისტანციური სიყვარული,
თუნდაც შედგეს ეს კავშირი,
ვერ შეცვლის ცივ ღილაკებს მფეთქავი კანით.
ამიტომ ამ საღამოსაც,
სიყვარულზე დარდის მაგიერ,
ვიჯდები და შევაგროვებ ცნობებს, ამჯერად, მიქელ თამარათზე*.
ჰო, ამ საღამოს მისი მადლიერი ვიქნები,
რადგან ახერხებს,
გადაიტანოს ჩემი ყურადღება შეუძლებელი სიყვარულიდან
მის მიერ ნაგრძნობ და განხორციელებულ სიყვარულზე:
შემიძლია წარმოვიდგინო,
როგორ ფურცლავდა აღმოჩენის მოლოდინით
მტვრიან კაბადონს ევროპის საცავებში,
ან ვიფიქრო მის სიკვდილზე – სხვის გადასარჩენად ზღვით დახშულ სუნთქვაზე,

დაახლოებით ისეთზე,
რისი შიშითაც დღეს სიყვარული დისტანციური გახდა,
მე კი დისტანციურად ვმუშაობ.
– პადრე, რამხელა დისტანციაა, მთელი საუკუნე,
მაგრამ ამ ლექსში შენზე ვწერ და ჩემს სიყვარულს ვგულისხმობ.
მანძილზე ვწერ და მარტოობას ვგულისხმობ:
ბინას, რომელშიც მარტო ვზივარ, როგორც საკანში
და სიყვარულის სურვილს ვახშობ.

კავშირი წყდება, აქ, თბილისში,
სამაგიეროდ, სანტა მარინელას** ვუკავშირდები.
 

*მიქელ თამარათი – მიხეილ თამარაშვილი.
**სანტა მარინელა (იტალია) – მიხეილ თამარაშვილის გარდაცვალების ადგილი.

 

© 2021 Keti Gzirishvili, Tblisi
(Übersetzung: Bela Chekurishvili, Nachdichtung und Redaktion: Sabine Schiffner)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert