Lockdown-Lyrik 2.0 / 087: »lotterie« von Johanna Hansen

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer für die Mitherausgeberschaft bei Folge 1-154).

 

Johanna Hansen

lotterie

die jahre. in denen wir unsere erinnerungen für
souvenirs hielten. die wir aus der glückstrommel
zogen. entdeckungslust auf den lippen.
unbeschwert mäandernd. selbst wenn unsere
vorhaben aufflogen. die scharf gestellten jahre.
die sich schneebeeren durch zweige und äste
reichten. während wir lektionen lernten an einem
realen ort. zu einer realen zeit. die jahre. die so
dicht beieinanderlagen. dass ich die jahre. in
denen ich nach unten sah in einen zauberspruch.
von dem ich oben süße abtrug. bis meine nackten
sohlen wussten. wohin sie gehen wollten. fast
vergessen habe. die jahre. in denen die gletscher
zu schmelzen begannen und wir die innenwände
von wirbelstürmen ausmaßen und jeden zellkern.
das jahr. als wir damit aufhörten. einander zu
begegnen. uns fieberhaft ansteckten mit der
sicherheit eines lebens in berührungslosigkeit
 
Für David Eisermann
 

© 2021 Johanna Hansen, Düsseldorf
(Redaktion: Alex Dreppec)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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