Lockdown-Lyrik 47: »mit den Füßen im Schlamm, auf dem Display die Sterne« von Isabella Breier

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Isabella Breier

mit den Füßen im Schlamm, auf dem Display die Sterne

die Geschwindigkeit der Welle,
mit der der Kopf
auf den Kopf geströmt wird,
flößt mir zugegeben
Blut von angeblichen Fischgöttern ein,
die von den Schuppen her
zu stinken beginnen

oder war’s ein Frühstücks-,
das Festlandsei, das ich bin

jedenfalls stürzt mein Laptop ab,
jäh endet der x-te Virologen-Podcast

ich heb die Stirn vom Parkett,
schau
durch ungeputzte Glasscheiben
auf Goldregenstauden
und Engelstrompeten

dahinter
dehnt sich Zeit
zu einem Raum
voll von zivilisierten
Ruf- und Fragezeichen

verständig richt ich mich auf

zu analysieren
bleibt
eine große ganze Welt
und warum Entschleunigungs-Idyllen von Privilegierten trügen

für heut Nachmittag aber
heißt mein Ziel wieder:
Zentralfriedhof

ich hoff, die Toten wahren Distanz,
vom ersten Tor an

 

© Isabella Breier, Gmünd

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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