Der Montag ist der unbeliebteste Tag der Woche. Für die meisten Deutschen zumindest. Der Montagsblues ist viel besungen und beschrieben – und tatsächlich kommen viele am Montag noch schlechter aus dem Bett als an anderen Tagen. Montags gibt’s die meisten Krankmeldungen, Unfälle und Herzinfarkte, sogar E-Mails sollen montags mehr Schreibfehler enthalten. Höchste Zeit also, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zwölf Wochen lang möchte DAS GEDICHT blog den Montag verschönern – mit Lyrik morgens um sieben. Zwölf Gedichte rund um Freude und Leid am Morgen, ausgewählt und gesprochen von Sandra Blume, sollen das Aufstehenmüssen versüßen.
Einfach noch einmal kurz ins Kissen lehnen, die Augen schließen und mit einem Gedicht die Sonne aufgehen lassen.
Sandra Blume liest: »Morgenklagen« von Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Morgenklagen
O du loses, leidigliebes Mädchen ,
Sag’ mir an, womit hab’ ich’s verschuldet,
Dass du mich auf diese Folter spannest,
Dass du dein gegeben Wort gebrochen ?
Drucktest doch so freundlich gestern abend
Mir die Hände, lispeltest so lieblich:
„Ja, ich komme, komme gegen Morgen
Ganz gewiss, mein Freund, auf deine Stube.”
Angelehnet ließ ich meine Türe,
Hatte wohl die Angeln erst geprüfet
Und mich recht gefreut, dass sie nicht knarrten.
Welche Nacht des Wartens ist vergangen!
Wacht’ ich doch und zählte jedes Viertel:
Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,
War mein Herz beständig wach geblieben,
Weckte mich von meinem leisen Schlummer.
Ja, da segnet’ ich die Finsternisse,
Die so ruhig alles überdeckten,
Freute mich der allgemeinen Stille,
Horchte lauschend immer in die Stille,
Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.
„Hätte sie Gedanken, wie ich denke,
Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde,
Würde sie den Morgen nicht erwarten,
Würde schon in dieser Stunde kommen.”
Hüpft’ ein Kätzchen oben übern Boden,
Knisterte das Mäuschen in der Ecke,
Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,
Immer hofft’ ich, deinen Schritt zu hören,
Immer glaubt’ ich, deinen Tritt zu hören.
Und so lag ich lang und immer länger,
Und es fing der Tag schon an zu grauen,
Und es rauschte hier und rauschte dorten.
„Ist es ihre Türe? Wär’s die meine!”
Saß ich aufgestemmt in meinem Bette,
Schaute nach der halb erhellten Türe,
Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.
Angelehnet blieben beide Flügel
Auf den leisen Angeln ruhig hangen.
Und der Tag ward immer hell- und heller;
Hört’ ich schon des Nachbars Türe gehen,
Der das Taglohn zu gewinnen eilet,
Hört’ ich bald darauf die Wagen rasseln,
War das Tor der Stadt nun auch eröffnet,
Und es regte sich der ganze Plunder
Des bewegten Marktes durcheinander.
Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen
Auf und ab die Stiegen, hin und wieder
Knarrten Türen, klapperten die Tritte;
Und ich konnte, wie vom schönen Leben,
Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden.
Endlich, als die ganz verhasste Sonne
Meine Fenster traf und meine Wände,
Sprang ich auf und eilte nach dem Garten,
Meinen heißen, sehnsuchtsvollen Atem
Mit der kühlen Morgenluft zu mischen,
Dir vielleicht im Garten zu begegnen;
Und nun bist du weder in der Laube
Noch im hohen Lindengang zu finden.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Sandra Blume (Jahrgang 1976) hat Geschichte, Kulturwissenschaften und Journalistik studiert. Sie arbeitet seit 2005 als freie Texterin, PR-Beraterin und Theaterdramaturgin. Seit 2013 ist sie Pressesprecherin des Wartburgkreises in Thüringen. Sie hat bei zahlreichen Lese-, Radio- und Theaterveranstaltungen mit einer »lyrischen Zärtlichkeit des Lauschens und Staunens« dem Publikum so manches Gedicht neu eröffnet.
Eigene lyrische Texte und Fotografien veröffentlicht sie seit 2016, insbesondere auf ihrem Blog www.herzhuepfen.com sowie unter ihrem Namen auf facebook. Im Münchner Schillo Verlag sind aktuell zwanzig ihrer Gedichte in einer Anthologie erschienen.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Lyrik rettet den Montag« finden Sie hier.