Melanie am Letzten – Folge 21: Die Keimfreiheit

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

Es gibt so Momente, da möchte man – oder in diesem Fall eher frau – die Flucht ergreifen. Weil sie nicht mitmachen möchte bei diesem Wettstreit der Eitelkeiten. Und es geht jetzt nicht um die Optimierung des eigenen Körpers durch Ayurveda-Drinks oder Hyaluron-Präparate. Nein. Was mindestens genauso perfekt, keimfrei und damit genauso austauschbar sein muss, ist die eigene Wohnung! Denn sie ist – wie das Auto, die Kleidung, der neue Busen und das optimierte Gebiss – nicht einfach ein Gebrauchsgegenstand oder ein Ort der Unterbringung bzw. Überdachung. Nein. Eine Wohnung, ein Haus, ein Apartment ist ein Statement! Und der Feind, das sind Staub, Pollen, Milben, Spinnweben, Krümel und Menschen, die ihre Schuhe nicht ausziehen. Haustiere sowieso. Die sind ja das Schlimmste, was einem modernen, sterilen Haushalt passieren kann. Jenem Haushalt entspringen dann auch die weltbekannten »Sagrotan-Kinder«, die beim ersten Kontakt mit einem frei laufenden, unbehandelten Altersgenossen einen Allergieschock erleiden.

Jedenfalls ist ein Kaffeekränzchen in so einer keimfreien Umgebung kein Vergnügen für Menschen, die zu Staub und Co. eine etwas entspanntere Beziehung pflegen. Allein die Gespräche über die richtigen Techniken und Methoden, um ein Fenster streifenfrei sauber zu bekommen, erinnern in ihrer Intensität an das Austauschen von Kuchenrezepten. Und so schaltet man – oder frau – geistig ab und lässt den Blick durch den Raum schweifen. Und es fällt auf: Was diesen geschniegelten Wohnräumen zumeist fehlt, sind übrigens Bücherregale. Stattdessen bevölkern Designervasen und dekorative Sinnlosigkeiten (meist die selben wie bei der Nachbarin) die Möbel. Dabei würden Buchstaben doch gar keinen Schmutz verursachen…
 

Reine Romanze,

Clementine sagte ja
zu ihrem Meister Proper
auf der MS Domestos
während ein Chor
WC Enten ein »Denn nur
was richtig sauber ist
kann auch richtig glänzen«
anstimmte und Kapitän
Sagrotan sie endlich traute

damit sich keiner
mehr aus dem
Staub machte
 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als Chefredakteurin bei der espresso Mediengruppe Ingolstadt, sowie als freiberufliche Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

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