Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.
Es war doch klar. Das mit dem Brexit. Der Horror ist Realität geworden. Und warum? Weil die Briten ihn salonfähig gemacht haben, den Horror! Und damit sind jetzt nicht rot gegrillte britische Staatsbürger (vorzugsweise -innen) gemeint, die nach dem Sonnenbad im viel zu engen Sommerkleid den Speisesaal eines Sterne-Restaurants betreten. Es geht auch nicht um Hooligans, die sich fälschlicherweise für Fußballfans halten, obwohl sie gerade als Briten wissen müssten, dass Gentlemen dem Fair Play verpflichtet sind. Nein. Auf der Insel hat der Horror Tradition und zwar in der Literatur. Was wären wir heute zum Beispiel ohne Frankenstein? Die Geschichte um den Wissenschaftler, der ein Wesen aus menschlichen Leichenteilen erschafft und am Ende selbst an seiner Erfindung zugrunde geht, gehört zur Weltliteratur. Vor genau 200 Jahren war es eine gewittrige Nacht am Genfer See, in der die britische Autorin Mary Shelley die Idee zu ihrem Roman hatte. Vorlage waren deutsche Gespenstergeschichten und die Erschaffung der Kreatur ließ sie im bayerischen Ingolstadt spielen. Dieser Horror ist also auch eine gesamteuropäische Produktion. In London ist fast 100 Jahre später ein anderer Horrorklassiker veröffentlicht worden. »Dracula« von Bram Stoker, der aus Irland stammte, in London lebte und seine Geschichte u.a. in Transsylvanien spielen ließ, nachdem er übrigens ursprünglich München als Ort des Geschehens angedacht hatte (das war aber zu wenig exotisch). Und der Schotte Robert Louis Stevenson ist durch seine Novelle »Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde« ebenfalls in die Horror-Literaturgeschichte eingegangen.
Engländer, Schotten, Iren. Sie lieben es, sich zu gruseln. Das mag am Wetter liegen, an der Insellage oder einfach seltsamen Genen. Egal. Wenn sie etwas anpacken, dann machen sie es richtig. Und beim Horror macht ihnen so schnell keiner was vor. Auch nicht in der Politik.
Brief an Dr. Jekyll,
Mein Herr,
wir wollen die Würde wahren
allzu ängstlich
erscheint mir Ihr Gebaren
Tut mir leid
ich treffe mich lieber
mit Mr. Hyde
© Melanie Arzenheimer, Eichstätt
»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als Chefredakteurin bei der espresso Mediengruppe Ingolstadt, sowie als freiberufliche Hörfunkmoderatorin.
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