Melanie am Letzten – Folge 26: Die Horror-Clowns

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

Ja, man darf sich aufregen. Über diesen ausgesprochen bekloppten »Trend« der sogenannten Horror-Clowns. Aber der Schwachsinn wird vermutlich so schnell verschwinden, wie er über die (Medien)Welt herein gebrochen ist. Das ist der Vorteil einer oberflächlichen Gesellschaft, die ständig nach neuen Sensationen giert und willig jedem Trend folgt, der als »Hype« künstlich aufgeblasen wird, um dann wieder fallen gelassen zu werden. Es haben sich ja auch schon Tausende Menschen Eiswasser über den Kopf gekippt (das war immerhin für einen guten Zweck, auch wenn’s nicht alle kapiert haben) oder sind mit dem Blick aufs Handy über die Straße gerannt, um irgendwelche virtuellen Viecher zu fangen. All das ähnelt einer Erkältung: Man kommt dem Übel nicht aus, wird vielleicht sogar angesteckt – aber es vergeht. Bei dem einen schneller, bei dem anderen dauert es eben etwas länger (und er jagt immer noch Pokémons).

Das wahre Grauen aber bleibt. Und es ist meist wenig medienwirksam. Es findet im Stillen statt. Reales Leid ist unangenehm, es belastet und unterhält nicht. Und da sind wir wieder bei den Clowns und damit im Zirkus gelandet. In dem kleinen, heruntergekommenen Familienbetrieb, der sich keine Las Vegas Show leisten kann und dessen Artisten ihre Kostüme selbst flicken müssen. Unterstellen wir den Menschen, die dort arbeiten, dass sie es nicht des Geldes wegen, sondern aus Leidenschaft oder Tradition tun. Für die Tiere gilt das sicher nicht. Wer einmal in die Augen eines Tigers geschaut hat, der 15 Jahre lang keinen einzigen Schritt aus seinem engen Käfig machen durfte, der niemals rennen oder springen konnte, dessen Muskeln verkümmert sind und der einen unwillkürlich an Rilkes »Der Panther« erinnert, der hat den wahren Zirkus-Horror gesehen. Was sich dort an menschlichen Tragödien abspielt, lässt sich nur erahnen.
 

Im Zirkus

Die Sinne
geschärft
erkannte der
Messerwerfer:
Knapp daneben
ist nicht immer
vorbei
 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als Chefredakteurin bei der espresso Mediengruppe Ingolstadt, sowie als freiberufliche Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

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