Melanie am Letzten – Folge 41: Die Wachsamkeit

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

Die Telefonanlage streikt, die Zugverbindung fällt aus, das Handy funktioniert nicht mehr und aus dem Hahn tropft Wasser, das nach Chemikalien riecht. All das sind Hinweise, dass sich dubiose Unternehmen und Organisationen gegen einen verschworen haben. Die Gefahr lauert überall. Ein unbedachtes Gespräch mit einem Bekannten, in dem das Wort »Regierung« und »Kartoffelsuppe« in einem Satz vorkommt und schon legen die Algorithmen der Überwachungsdienste los. Tags darauf wird das Telefon mit Sicherheit gehackt oder gleich von der NSA, dem BND, den Russen oder allen zusammen lahm gelegt. War ja klar.

Wenn das Auto nicht anspringt, liegt es nicht daran, dass der Kundendienst seit zwei Jahren überfällig ist. Nein. Der Nachbar, der so aussieht, als würde er nachts im Darknet mit Waffen handeln, hat da sicherlich seine Finger im Spiel gehabt. Vermutlich ist er ein Neo-Nazi. Und die neue Busfahrerin, die morgens immer so verdächtig freundlich ist, geht höchstwahrscheinlich einer ganz anderen Tätigkeit nach als Menschen von A nach B zu befördern. Der Akzent könnte auf eine Mossad-Mitarbeiterin hindeuten. Es wäre wohl ratsam, in nächster Zeit auf das Fahrrad zu wechseln. Obwohl: Die ganzen Kameras entlang des Radwegs. Eine verdächtige Bewegung und eine große, finstere Macht meldet den Verstoß einer noch größeren und finstereren Macht und die jagt dann ihre Agenten auf einen los. Und zwar analog und digital. Das Leben ist anstrengend, wenn man aufgrund seiner eigenen großen Bedeutung und des damit einhergehenden Bedrohungspotentials stets unter Beobachtung steht. Die anderen, die wollen einem Böses. Ununterbrochen.

Und was hilft dagegen? Wachsam bleiben, vorsichtig sein und den Mitmenschen immer mit Misstrauen begegnen…
 

Unschuldslamm

Ganz die Mama
das Näschen

Ganz der Papa
das Lächeln

nur die Ohren
wie der Mann

von nebenan
 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als Chefredakteurin bei der espresso Mediengruppe Ingolstadt, sowie als freiberufliche Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

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