In den »Poesie. Meditationen« treffen Sie Timo Brandt: Der junge Lyriker und Lyrik-Kritiker (Jahrgang 1992) lässt Sie teilhaben an seinem ganz persönlichen Zugang zur Lyrik: Bei der Lektüre von Gedichten fließen Eindrücke zum Tagesgeschehen und poetische Impressionen zusammen. Der Leser begibt sich in einen beinahe meditativen Zustand, ganz im Hier und Jetzt und achtsam gegenüber den Phänomenen im gegenwärtigen Augenblick. Der Verknüpfung von Gedicht und Gedankenfluss geht Brandts Kolumne nach.
Lest Charles Bukowski. Nirgendwo wird mit Ged/schichten so der nasse Boden allen Übels aufgewischt und ausgewrungen, nirgendwo so die Genugtuung des Bürgertums als überschätzt auf den Grill gelegt. Lest e. e. cummings, es gibt keinen Dichter, der sich weniger übersetzen lässt, obwohl einen völlig durchdringt, was er meint.
Lest in den Lyrik-Anthologien, die erscheinen – blättert nicht nur vor zu den aufgehängten Namen – bleibt in den Gedichten hängen und findet euren roten Faden. Ein Gedicht ist wie die Möglichkeit Eislaufen oder Schwimmen oder Radfahren oder Pommesessen oder Billardspielen zu gehen; viel zu selten wirklich wahrgenommen.
Lest Monika Rinck und lest um Himmels Willen Anne Sexton, deren Texte sind, als wäre da eine ganze emotionale Evolution, die wir verpasst hätten, obwohl sie alles gläsern anzustreichen weiß, was wir schon kennen.
Lest die Ausrangierten! Lest Mascha Kaléko! – es gibt keine wahrere Dichtung über den unumgänglichen Schmerz und die unauffällige Hoffnung in allem, was wir tun. Lest Hofmannsthal und ihr werdet hier und da tatsächlich vermissen, was euch schon so oft aus der Hand gerissen wurde, dass ihr euch schon taub geworden glaubtet für sein Rufen. In den Terzinen der Vergänglichkeit liegt schlichte Grausamkeit und die Härte der Nichtverzögerung, neben dem Fließen der Worte, die Falten der Nähe beschwören, wo glatt das Ewige schien. Stauraum für – dich. für mehr.
Lest die, die andere euch ausreden wollen, mit Ausführungen über ihre Mängel, welche nur das Charaktertum und das Kreisen um das Eingeschworene zufriedenstellen sollen und können, nicht aber den, der liest. Den stellt nur die eine Frage zufrieden: geschieht etwas oder geschieht es nicht?
Lest alle Gedicht der Person, deren Gedichte ihr nach dem ersten Band bereits liebt. Hört nicht auf. Nicht jetzt schon.
Lest mehr Lyrik, in alten Editionen, lest aber mehr Neuerscheinungen; wohin sonst mit unseren Vorstellungen? In die Eindrucksformeln des Fernsehens, von Hollywood, von Klatsch & Tratsch. Unter einer Vielzahl von Seiten-zahlen, wartet ein ganzes Universum.
Die »Poesie. Meditationen« werden Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.
Alle bereits erschienenen Folgen der »Poesie. Meditationen« finden Sie hier.
wunderschöner satz gedanke
(aus: Poesie. Meditationen – Folge 12: Lest)
Unter einer Vielzahl von Seiten-zahlen, wartet ein ganzes Universum.
danke