Sinnliche Lyrik, Folge 2: Portrait-Gedichte von Reinhard Lechner

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Reinhard Lechner

es

komm theresa wir nehmen die biene,
die magst du doch, bist du doch und
nun geh spielen.
nur blieb das mädchen
ernst, mutter und die tante sahen sie,
durch die offene tür im hof vor den andern
ahmte sie mit aller kraft etwas nach,
schritt wie eine kreatur, hielt sich penibel
an jene anatomie,
ihre finger krümmten sich zu klauen,
zerschnitten die luft, die hände vorm mund
ein aufgerissener schlund,
plötzlich: chorische stimmbänder brüllten
die kinder mit ihren urängsten an
und es hielt sich das mädchen tapfer
auf den spitzen der zehen, damit sie
alle ein ausmaß ahnten, versteinerten gleich.


nici

sie wusste auch nicht was das war,
hegte alles ohne federn, ohne haar,
folgte schleim ins gebüsch,
war bei stich & biss daheim, schälen
musste es sich, fortstehlen aus sich selbst
mit trübem auge, mit dem natternhemd
raschelte sie dann, erregt wie
von knallfolie, hinterm vorhang aus ekel.
einst jenes kätzchen aber, tantes präsent
ganz fell, nici gab’s weg in einen sack,
und gab auch nun nichts, zu knuddeln
jans garfield.


tanny

das halbjahr verging, sticker fielen aus alben
und tanny, dir blieben narben, in blindenschrift
für den gram, der dich las und befiel so,
du trugst cordhosen, groß genug für einen jungen,
du turntest sogar darin, dein salto vom reck,
manche hielten dich für einen tomboy,
doch die pinke masche am schwarzen zopf,
die schminke, verwischt noch vor elf uhr,
schnell schlurftest auch du davon, hauch nur
übern pausenflur, von dunkler natur berufen,
wie i­aah, der esel aus winnie puuh,
wenn wir unsere jo­jos sausen ließen,
vorbei an den pokalen der hockey wiesel,
womöglich deinen zwilling spiegelnd
am gebohnerten boden, womöglich
depression, geschönt von disney.


© Reinhard Lechner, Wien

(Aus: »Portraits mit Riesenkalmar« – Gedichte, Edition Melos 2023)


Zum Autor:
Reinhard Lechner, geboren 1986 in Bruck/Mur, Studium der Erziehungs- und Bildungswissenschaft in Graz, lebt und arbeitet in Wien als freischaffender Autor (Lyrik, Übersetzungen aus dem Französischen, Kurzprosa, Rezensionen). Er ist Mitherausgeber der Lyrikreihe beim Grazer Klingenberg-Verlag, außerdem Mitredakteur der Grazer Literaturzeitschrift Lichtungen. Dazu berufliche Tätigkeit als Erwachsenenbildner in der digital unterstützten Lehre und Programmplanung.

Jüngste Publikationen: als Übersetzer »L’extase simple de respirer / Die einfache Ekstase des Atmens« (Gedichte von Jean Perron, übertragen aus dem Französischen, Klingenberg 2023) und als Autor
»Portraits mit Riesenkalmar« (Gedichte, Edition Melos 2023).


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist kürzlich bei Otto Müller erschienen. Momentan Arbeit an der Kurzprosasammlung »Fliederkuss« sowie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.sophialunraschnack.com



Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.



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