Vom Leder gezogen – zur EM 2016 in Frankreich, Folge 53: »Fußball gucken mit Baby auf dem Arm«

Die Lyriker-Mannschaft von DAS GEDICHT blog mit Kapitän Jan-Eike Hornauer kommentiert die Fußball-EM unterm Eiffelturm

 

Alex Dreppec

Fußball gucken mit Baby auf dem Arm

Anpfiff! Im Bettchen, fern: Der Kleine weint.
Er will dabei sein, wie mir scheint.
Na gut: Dein erstes Spiel, mein Sohn,
schnell vor den Schirm, sie spielen schon.
Von Angst vorm Gegner nichts zu spür’n.
Ein Quäntchen Glück noch und sie führ’n.
Dies Tor zählt nicht. Mensch, Pech gehabt!
Der Kleine jubelt nicht! Begabt!
Er blickte skeptisch, schon davor.
Dann erst mal wickeln. Jetzt kein Tor!
Zurück zum Bildschirm heißt das Ziel,
frisch sei das Baby wie das Spiel,
da trifft Özil! Traumtor! Gut gemacht.
Der Kleine, frisch gewindelt, lacht,
lutscht Daumen mit geübtem Griff.
Dann ertönt der Halbzeitpfiff.

Nun geht es weiter. Pass auf Pass.
Das fühlt sich an wie: wieder nass.
Das geht jetzt nicht, mein lieber Sohn.
Au wei. Na gut. Ich mach’s ja schon.
Schnell eilen wir zum Spiel zurück.
Die Mannschaft hat auch wenig Glück,
Knall auf Fall ein Dienstunfall:
Boateng mit Hand am Ball!
Elfmeter, Gleichstand, alles offen.
Auch der Kleine blickt betroffen.
Alles wirkt jetzt wie blockiert.
Der Kleine lallt. Er kommentiert!
Nun dümpelt’s etwas vor sich hin.
Der Kleine schläft. Was für nen Sinn
fürs Spielgeschehen äußert er!
Auch mir fällt’s Wachsein langsam schwer.
Doch dann kommt wieder Leben auf.
Auch Müller hält jetzt richtig drauf.
Das fruchtet nicht. Zwei Tränchen fließen.
Verlängerung! Elfmeterschießen!
Das müssen wir jetzt auch noch durchstehn.
Auch der Kleine kann kaum hinsehn.
Tor vergeben, Tor gemacht,
der Kleine lallt! Der Kleine lacht!
Sieg! Hector trifft! Ins Tor hinein!
Der Kleine kotzt. Wie kann das sein?

 
© Alex Dreppec, Darmstadt

(zum Viertelfinal-Spiel Deutschland – Italien, 1:1 n. V., Endstand nach 18 Elfmetern im Elfmeterschießen 7:6)

+ Zum Autor

 

Die EM 2016 lyrisch zu kommentieren, und dies schnell und in doppeltem Sinne fachkundig (mit poetischem und fußballerischem Verstand), mit Witz und Eifer, voll Leidenschaft und auch mal mit distanziertem Blick, dies hat sich das Lyriker-Team um Kapitän Jan-Eike Hornauer zum Ziel gesetzt. Es besteht aus: Michael Hüttenberger, Hellmuth Opitz, Michael Augustin, Alex Dreppec und Matthias Kröner. Und damit durchgängig aus bewährten poetischen Fußball-Kommentatoren: Sie alle waren bereits in der Lyriker-Elf von DAS GEDICHT blog dabei, die vor zwei Jahren den Weg der deutschen Nationalmannschaft zum vierten Stern auf dem Versfuß begleitet hat, spielerisch, euphorisch, kritisch – und mit einer Mannschaftsstimmung, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Und sie alle haben sich blitzschnell dazu bereit erklärt, auch heuer wieder ihre Kugelschreiber rollen zu lassen bzw. am Laptop ihre Silben knallhart in die Ecken der weißen Blätter zu hämmern. Kein Zögern gab es und keine Absage. Der Teamgeist von 2014 ist immer noch da – bei uns und gewiss auch bei den Jungs aus der DFB-Elf. Mögen dort auch einige Spieler durch neue ersetzt worden sein, und mag unser Team zum »kleinen« Turnier auch mit kleinerer Besetzung auflaufen.

Alle bereits geposteten Folgen von »Vom Leder gezogen – zur EM 2016 in Frankreich« finden Sie hier. Und selbstverständlich können Sie auch nach wie vor den kompletten Weg zum vierten WM-Titel poetisch nachvollziehen, und zwar hier: »Vom Leder gezogen – zur Fußball-WM 2014 in Brasilien«.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert