Die Lyriker-Elf von dasgedichtblog unter Leitung von Jan-Eike Hornauer kommentiert die Fußball-WM am Zuckerhut
Hellmuth Opitz
Aus der Reihe »Verlierer« heute: Casillas
Zu merken, wie etwas zerbricht.
Und du die Sollbruchstelle bist:
das Heiligtum St. Iker, deine
schützenden Hände geballt
zu einer missglückten Faustabwehr.
Zwei Millimeter weiter oben
auf den Handschuhen
– nie wär’ der Ball so plump
nach vorn gesprungen.
Doch was zählt das in diesem
Moment, wo sich die Mikros
vor deiner Nase ballen, die Fragen
hingefuchtelt werden? Was sind
die Verdienste wert, sechs Jahre
unantastbar, alles gewonnen,
was zu gewinnen war, wer spricht
von den Paraden ohne Zahl,
die Unhaltbares haltbar machten?
Vergangenheit. Vergessen. Weg-
gewischt, als wär’ es nie gewesen.
Du bist der Rostfleck der
goldenen Generation, sieben
Tore kassiert, Kassier-As wird dein
Name morgen lauten, und du,
Casillas weißt das genau, dein
müder Blick sagt’s, während du
Entschuldigungen murmelst.
Was hilft der fade Sieg gegen Australien?
Dein Gesicht, mit dem du
in jedem Mantel-Degen-Film
die Hauptrolle spielen könntest,
ist zum Zerspringen gespannt,
feinste Haarrisse im Porzellan
der Haut, durch die das Ende
schimmert, wie bei einem
gehetzten Tier, das sich, in die
Enge getrieben, schließlich
zu seinen Verfolgern umdreht,
als wolle es sagen:
Kommt schon, macht Schluss.
© Hellmuth Opitz, Bielefeld