Weihnachts- und Neujahrsgruß aus der Redaktion – Jahresrückblick mit Gedicht von Anton G. Leitner

Liebe Freundinnen und Freunde der Poesie,
liebe GEDICHT-Familie,
verehrte Leserinnen und Leser,

ich wünsche Ihnen / Euch, auch im Namen unseres Redaktionsteams, frohe Festtage und uns allen ein gesundes, kreatives Jahr 2025 mit vielen poetischen Momenten – zu denen wir von der DAS GEDICHT-Redaktion vielleicht wieder den ein oder anderen Beitrag leisten können.

Ich fürchte ja, dass es ein frommer Wunsch bleibt, wenn ich für uns alle hoffe, dass die Zahl jener postkolonialistischen politischen Führer und Antidemokraten in der Welt, für die menschenverachtende Gewalt und Unterdrückung der Andersdenkenden bzw. ganzer Brudervölker selbstverständliche Mittel der Politik sind, die sie nach Lust und Laune anwenden, soviel und sooft und so brutal, wie es nur geht, dass die Zahl jener furchtbaren Männer also endlich wieder abnimmt, statt weiter zunimmt. Aber ich hoffe von ganzem Herzen, dass nicht nur die Schlimmsten unter ihnen so schnell wie möglich vor dem internationalen Gerichtshof in den Haag stehen werden, um sich für ihre grausamen Greultaten an der Zivilbevölkerung, ihre barbarischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten, sondern dass auch eines Tages jedes einzelne Glied ihrer Befehlskette zur Rechenschaft gezogen wird.

Olympiapark München im Dezember 2021 (Foto: Jan-Eike Hornauer)

Gegenwärtig sieht es aber leider eher danach aus, dass deren Spezies in der Welt weiter zunimmt, und dass kriegstreiberische Diktatoren mit in Pseudo-Wahlen scheinlegitimierten Präsidententiteln nur die Spitze eines Eisbergs bilden, an dessen anderem Ende wirre und »kleine«, aber ebenso maßlose Massenmörder stehen wie jener 50-jährige Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Islamhasser mit saudi-arabischem Hintergrund, der bis dato in einer Klinik in Bernburg arbeitete und sich als Arzt eigentlich dem hippokratischen Eid verpflichtet hätte fühlen müssen, den er am Freitag, den 20.12.2024, tatsächlich zu einem Meineid verkommen ließ, als er mit einem gemieteten SUV in Magdeburg in einen Weihnachtsmarkt raste und dabei fünf Menschen tötete und rund zweihundert weitere Zufallsopfer teilweise sehr schwer verletzte.

Ein Mediziner, der sich mindestens wegen bis dato fünffachen Mordes und zweihundertfachen Mordversuches vor Gericht wird verantworten müssen, das ist so unvorstellbar und schlimm, dass man schon allein wegen so jemand an der Menschheit verzweifeln könnte – also ganz ohne jene Massenmörder im Großen heranziehen zu müssen, die zigtausende Menschenleben auf dem Gewissen haben und von denen noch vor wenigen Jahren der Schlimmste von unserem politischen Spitzenpersonal teilweise regelrecht hofiert worden ist und von Einzelnen hierzulande bis heute hofiert wird, anstatt ihm und seinesgleichen mit allen Kräften und Mitteln des Rechtsstaates entgegenzutreten.

Die Lyrik als politische Kraft

Klar, der Dichter hat gut reden, mag vielleicht die eine oder der andere denken, die politische Realität ist vielschichtiger. Aber ich könnte darauf erwidern, dass es sich bei der Poesie jedenfalls nach meiner tiefsten Überzeugung um eine generell friedliebende literarische Gattung handelt, dabei aber keinesfalls um eine Unpolitische, schon da bei ihr die materielle Komponente die geringste Rolle spielt, sich die Lyrik weitgehend der pekuniären Bewertung entzieht, und weil Gedichte oft einen geradezu anarchischen Umgang mit dem Material der Sprache pflegen. Und so etwas Wildes wiederum erscheint den diktatorischen Brutalniks dieser Welt als unkontrollierbar und ist ihnen deshalb naturgemäß ein Dorn im Auge, weshalb sie den Gebrauch des freien Wortes auch im Gedicht einschränken und bestrafen, wo und wie sie nur können.

Ich selbst bin kein Besucher von Weihnachtsmärkten, auch weil mich schon das Wort »Markt« hier ziemlich abschreckt, und mit der christlichen Weihnachtsbotschaft von der Geburt eines unschuldigen Kindes in einem Stall zu Bethlehem, also in armseligster Umgebung, haben solche glitzernden Märkte auch sonst nicht das Geringste zu tun.

2024 war für mich und meine Familie ein sehr anstrengendes Arbeitsjahr. Wahrscheinlich eines der anstrengendsten Jahre in meinem bisherigen Berufsleben überhaupt. Aber wir haben viele Dinge in Bewegung gebracht. Manche von Ihnen haben es vermutlich schon auf diesem Blog oder in den Medien ein wenig mitverfolgt. Zunächst habe ich nach zweijähriger Warte- und Planungszeit und nach Überwindung unzähliger bürokratischer Hindernisse und Hürden die Heizungssysteme in meinem 62-Jahre alten Elternhaus und in unserem Verlag auf modernste und klimaneutrale Heiztechnik umstellen lassen (Wärmepumpen, PV-Anlage zur eigenen Stromerzeugung, Energiespeicher, Notstromversorgung, Wallbox etc.), wir haben unseren Benziner-Pkw abgegeben und durch ein neues, unsubventioniertes Elektrofahrzeug von Volkswagen ersetzt, das wir mit eigenem Strom betanken und das meiner Frau Felizitas und mir sehr viel Freude beim Fahren bereitet.

Dichterischer und herausgeberischer Vorlass geht ans Monacensia-Literaturarchiv

Und vor gut einem Jahr hat eine handschriftliche Briefkarte, die ich der aktuellen GEDICHT-Ausgabe beigefügt hatte und die an die Leitung des Monacensia-Literaturarchivs der Stadt München adressiert war, einen großen Stein, wenn nicht sogar einen ganzen Berg ins Rollen gebracht. Denn ich hatte hier signalisiert, dass ich mir vorstellen könnte, meinen umfangreichen literarischen und editorischen Vorlass aus einer mittlerweile deutlich über vier Jahrzehnte währenden Schaffensperiode dort für immer gut aufgehoben zu wissen. Bereits im Januar 2024 bin ich zusammen mit meiner Frau zu einem ersten, mehrstündigen Gespräch in der Monacensia im Hildebrandhaus in München-Bogenhausen empfangen worden, dessen freundschaftliche, respektvolle und höchst sensible Atmosphäre mich sofort davon überzeugt hat, auch wirklich den richtigen Ort für die Bewahrung meines Lebenswerkes gewählt zu haben. Es rührte mich zu Tränen, als mich dort eine Mitarbeiterin ansprach, die mir sagte, dass sie wisse, weshalb ich hier säße. Sie habe heute ihren letzten Arbeitstag, und als sie vor vierzig Jahren ihren ersten Arbeitstag in der Monacensia angetreten habe, sei ihr dort ein junger Autor namens Anton G. Leitner begegnet, dessen künstlerischen Weg sie seitdem verfolgt und dessen Bücher sie ja auch regelmäßig in die dortige Bibliothek eingepflegt habe. Für sie schließe sich der Bogen ihres Berufslebens auf eine sehr berührende Art und Weise. Ich musste dabei unweigerlich an den alten Satz »Nichts geschieht zufällig im Leben!« denken.

Nach vielen Sitzungen, etlichen Telefonaten sowie Vor-Ort-Terminen und akribischen Vorarbeiten, bis hin zur kompletten Inventarisierung meines Archivs in umfangreichen Excellisten und der einzelnen Bewertung von fast tausend Objekten, beschloss der Münchner Stadtrat im Kulturausschuss schließlich auf seiner Sitzung am 7. November 2024 ohne Gegenstimme, meinen literarischen Vorlass für die Monacensia anzukaufen. Am 19. November 2024 unterschrieben die Vertreter meine Geburts- sowie Heimatstadt München und ich den entsprechenden Vertrag, und am Donnerstag, den 19. Dezember 2024, wurden bereits die ersten 41 Kartons mit 395 Objekten aus meinem Archiv von der Monacensia bei mir in Weßling abgeholt. Weitere rund 50 Umzugskisten werden im Frühjahr 2025 folgen, und die letzte Charge wird voraussichtlich erst nach meinem Tod nach München gehen – also hoffentlich noch nicht so bald.

All die Vorgänge um die Vorlassübergabe bedeuteten für mich eine sehr berührende Zeit, denn im Schnellzugtempo zog noch einmal mein gesamtes bisheriges Schriftstellerleben an mir vorbei, von der Schülerzeitung des Wittelsbacher Gymnasiums in München über meine Notizbücher hin zu auf Kassetten gespeicherten Morddrohungen gegen mich, die nach dem Erscheinen unseres heftig diskutierten und vielverkauften Erotik-Specials »Vom Minnesang zum Cybersex. Geile Gedichte!« im Herbst 2000 auf unserem Verlags-Anrufbeantworter hinterlassen worden waren, oder Videomitschnitte vom Aufscheinen unserer Arbeit in Nachrichtensendungen wie der Tagesschau oder den ARD-Tagesthemen, in denen Ulrich Wickert einmal einen Filmbeitrag zu einer großen Veranstaltung von uns anmoderierte. Und darüber hinaus geht ein Lebenswerk nicht jeden Tag auf die Reise, sondern eben gemeinhin nur einmal im Leben.

Ich bin dabei auch deswegen überzeugt davon, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, weil so mein riesiges Medienarchiv für Wissenschaftler und Fachleute nach der Digitalisierung gut zugänglich nutzbar sein wird, genauso wie das Archiv unserer Zeitschrift DAS GEDICHT, das fast vierzig Jahre deutschsprachiger Lyrikgeschichte dokumentiert.

Ausgezeichnet vom Literaturhaus Wien

Nachdem mir auch noch unlängst für meine editorischen Verdienste um die Gegenwartsliteratur in Österreich der mit 10.000 Euro dotierte Alexander-Sacher-Masoch-Preis 2023/2024 zuerkannt und vom Literaturhaus Wien verliehen wurde, werde ich das Weihnachtsfest 2024 wirklich besonders genießen können, im Wissen, dass mein / unser unermüdlicher Einsatz für die Poesie auch international gewürdigt und ausgezeichnet wird und dass mein Lebenswerk gesichert ist.

Worauf ich mich jetzt schon freue: 2025 geht die lyrische Arbeit weiter – vor allem werde ich mit meinem geschätzten und vielseitigen Kollegen Matthias Kröner als Mitherausgeber den 33. Jahrgang der Zeitschrift DAS GEDICHT edieren. Und selbstverständlich werde ich dann auch nach und nach versuchen zu erreichen, dass insbesondere mein Herzblatt DAS GEDICHT auch dann noch weiter besteht, wenn ich diese ungeheure Arbeit nicht mehr stemmen kann.

Eigentlich wollte ich viel weniger schreiben und Ihnen / Euch nur frohe Festtage und das Beste für 2025 wünschen. Dies immerhin sei hiermit noch einmal ausdrücklich getan: frohes Fest, guten Rutsch und ein neues Jahr, das viele positive Momente bereithält!

Bleibt mir an dieser Stelle nur noch, allen explizit zu danken, die mir geholfen haben, dieses Arbeitsjahr so erfolgreich enden zu lassen. Dem Team der Monacensia genauso wie meinem GEDICHT-Team. Insbesondere möchte ich mich bei meinem diesjährigen Mitherausgeber Paul-Henri Campbell bedanken, mit dem zusammen DAS GEDICHT 32 »Menschlichkeit. Die Poesie der Nähe« zu edieren mir wirklich eine große Freude war – wegen des heute mehr denn je nötigen Themas und wegen seines klugen und ideenreichen Engagements.

Dazu bedanke ich mich natürlich bei meiner Frau Felizitas. Und bei allen Freundinnen und Freunden, die mir dabei geholfen haben, nach meinen schweren Erkrankungen und dieser fürchterlichen Pandemie wieder gesundheitlich und wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Ohne Euch hätte ich diese große Ziellinie nicht erreichen können. Danke, danke, danke!

Auf ein neues Lyrikjahr,
toi, toi, toi!

Ihr / Euer
Anton G. Leitner,
der sich dieses Mal mit einem eigenen Weihnachtsgedicht verabschiedet:


Anton G. Leitner

Herr Winter

Breitet das
Schneetuch aus

Zieh dich warm
An ruft der Stern

Sing er dem Mond
Zu, der aufgeht

Am Baum mit roten
Päckchen.


(aus: AGL, Im Glas tickt der Sand.
Echtzeitgedichte. edition lichtung, Viechtach 2006)

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