Jeden Sonntag kommentiert DAS GEDICHT-Herausgeber Anton G. Leitner in dieser Rubrik das große und kleine Weltgeschehen der vorangegangenen Woche mit einem Vers, wenn nötig auch mit mehreren. Mal widmet er sich privateren Themen, mal politischeren, manchml bedichtet Leitner auch aktuelle Ereignisse. Dabei mit Vorliebe so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, nämlich auf Bairisch. Bisweilen küsst ihn die Muse aber auch hochdeutsch.
26.11.2023 |
Schrei nicht So! Hör auf |
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05.06.2022 |
Dem schwarzen Vater blüht ein roter Sommer: Begonia semperflorens, Gottes Auge oder auch Eisbegonie genannt, die Immerblühende. »Warum Eis?«, frag ich laut, und mir antwortet eine Amsel in mehreren Strophen, denn Vater, mein Lehrer, spannt heute aus mit seiner Nachhilfe unter der Erde, aber er ist mit seinem Latein noch lange nicht am Ende, kommuniziert mit mir vielleicht auch noch über jene Waldameise, die gerade meine Nackenhärchen krault, verdächtig sanft. Und dann hab ich ihn auf einmal im Ohr, auf meinen Highend-Stöpseln. Er legt sich in Stereo satt über Maggie Reillys zarte Tonspuren: Oldfields Moonlight Shadow überlagert von Vaters Bavarian language, very sophisticated. Bua, sagt er, die blian bis zum Frosdd, und ich beginne stante pede zu frösteln beim Gedanken an den Winter. Bua, gib obachd, dass di need obiesld, des duad saggrisch wä, i sogds da! Jetzt meint er wohl die Waldameise. Er sieht offenbar wirklich alles durch die göttlichen Augen der Begonien. Aber bis ich mich übers Smartphone auf Tante Google über Ameisenpisse im Besonderen und über die Funktion von Ameisen im Ökosystem als Säende und Aasentferner im Allgemeinen informiert habe, hat sie mich schon gezwickt, dieses kleine Miststück. Es soll angeblich als Waldameisin auf der Roten Liste stehen, also vom Aussterben bedroht sein, wovon ich heute allerdings noch nichts bemerken kann – womit wir schon wieder mal beim Rotsehen wären. Passt nur schwer in meinen Kopf, denn von den sechsbeinigen Krabblern, die sich auf über zehntausend Arten verteilen, sollen insgesamt zehn Billiarden auf der Welt leben. Wenn die alle auf einmal anfangen würden zu biesln bzw. zu zwicken, na dann Gute Nacht, schöne Bäuerin!, aber das werden sie schon nicht tun, weil sie aussterben werden, denn von Vater habe ich auch seinen donquijotesken Optimismus geerbt und glaube deshalb an das Gute in jedem hundertsten Tier und in jedem tausendsten Menschen. |
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29.05.2022 |
Bois so simbbl waar, Aus dem Bairischen vom Autor Weßling, 27.05.2022 |
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15.05.2022 |
Bundesautobahn 9, Raststätte Fränkische Schweiz, Pegnitz West, Elfter Mai Zwanzigzweiundzwanzig Als er mit etwas Mühe aussteigt aus dem VW Golf Sportsvan silbermetallic, und wie er aus der gebückten Haltung heraus wieder eine aufrechtere anzunehmen versucht, wie er dasteht vor uns mit seinem kurzen, geschneckelten Haar, in einer feingerippten, hellbraunen Cordhose, dazu einen Cashmere-Rundhalspullover in dezentem Rauchblau trägt und darunter ein gebügeltes, weißes Hemd, wie er sich anstrengt, seine noch immer leicht verzogene Körperhaltung mit sportlichen Armbewegungen zu kaschieren und wie perfekt er die Vorstellung von einem älteren, britischen Gentleman souverän ausfüllt, und das alles nur circa 50 Meter entfernt, und als dann auch noch eine kleinere, grau-blonde Frau im roten Blazer seine Beifahrertür öffnet und sich vertraut zu ihm gesellt, da gibt’s mir einen richtigen Stich und danach wird’s mir gleich auch noch warm ums Herz, als ich mir vorstelle, ER wäre es und wir träfen ihn jetzt ganz zufällig zusammen mit Mutter an dieser Raststätte in Oberfranken, wo er gerne unterwegs war mit ihr, und wir könnten ihn, könnten sie beide spontan einladen auf Steckerleis und Espresso, auf einen einfachen, versteht sich, denn ein doppelter wäre ihm viel zu stark, den würde er mit den Worten »den dabagg i need« ablehnen, und wir könnten erleben, wie sehr er sich freut, uns hier aus heiterem Himmel zu treffen, und er hätte sicher sofort unendlich viele neue und alte Geschichten parat und würde alle Leute ringsum gleich miteinbeziehen ins Gespräch, Corona hin oder her, er würde vermutlich sogar aufspringen und den Tisch wechseln, an dem wir uns zusammengesetzt hätten, und er würde gestenreich erzählen und vielleicht gar nicht mehr wegkommen von dieser Raststätte, wenn wir nicht alle weiter müssten und ihn zum Aufbruch drängen würden, und ich wäre mindestens einen Espresso lang, aber höchstwahrscheinlich noch viel länger, kein vaterloser Geselle mehr, hätte noch einen, meinen, der noch munter unterwegs wäre auf der Welt und dessen Wege sich jederzeit immer wieder kreuzen könnten mit meinen, zum Beispiel hier und jetzt, auf der Bundesautobahn 9, Raststätte Fränkische Schweiz, Pegnitz West, an diesem verdammt sommerlich-sonnigen elften Mai zwanzigzweiundzwanzig gegen sechzehnuhrdreißig. Weßling, 14.05.2022 |
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08.05.2022 |
Frühstück Mutter-Sohn Mutter: Sohn: Mutter-Sohn: |
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01.05.2022 |
Zwanzigeinundzwanzig, Erster Mai und die ganze Tag-der-Arbeit-Feierei geht voll an mir vorbei. Ein Jahr später seh ich mich noch immer stehen an der rundum acrylglasbewehrten Klinikpforte, so nervös wie vor einer Algebraklausur zu Schülerzeiten, bis sich schließlich meiner Stirn durch eine gläserne Schießscharte ein Arm entgegenstreckt, um auf Distanz meine Körpertemperatur zu prüfen. Dann Papierkram nach der Thermometerhürde. Mein Vater liegt im Sterben und meine Stimme brüchig wohl und dumpf hinter der fünflagigen Maske als ich mich, ganz und gar zum Bittsteller geschrumpft, auf mein Gespräch mit Frau Doktor Soundso berufe. Ja, ich bin geimpft, schon mehrfach sogar. Hier ist mein Impfpass. Ja, ich habe mich testen lassen. Ja, der Test ist noch frisch, erst vierzig Minuten alt. Ja ich bin negativ, hier steht das Testergebnis, schwarz auf weiß. Und hier ist mein Personalausweis. Und hier das ausgefüllte Formular mit Unterschrift und Ort und Datum. Lieber Gott mach, dass sie mich endlich zu meinem Vater lassen, jede Minute zählt und während sie sich weiter Zeit lassen mit dem Einlass, seh ich durch die geöffnete Gangtür, wie ihn der Hol-und-Bringdienst liegend schiebt von der Intensivstation in eines dieser Sterbezimmer, die in ihrer Summe Palliativstation heißen, was so klingt, als hätte man auch das Sterben unter Kontrolle. Und sie haben ihm eine blaue OP-Einweg-Maske umgebunden, damit er sich nicht noch die Pest holt in seinen letzten Stunden oder nicht noch andere ansteckt mit seinem Schlaganfall, und er kratzt sich lebhaft am Kopf, wo ihn etwas sehr zu jucken scheint. Ein paar Sekunden später schon ist er samt Bett auf Rollen und Eskorte wieder weg. Ich aber warte weiter auf das erlösende Sie dürfen jetzt zu ihm. Aber sie müssen noch telefonische Rücksprache nehmen mit Frau Doktor Soundso. Da steht Herr L. bei uns unten an der Anmeldung. Er sagt, er hätte mit Ihnen gesprochen. Darf er rein? Und ich bete, dass sie Ja sagt, dass der einzige Sohn seinem Vater beim Sterben beistehen darf. Das menschlich Selbstverständliche zur Ausnahme verkommen in den Zeiten der Pandemie, aber müßig, in meiner, in Vaters Lage solche Gedanken weiter zu verfolgen. Es fühlt sich an wie Glück im Unglück, als sie mich wirklich einlassen. Mich hält nichts mehr an der Pforte, ich könnte flennen aber entscheide mich fürs Rennen. Bloß nicht zu spät kommen und gleich das richtige Zimmer finden. Und ich werde noch zwölf Stunden am Stück bei ihm bleiben können und nach einer kurzen Schlafpause wiederkommen und dann dieselbe Prozedur durchmachen. Ja, ich bin frisch getestet usw. Und ich sehe ihn seitdem immer wieder, manchmal nachts, manchmal auch tagsüber, an mir vorbeigeschoben werden, meinen Vater mit der blauen OP-Einwegmaske über Mund und Nase. Und ich nehme heute, ein Jahr später, zum zweiten Mal seinen kastanienbraunen Rucksack zur Hand, den sie uns damals in der Klinik zurückgegeben hatten, zusammen mit seiner Uhr und seinem Ehering. Und erst jetzt schaue ich ihn mir genauer an. Grob gewebt, Jeansstoff vielleicht, mehrere Reißverschlüsse. Mit einem kleinen Gorilla-Anhänger an der Seite baumelnd, Aufnäher Monkeyclip M. Das also ist der Rucksack aus der Nähe betrachtet, den er immer auf dem Rücken trug, wenn er Einkaufen ging, mit Vorliebe zum Bäcker B. ins eingemeindete Dorf O., um Brot und Semmeln für uns alle zu holen und für sich auch sogenannte Seelen, zuletzt noch wenige Tage vor seinem letzten Tag. Ich erkunde dessen Inneres, fasse vorsichtig rein, nicht, dass sich am Ende noch eine inzwischen versteinerte Seele darin findet, an der wir uns die Zähne ausbeißen würden. Aber außer zwei Packungen Tempo-Taschentücher und einem Jutebeutel mit der Aufschrift Carl-Spitzweg-Gymnasium (seine Schule …) sowie einem giftgrünen Taschenschirm und einer Schirmhülle im Schottenkaro ist er leer. Weßling, 29.04.2022 |
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17.04.2022 |
»Heid muas i no d’ Mädi giassn«, pflegte Vater zu sagen, wenn er seit seiner Pensionierung jedes Jahr wieder vom Frühling bis zum Herbst gleich nach dem Frühstück aufbrach, um das Grab seiner Schwiegermutter zu gießen, neben der er heute selbst unter der Erde liegt. In den ersten Jahren legte er die Strecke von circa 700 Metern von zuhause bis zum Friedhof noch mit seinem einfachen, silberfarbenen Fahrrad mit Dreigangschaltung zurück, kräftig in die Pedale tretend, meist permanent den Kopf von rechts nach links und von links nach rechts drehend, nur selten gerade aus schauend und fast immer nur eine Hand am Lenker, weil er mit der anderen ununterbrochen rundum winkte und geradezu überschwänglich all jene begrüßte, die ihm begegneten. Für die meisten von ihnen hatte er noch im Vorbeifahren einen aufmunternden, witzigen oder auch spritzigen Spruch parat, er bestellte allseits schöne Grüße nach daheim und kassierte mehr als einmal von Seiten der Hauptstraße erschreckend laute Hupsignale, weil er während seiner einarmigen Radeleien und vielen Ablenkungen ständig Gefahr lief, von einem PKW erfasst zu werden bzw. mit einem solchen zu kollidieren. In den letzten Jahren legte er die allmorgendliche Route fast nur noch zu Fuß zurück, per pedes, wie er es nannte, anfänglich noch mit flottem Schritt, wobei er natürlich ständig nach begrüßbaren Mitmenschen Ausschau hielt, sein Kopfradar nervös rotierend, − und er dabei allzeit bereit für verbale oder tatsächliche Umarmungen. Nach und nach aber war er langsamer unterwegs, wirkte zunächst etwas unsicher im Gang, dann zunehmend auch wackelig auf den Beinen, und zuletzt war von ihm, der fast sein ganzes Leben lang allen Menschen so fröhlich begegnete, nicht viel mehr übriggeblieben als ein Schatten, der Schatten seiner selbst. Aus seinem schleichenden Gang, seiner gekrümmten Körperhaltung war schon rein äußerlich ablesbar, welche Blessuren, welche Schrunden, aber auch welch tiefe Wunden all die Lockdown-Endlosschleifen mit ihren Distanzgeboten bei ihm hinterlassen hatten, sein aufrechter Gang, sein überschäumendes Temperament, weg, auf einmal weg. Oft schlich er nur noch, vornübergebeugt, zum Gottesacker, und das Gehen fiel ihm schwerer und schwerer. Vater liebte die Repetition. So viele Jahre hatte er Mädis Grab immer wieder aufs Neue mit der Gießkanne abgebraust, danach ein Vaterunser für sie gebetet und dasselbe Ritual Tag für Tag zwanzig Meter weiter am Grab seiner Eltern und seiner beiden Geschwister wiederholt. Seine kleine Schwester, sein kleiner Bruder, bereits während des Zweiten Weltkriegs auf schmerzhafteste Weise, auch für ihn, ums Leben gekommen: Diphtherie, kein Penicillin zur Behandlung und schließlich ein Bombenangriff auf die Kinderklinik in München, die so lichterloh brannte, dass ihr Feuerschein bis in Vaters Dorf Weßling zu sehen war. Nach dem Friedhofsbesuch und den neusten Nachrichten von dort, wer inzwischen schon wieder das Zeitliche gesegnet hatte, belohnte sich Vater selbst mit einem kleinen Umweg zu seinem geliebten See, aber ohne dort allzu lange zu verweilen, weil in seinem Studierzimmer noch die ungelesenen Tageszeitungen auf ihn warteten, nach deren ausgiebiger Lektüre vielleicht sogar noch ein Bad im See drin war, ein Schwumm, sofern Petrus sein Placet erteilte. Wobei dann aber Vaters Begegnungen mit all den anderen Badegästen meistens schon am Strand so viel Zeit in Anspruch nahmen, dass für das Schwimmen selbst nur noch gut fünfzehn Minuten übrig blieben, weil zu Hause pünktlich um zwölf bereits Mutter mit dem Mittagsessen auf ihn wartete und er keinesfalls auch nur eine einzige Mahlzeit verpassen wollte, vermutlich, weil er bereits als Kriegskind hatte erleben müssen, dass ein gedeckter Tisch keine Selbstverständlichkeit ist, wenn man mit nur zwei Lebensmittelmarken bewaffnet, stundenlang Schlange vor dem Dorfbäcker stehen muss, um an die spärliche Tagesration Brot für eine nicht gerade auf Rosen gebettete, sechsköpfige Familie zu kommen. |
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10.04.2022 |
So klein ist die Welt! »Bist du jetzt unter die Rocker gegangen«, frag ich Vater, als er mir, circa drei Jahre vor seinem Tod, an einem sonnigen Frühsommertag in einem sehr seltsamen Aufzug draußen vor dem Elternhaus begegnet. Über seinem beigen Wildlederjanker trägt er eine schwere, schwarze Motorradjacke, viel zu groß geraten für ihn, der sonst immer wie aus dem Ei gepellt unterwegs ist, selbst im Dorf, und über seinem rechten Arm baumelt fast lässig eine weitere, etwas starrig wirkende, braune Lederjacke, die, so abgewetzt wie sie ist, ihre besten Tage schon etwas länger hinter sich zu haben scheint. »Ist dir das nicht zu warm«, frotzle ich, und er erwidert, »Du wirst nicht glauben, was mir gerade passiert ist«. Ihm habe am S-Bahnhof in Weßling ein Mann in den Vierzigern angesprochen und ihn gefragt, ob er sich denn noch an ihn erinnern könne. »Du bist doch Mike«, habe ihm Vater nach kurzem Überlegen geantwortet. Vater, dessen phänomenales Personengedächtnis viel gepriesen wurde: Ein Direx, der all seine Zöglinge, mit den Jahren tausende, liebevoll beim Vornamen rief, wenn sie ihm in der Schule begegneten und sie auch Jahre später noch so ruft, wenn sie ihm über den Weg laufen, manche von ihnen inzwischen schon selbst Schülereltern. »Du hattest doch Latein bei mir, Mike.« »Wahnsinn, Sie erinnern sich noch an mich«, habe dieser gestaunt, und danach sei sein Leben nur so aus ihm herausgesprudelt. Er habe das Informatikstudium geschmissen und sei dann viel in der Weltgeschichte herumgekommen. Zuletzt habe er in São Paulo in der Niederlassung eines US-Software-Konzerns gearbeitet. Jetzt sei er für einige Wochen zurück in »Old Europe«, um seine Eltern zu besuchen, und – fast könne er es selbst nicht glauben –, ausgerechnet hier, in Bayern, das sich selbst so gern als eines der sichersten Länder der Erde rühme, sei ihm die Brieftasche gestohlen worden, mit allem Bargeld, Ausweispapieren, Kredit- und Scheckkarten. Jetzt könne er sich nicht einmal mehr aus dem Automaten eine Streifenkarte ziehen, um in der nächsten Polizeistation Anzeige zu erstatten. Vater wäre nicht Vater gewesen, wenn er nicht seinem Ex-Schüler stante pede aus der Patsche geholfen hätte, und zwar mit dem einzigen Schein, der sich an diesem Tag noch in seinem Portemonnaie befand, einem Hunderter. Um Gottes Willen, das sei ja viel zu viel, habe Mike, dieser hochanständige Kerl, sofort abgewehrt. So viel Kredit könne er nicht beanspruchen, ohne Vater zumindest dafür ausreichend Pfand zu gewähren. Mike habe dann gleich aus seiner verbeulten Sportasche jene beiden Lederjacken gezogen, die ihn schon durch aller Herren Länder begleitet hätten, und die er hiermit seinem alten Schuldirektor zu treuen Händen übergebe, um sie ihm so lange zu überlassen, bis er ihm die einhundert Euro demnächst wieder persönlich zurückzahlen werde. Vater habe ihm dann noch seine Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben und danach habe sich Mike mit einer herzlichen Umarmung von ihm verabschiedet und sich unverzüglich auf den Bahnsteig begeben, um so schnell wie möglich zur Polizei zu gelangen und danach zu seinen Eltern, die sich bestimmt schon riesig auf das Wiedersehen mit ihrem Sohn freuten, auf den sie richtig stolz sein könnten. Weßling, 9.04.2022 |
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03.04.2022 |
Wenn du heute noch auf der Welt wärst, Vater, dann wärst du schon in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, ums Blättle reinzuholen, wie du dein tägliches Zeitungsmüsli zum Frühstück so gern zu bezeichnen pflegtest, und du hättest dich über den Pappschnee am zweiten April sehr geärgert, der sich über Nacht, wie vorab von deiner Wetterstation korrekt angezeigt, nicht nur in unserem Garten, sondern in unserem gesamten Viertel als schwere, nasse Weißschicht ausgebreitet hat, fast alles überdeckend, wie wenn er extra darauf abzielen würde, die erste Blüte zu ersticken und die Vögel bei ihrer anstrengenden Brut zu behindern, und du würdest so schnell wie nur möglich wieder fluchend ins Haus zurückkehren und die Tür hinter dir zuschlagen, damit ja keine Kälte von draußen mit nach innen dringen kann, da du doch immer und überall so schnell gefroren hast, in ständiger Angst, dich zu erkälten. Das Kippen von Fenstern oder Lüften war deine Sache nicht, und so hättest du es auch heute unterlassen. Stattdessen hättest du dich wie immer um diese Zeit vor deinen Kachelofen begeben und wärst vor ihm sogar in die Knie gegangen, um durch sein gusseisernes Türl bereits in der Nacht zuvor von dir akribisch vorbereitete Buchenholzscheite mit einem Grillanzünder zu entflammen, um möglichst schnell für dich angenehme Temperaturen zu erzielen, man könnte auch sagen, um eine Bullenhitze in die gute Stube zu bringen. Beim Decken des Frühstücktisches würdest du den in den Räumen hängenden, leicht beißenden Benzingeruch des Anzünders ausblenden, dich stattdessen am wohligen Knacken der Scheite erfreuen und schon insgeheim ans erste, lautstarke Klingeltohuwabohu deiner drei oder vier parallel geschalteten Telefonmobilteile denken, von denen du immer mindestens zwei verlegt hattest, also daran denken, wie es wohl wäre, wenn dich diese oder jener anrufen würden, um sich von dir beraten zu lassen for free in Angelegenheiten, wo guter Rat teuer ist, etwa das schulische oder berufliche Fortkommen betreffend. Und du würdest schon allein den Gedanken genießen an alle bei dir durchklingelnden Mütter, die von dir noch viele Jahre nach deiner Pensionierung als Schulleiter hören möchten, wie klug doch ihre Söhne und Töchter immer schon gewesen und es bis heute auch geblieben seien, wie hochbegabt, wiesehr auf dem besten aller richtigen Wege befindlich, und du würdest sie einmal mehr aufbauen durch das bloße Bestätigen ihrer Wunschvorstellungen. Deine lobenden Worte wären nichts als Balsam für die geplagten Seelen der Mütter, aber auch für deine ehemaligen Schülerinnen und Schüler, in Studien-, Lebens- und Arbeitskrisen befindlich oder für deine Ex-Lehrerinnen und -Lehrer, für deren Beförderung du dich über dein privatministerielles Netzwerk verwenden solltest. Das Gefühl, noch immer gebraucht zu werden, würde dich auch durch so triste Tage wie diese ersten Tage im April Zwanzigzweiundzwanzig retten, dir dabei helfen, deine dich immer mehr einschränkenden Gefäßerkrankungen weiterhin erfolgreich zu ignorieren und über all diesen Dauertelefonaten vielleicht sogar den unfassbar grausamen russischen Überfall auf die Ukraine wenigstens zwischendurch einmal zu vergessen, aber auch jenen furchtbaren Krieg, den du noch als Kind in Form des verlustreichsten Konflikts der Menschheitsgeschichte erleben musstest und der dich ein Leben lang traumatisiert hatte und stets zu Tränen rührte, etwa wenn du nur kurz auf aus dem Feld heimkehrende Soldaten zu sprechen kamst oder auf geflüchtete Menschen, die mit nichts unterm Arm zerlumpt in dein Dorf kamen, um dort, eher weniger als mehr gelitten, endlich Schutz zu finden vor dem Bombenhagel, dem sie gerade noch mit letzter Kraft samt ihren Kindern entkommen waren. Weßling, 02.04.2022 |
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20.03.2022 |
Da ist so wenig Poesie z. B. im Vorgestern meiner Frau als Allgemeinärztin nach 20 Uhr auf Hausbesuch im Nachbarort bei einem alten Mann. So hilflos liegt er da vor ihr mit über neunzig Jahren auf dem Buckel, sein Kopf hochrot vom hohen Fieber, kaltschweißig, er zittert, ist schon ganz verwirrt, kaum ansprechbar. Da ist so wenig Poesie beim Führen von einem Telefonat nach dem anderen um diese Zeit nach einem Zwölfstunden-Arbeitstag, mit einer Klinik nach der anderen, geschlagene zwei Stunden lang ein Nein nach dem anderen, Nein, wir haben kein Bett mehr frei, tut uns leid. Die Sanitäter werden immer unruhiger, weil ihre Schicht bald enden wird und sie den ganzen Tag lang nichts als Nein gehört haben, und auch heute schon von München aus ein Klinikum in Erlangen anfahren mussten, nach jedem Einsatz ihr Fahrzeug komplett desinfizieren. Und kurz nach 22 Uhr werden sie endlich abgelöst, erlöst und meine Frau telefoniert noch immer, bis der zweiten Sanitäterschicht der Geduldsfaden reißt: Wir bringen ihn jetzt in die nächste Notaufnahme, wenn wir ihn dort absetzen, müssen sie ihn erstmal nehmen! Da ist so wenig Poesie in der Verzweiflung der Angehörigen, bei ihrem alten, kranken Vater, Schwiegervater, soweit er etwas mitbekommt in seiner Erschöpfung, da ist Verzweiflung auch bei meiner Frau, sie sagt, Die machen einfach dicht, sobald sie das Alter hören, und sie sagt auch, Das ist nichts anderes als eine Triagierung, und ein Sanitäter sagt, Wir haben die höchsten Corona-Zahlen seit je und die Politik sagt, Wir haben keine Überlastung, es gibt genügend Betten, und sie rufen nur noch nach Lockerung, Öffnung, nach einem Freedomday, was für ein idiotisches Wort, und alle hier schauen sich nur noch an und fühlen sich so im Stich gelassen von allen. Da ist so wenig Empathie im dritten Jahr der Pandemie, da ist so wenig Platz für Poesie in diesem Text, der eigentlich ein Gedicht hätte werden sollen. Weßling, 19.03.2022 |
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13.03.2022 |
Fast ein schlechtes Gewissen heute Morgen im Hotel in Bayreuth, als ich es warm herabregnen lasse auf mich im Bad, während sie keine 1700 km weiter in kalten Kellerlöchern ausharren müssen und um ihr Leben zittern, ausgehungert, durstig, wo ihre alte Welt in Schutt und Asche gebombt wird, und ich beim Gedanken daran die Temperatur drastisch herunterzuregeln beginne, und wir uns auch später nicht so richtig anlachen lassen vom strahlend blauen Himmel, vom reich bestückten Buffet, eine einfache Semmel ohne Pipapo tut‘s auch beim Frühstück, aus Solidarität bleiben daheim die Thermostate auf Eins oder auf Stern und wir wählen Daunenjacken statt Gas vom Diktator. Putin, stop war!, auf dem LKW-Anhänger aus Polen negativ in Schmutz gekritzelt, wir stimmen zu und werden dabei geschnitten am Schkeuditzer Kreuz von einem verspoilerten Kleinwagen aus Korea mit amtlichen Kennzeichen KI-LL-NeunNeunNeunNeun, und auch dieser Irre am Steuer lässt unseren alten Traum ziemlich alt aussehen: Frieden schaffen ohne … 12.03.2022 |
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06.03.2022 |
Make love, not war, war Vaters innere Haltung, auch wenn er sich nie als Hippie gefühlt hat und rein äußerlich auch keinen verkörperte, weil er dafür einfach aus dem falschen Stall kam, ohne das nötige Kleingeld der Alten im Kreuz für Shit und Pipapo − und wo zum Teufel hätte er Hasch herbekommen sollen im großen Schlafsaal des katholischen Internats, in das er von daheim abgeschoben worden war als Lausbub, heute würde man sagen, als hyperaktives Kind. Allein die nackte Vorstellung davon, eine einzige Nacht mit dreißig anderen Jungs in einem muffigen Raum verbringen zu müssen, lässt einen frösteln, die Unruhe, die Ausdünstungen, das gegenseitige Sich-um-den-Schlaf-bringen durch Gruselgeschichten oder durch Einander-Piesacken. Von den kurzen Erektionen im Traum sind sicher nur ein paar warme Gedanken als Proviant für den streng geregelten Alltag unter mönchischen Lehrern geblieben. Jedoch die ungefähre Vorstellung davon, wie es wohl sein könnte, mit einem Mädchen eng zusammen zu sein oder wie sich feste Brüste in etwa anfassen würden, ergab sich wohl aus der Lektüre streng verbotener Stellen römischer Klassiker nach dem Unterricht beim späteren Selbststudium in der Klosterbibliothek. Aber wen die Kraft der Natur hinzieht zur Liebe, der lässt sich durch nichts und niemanden davon abhalten, das zu tun, was man nicht lassen kann und dann auch nicht lassen sollte. Und Vater tat gut daran, genau das zu tun, was er wollte und so schaffte ein strategisch gut gewählter Tanzkurs in München die solide Grundlage für meine alsbaldige Zeugung in Paris, zu einem Zeitpunkt, als Vater und Mutter noch nicht einmal volljährig waren … Gut fünfzehn Jahre später wollten mir beide stolz die Stadt der Liebe, ihrer Liebe, zeigen und natürlich durfte damals auch schon meine Freundin mit an die Seine, in dieselbe Pension, wo sich einst Vater und Mutter zum ersten Mal ganz nahe gekommen waren, und die beiden tischten uns zum Frühstück vogelwilde Geschichten auf, etwa die vom verrückten Ethnologen, der sie im Amüsierviertel eingeladen hatte in ein nordafrikanisches Nachtlokal zur Zeit des grausamen Algerienkriegs, um in einem Feldversuch zu erforschen, so soll er es ihnen später gebeichtet haben, wie man dort auf Vaters blonde Freundin, meine Mutter, reagieren würde, und nur ein mitgekommener Freund, ein junger türkischer Offizier, konnte sie und den Professor der Anthropologie mit seiner gezückten Dienstpistole aus der höchst brenzligen Situation befreien. Weßling, 05.03.2022 |
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27.02.2022 |
Vater, was gäbe ich dafür, wenn du heute in deinem Studierzimmer sitzen würdest, und ich dich, wie so oft, als eine Art Orakel von Delphi befragen könnte, und zwar zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ich weiß, dein Herz hat stets für die russische Sprache und Kultur geschlagen, auch wenn alle Menschen, die du im ehemaligen Jugoslawien auf dem Weg nach Griechenland auf Russisch angesprochen hast, sofort zu dir auf Distanz gegangen sind und so taten, als würden sie dich nicht verstehen. Aber wer Fjodor Dostojewskis Idiot im Original lesen kann oder auch die Werke von Alexander Sergejewitsch Puschkin, der steht über solchen Erlebnissen, und da deine große Liebe ohnehin dem klassischen Altertum galt, und du stets aus der Vergangenheit Brücken in die Gegenwart geschlagen hast, wurdest du auch nicht müde, auf die enge Verbindung zwischen Griechen und Russen durch die orthodoxe Kirche zu verweisen. Es wäre, würdest du mir heute vermutlich sagen, zu kurz gegriffen, in Wladimir Wladimirowitsch Putin nur den halbstarken Rüpel aus dem Hinterhof zu sehen, der sich aus kleinsten Verhältnissen ganz nach oben durchgeboxt hat, und dem dann, Hehe, Kleiner Mann − ganz groß, seine Macht nach und nach in den Kopf gestiegen ist, bis sie ihm schließlich ganz die Birne vernebelt und aufgeschwemmt hat wie übermäßiger Wodkakonsum. Der kann auch Deutsch, wenn er will, war Offizier, kennt die Geschichte, zumindest die seines Landes, und ist eigentlich nicht blöd, aber gerade das macht ihn nicht ungefährlicher. Er thront allein und meint, unsere Demokratie zu kennen, und ihre eigentliche Stärke, nämlich lange Entscheidungsprozesse nach mühsamer Konsensfindung, auf dem kurzen Dienstweg durch Befehle aushebeln, und in einer Art Überrumplungstaktik, gegen sie wenden zu können. Aber dieser Möchtegernzar aus dem Fabrikarbeitermilieu mit ganz ordinär rotem Blut in den Adern sollte sich vielleicht mehr mit der Seeschlacht von Salamis zwischen den Griechen und Persern beschäftigen, die im Jahr 480 vor Christus in der Nähe von Athen tobte, und bei der die zahlen- und materialmäßig vollkommen unterlegenen Griechen und ihre Verbündeten listig die riesige persische Flotte zurückwarfen und fast aufgerieben haben – denn nach der bereits zuvor im Jahr 490 vor Christus verlorenen Schlacht bei Marathon hatte der persische Großkönig Dareios I. bekanntlich noch ein zweites Mal versucht, sich die griechischen Stadtstaaten einzuverleiben, um, Hört, hört!, die persische Staatskasse mit deren Vermögen zu füllen und um sich ein Sprungbrett für weitere Eroberungen im Westen zu schaffen. Wenn die Kleinen aber zusammenhalten, kann ein Großer auf Dauer nichts gegen sie ausrichten, und jedenfalls damals hat Europa mit vereinten Kräften seine Zivilisationsgeschichte selbst gegen den Expansionsversuch des Ostens verteidigt. Und im Gegensatz zum heutigen Putativzaren im Kreml war Dareios wirklich blaublütig, aber selbst dieser Hochwohl-geborene scheiterte zweimal kläglich, was mich wenigstens heute doch noch ein ganz klein wenig hoffen lässt, Vater. Weßling, 26.02.2022 |
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20.02.2022 |
Jetzt, in diesen lichtarmen, stürmischen Tagen, in denen das Virus noch immer seine bleiernen Wolken über uns aufspannt und weiterhin alle höherfliegenden Pläne ausbremst, jetzt, da sich Politiker*innen wie aufgescheuchte Hühner im künftigen Lockern von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegeneinander zu überbieten versuchen, während täglich noch immer mehrere hundert Menschen allein in unserem Land am verfluchten Virus krepieren, ohne dass es noch jemanden besonders zu jucken scheint, jetzt da unsere Vorsteher*innen Klimarettung so praktisch ausgestalten, dass sich bald nur noch Bessergestellte den Luxus einer warmen Stube leisten können, jetzt, da sich der ewige Präsident des einstigen Ostriesenreiches R. mit versteinerter Miene hinter seinem XXL-Schleiflack-Tisch in Elfenbeinweiß verschanzt, um an dessen anderen Ende abwechselnd die sog. West-Leadership zu platzieren, und alles dabei ein wenig an eine Wippe im Kindergarten erinnert, von der gleich das erste Balg schreiend herunterpurzeln wird, und der besagte Präsident sich bei aller Lächerlichkeit seiner Tischinszenierung selbst vorgaukelt, er habe Eier aus Stahl, während er sich in Wahrheit nur auf die Feuerkraft seiner versoffenen Soldateska stützt, die für seine Großmannssucht am Ende den Kopf hinhalten muss, jetzt also, in diesen, fast möchte ich sagen, beschissenen Zeiten, zähle ich die verstrichenen Stunden, Tage, Monate seit deinem plötzlichen Tod und stelle fest, es sind zu viele schon (»fugit irreparabile tempus«, Vergil), und ich meine einmal mehr, bis jetzt hast du nicht allzu viel versäumt und ich fürchte, du hättest an all diesen kleinen und großen Aushilfs-Macchiavellis keine rechte Freude gehabt, die vom Werk Il Principe nicht recht viel mehr missverstanden haben als das allgemeine Prinzip, Der Zweck heiligt die Mittel, und ich stehe hier an deinem Grab unter dem geschmiedeten Kreuz, wo noch immer die bronzene Tafel fehlt mit deinem Namen, weil der Graveur außerstande ist, insgesamt vier Zeilen fehlerfrei zu gravieren, worüber du herzlich lachen würdest, wie ich dich kenne, gekannt habe, denn Es ist eine sehr große Kunst, einen so einfachen Namen falsch zu gravieren, hör ich dich frotzeln, und den Zahlendreher in deinem Sterbedatum würdest du ihm als lässliche Sünde durchgehen lassen und vielleicht damit entschuldigen, dass der Graveur nicht die richtige Schule besucht hat, nämlich deine, denn bei dir hätte er gelernt, Namen richtig zu schreiben und Ziffern auch, und ich bewundere einmal mehr die Zärtlichkeit und Geduld, mit der du lange Zeit deine Mutter im Pflegeheim gefüttert hast, die dich, ihren ältesten Sohn, nicht mehr erkannte, ihr Löffel für Löffel eingegeben hast Tag für Tag, ihr, die manchmal so grob war zu dir in ihrer stockkatholischen Brutalität, als sie noch mehr oder weniger bei Verstand war – und das, obwohl dir Geduld stets so schwer gefallen ist als ständig rotierender Mensch mit akutem Helfersyndrom, und ich ertappe mich beim Hadern mit Gedanken wie Hättest du doch mehr auf dich geachtet, dann hättest du dir selbst mehr geholfen, und du könntest heute noch anderen helfen, was du doch eh am liebsten getan hast. Weßling, 19.02.2022 |
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13.02.2022 | Need gnua griang
Am End bassiad oiss, wosda Voigg aa need rechd vui mera Deidsche Auf-oan-Aug-Blind- Weßling, 12.02.2022 |
Den Hals nicht vollkriegen
Am Ende passiert alles, was man Volk wahrscheinlich auch nicht recht viel mehr Deutsche Auf-einem-Auge-Blind- Aus dem Bairischen vom Autor |
06.02.2022 |
Erster Tabakkonsum, besser kontrolliert und richtig angeleitet als verboten und abgedrängt ins Heimliche, Stille, Leise − so Vaters pädagogisches Credo auch in diesem Punkt. Folglich schenkte er mir bereits im Grundschulalter einen kleinen Nasenkocher, wie er die Minipfeife zärtlich zu nennen pflegte, dank ihrer geschwungenen Form leicht zwischen den Zähnen zu halten, schwarz und sandgestrahlt, dasselbe robuste Modell, wie er es in Groß so gern benutzte beim Korrigieren von Schulaufgaben − weiß Gott, wie und wo es ihm gelungen war, dieses kindgerechtere Stück zu beschaffen. Welch kostbares Geschenk für den Sohn, zusammen mit einem einklappbaren Pfeifenbesteck, bunten, baumwollumsäumten Reinigungsstäbchen und italienischen Überallanzündern, Fiammiferi Cerini, sogar an Pantoffelsohlen zu entflammen, wie er mir gleich demonstrierte oder an der Wand, wo allerdings rote Streifen zurückbleiben könnten zu Mutters späterer Freude … Locker stopfen, leitete er mich an, sonst brennt sie nicht, und so verfüllte ich jene dänische Tabakmischung mit mild duftenden Fruchtnoten, die mir Vater feierlich zureichte, Krümel für Krümel in mein Pfeiflein, das ich behandelte als wär’s ein rohes Ei, stolz wie Oskar, selig im konspirativen Gefühl, gerade etwas tun zu dürfen, was noch keinem meiner Freunde erlaubt war und auch nicht so schnell erlaubt werden würde. Vorsichtig ziehen, nicht zu fest, nicht zu viel Rauch einatmen auf einmal! Die väterlichen Warnungen im Überschwang überhört und sofort mit einer Hustenkanonade bezahlt sowie einer fürchterlich brennenden Zunge, aber schon einige Züge später seliges Staunen als ringförmige Rauchzeichen aufstiegen von meinem improvisierten Römerlager auf dem weißen Berberteppich, die sich über Vaters schwerem Schreibtisch mit seinen dicken Schwaden zu einer regelrechten Wolke vereinten unter der Zimmerdecke, bis wir das Doppelflügelfenster zum Garten öffneten, um es als Dunstabzugshaube zu nutzen, damit Mutter nicht mehr Rauch riechen konnte als er sonst aus Vaters Zimmer drang. Männerangelegenheiten sollten unter uns Männern bleiben, so Vater, und ich schwor, alles für mich zu behalten und gab ihm auch mein großes Centurio-Ehrenwort darauf, gültig bis zu unserer nächsten Verabredung zum geheimen Pfeifenclub. Weßling, 05.02.2022 |
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30.01.2022 |
Nach dem Tod des überlebenden Elternteils einigten sich mein Freund und sein Bruder darauf, alles im Haus so zu belassen, Strom, Wasser etc. weiter zu bezahlen. Samstags kommt dann einer von ihnen heim, sieht nach dem Rechten, lüftet, fläzt sich auf die Couch, blättert im zerfledderten TV-Programm, zappt sich durchs Vier-zu-drei-Format, nickt dabei ein, döst und löst sich danach wieder vom Zuhause, vom vertrauten Gefühl, Vater und Mutter säßen mit im Wohnzimmer. Was für eine Verschwendung von Wohnraum dachte ich immer dabei − und sowas musst du dir erst einmal leisten können! Jetzt aber, acht Monate nach Vaters Tod, ist in seinem Zimmer noch immer alles an dem Platz, den er selbst dafür ausgewählt hatte, jeder Stift, jeder handbekritzelte Notizzettel mit Telefonnummern, die mir nichts sagen. Der letzte Tag, den er darin verbracht hat, verlängert sich so jeden Tag aufs Neue, und ich stelle seine Pendeluhr, die nachgeht, immer wieder vor, ziehe ihre beiden Gewichte hoch, stoße das Pendel an, lade ständig neue Updates auf sein Notebook und installiere sie, ohne seine voreingestellten Seiten aufzurufen, Google News Italia z. B. Dies alles geschieht nur, damit er sich sofort zurechtfindet, wenn er wiederkehrt, und bis dahin wird abends warmes Licht aus seinem Zimmer dringen und mir den Weg beleuchten, wenn ich heimkomme nachts von der Arbeit und die Abkürzung über die Terrasse nehme, um ihn zu sehen, und er wird noch wach sein, an seinem Tisch sitzen und studieren, und er wird seine rechte Hand wieder locker heben können und mir zuwinken, zuzwinkern, lässig, und ich werde zurückwinken, voller Freude, dass er noch auf ist, und lesend wacht als guter Geist über unser Haus. Weßling,29.01.2022 |
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23.01.2022 |
Der dir Halt gab so oft Weßling, 22.01.2022 |
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16.01.2022 | Bumarang
Da Vadda woidd Wias awa nachad Weßling, 15.01.2022 |
Bumerang
Vater wollte Als es aber schließlich Aus dem Bairischen vom Autor |
09.01.2022 | Dreizehn nach Zwölf
Gleich am ersten Tag nach den zwölf Nächten erscheint mir mein Vater quietschfidel und voller Geschichten über unser Dorf aus der Zeit, als sich noch keine alte Sau dafür interessierte, also keine Spekulanten, Makler, Neureichen, Erben, und es noch nicht einmal Straßennamen gab, stattdessen durchnummerierte Häuser. Hinter einer der Ziffern hauste Simon, seines Zeichens Eckschneider Simmerl, Herrenfrisör mit Hinterzimmersalon-Küchenkombi, laut Vater für seine eckigen Stufen gefürchtet, die er allen ohne Ansehen der Person ins Haar schnitt, sodass danach alle gleich alt aus der Wäsche schauten und sich schämten für sich und ihn, und als er dann auch noch zu zittern begann bei der Arbeit, was er selbst auf seine Kriegsgefangenschaft in Russland zurückführte, und deshalb auf eine Schermaschine umstieg, soll er nur noch als Simon Glatzenschneider Furcht und Schrecken verbreitet haben bei allen, die noch gut aussehen wollten, um eine Frau zu finden – und auch ich sehe mich schon bei Simon G. auf dem elektrischen Stuhl und er wäscht mir ordentlich den Kopf, bevor er den Saft aufdreht und ich zu schmoren beginne, während Vater mir wieder Ciao sagt, weil er Umzugsvorbereitungen treffen müsse nach Westberlin um eine Altlehre als Herrenfrisör zu beginnen, wie er mir unter dem strengen Siegel der Verschwiegenheit verrät, damit ich es ja nicht Mutter erzähle und ich mich noch wundere, warum ein Altphilologe, konservativ wie er und mit zwei linken Händen ausgestattet, ausgerechnet nach Berlin, aber dann diese Frage gottlob nicht weiter vertiefen muss, weil mir das Rumpeln der Müllabfuhr geigt, wo die Musik hier und jetzt wirklich spielt und nach zwölf rauen Nächten ein nicht weniger rauer Tag anzubrechen scheint. Weßling, 08.01.2022 |
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02.01.2022 | 2022, Hurra
Wir stehen wieder auf Weßling, 01.01.2022 |
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26.12.2021 |
Vaters Platz am Tisch am ersten Heiligen Abend ohne ihn verwaist. Er, der Weihnachtsmuffel, wollte immer ein christliches Fest feiern und stieß dabei auf halb taube, halb offene Ohren, so dass er übersprungartig früh oder später ins Politisieren geriet, was regelmäßig zu Streit führte mit dem Sohn, während sich auf der Couch mehr und mehr betretenes Schweigen breitmachte. Er hätte gestaunt, wenn er uns so gesehen hätte, wie wir da saßen vor dem Fernseher, konzentriert auf die Stille Nacht in Rom, ganz in seiner Stadt an seiner statt, in der Ewigen Stadt also für alle Lateiner, und dem sehr schwer atmenden Papst an den Lippen hingen, hinter seiner etwas verwaschenen Stimme, seinem Nuscheln die kristallklaren Worte förmlich einsogen von der eigentlichen Revolution des Christseins, der ewigen Suche nach Gott im Kleinen und Kleinsten, im Elend, das Bild vom neugeborenen Königskind, gewindelt in der Krippe im Stall zwischen Eselin und Ochs, zwischen Maria und Josef und den Hirten, in aller Anmut und Armut scheißend auf römische Bonzen unter Kindermordverdacht, namentlich auf König Herodes, auf Präfekt Pontius Pilatus und zweitausend Jahre später vielleicht auch auf die Kurie in Rom. Weßling, 25.12.2021 |
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19.12.2021 | Politischer Diskurs, kleinteilig
48,3 Millionen Euro: Die Summe spricht Ich diskutiere heute Wir sind uns Ach ja, die Frage Für mich Weßling, 18.12.2021 |
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12.12.2021 |
Vaters Laune am Hl. Abend senkte sich alljährlich mit jeder Stunde, bis sie zur Bescherung um 18 Uhr schließlich ganz im Keller war. Er hätte uns so gern ohne Ende aus der Weihnachtsgeschichte des Neuen Testaments rezitiert auf Altgriechisch, mit glasigen Augen und sich brechender Stimme nahe am Predigtton, was uns schon immer nach einer geschlagenen Viertelstunde ein wenig zu viel des guten Urchristentums wurde, weil Mutter eher zum Singen aufgelegt war, nach Lasst uns frooohoo … o Tannenbaum, o, was wiederum Vater missfiel, weil ein Tannenbaum nichts und schon dreimal nichts mit der christlichen Weihnachtsbotschaft am Hut habe, auch wenn er bisweilen als Christbaum missverstanden werde, sei er heidnisch konnotiert, et cetera pp. Und während Bibel und Singen die Klingen kreuzten, stachen mir als Bub die großen und kleinen Päckchen ins Auge, deren Bänder und Klebefolienstreifen ich immer so schnell wie möglich lösen wollte, um ihnen die glitzernden Geschenkpapierkleider endlich vom Leib reißen zu können. Zwischen den verschiedenen Weihnachtspolen herrschte eine fast elektrische Spannung, die sich mitunter sogar in Geschrei oder in trotziges Schweigen entladen konnte. Aber Hand aufs Herz, wie viel würden wir heute dafür geben, wenn Du, Vater, am 24.12. in Deinem Lehnstuhl sitzen könntest, beide Füße auf dem Schemel, und uns Deine Bibellesung abhalten würdest aus dem Griechischen, um im Anschluss alles frei ins Deutsche zu übertragen. Und dann würde ich Dich auf einmal mit einem Disput überraschen über den vielleicht doch heidnischen Ursprung des Weihnachtsfests, und Dich auf Kaiser Aurelian ansprechen, der bereits den 25. Dezember 274 als reichsweiten Festtag für den Sonnengott Sol Invictus festgelegt hatte, während der 25. Dezember erst seit dem Jahr 336 in Rom als kirchlicher Feiertrag belegt ist. Christus verus Sol, Christus, die wahre Sonne oder Christus versus Sol, Christus als Widerpart oder Alter Ego des Sonnengotts. Das dialektische Weihnachtskitzeln zwischen uns würde Dir vielleicht sogar das schlechte Gewissen wegen der Christmettenschwänzerei verdrängen, und, ich bin mir fast sicher, danach würdest Du sogar mit uns einstimmen ins Singen und damit beginnen, Deine Geschenke neugierig zu entkleiden. Weßling, 11.12.2021 |
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05.12.2021 | Machd wäxln
Kummd wos Wos kummd, Kumma. Wea Dageng? Kos imma Hoid scho, Ezad is Weßling, 03.12.2021 |
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28.11.2021 | Ein Mann ohne Schurz
ist nur halb angezogen, sagen sie in Südtirol, von wo aus einst einige unserer Vorfahren aufgebrochen sind – vom Passeiertal in die Oberpfalz, von der Oberpfalz nach Oberbayern. »Ein Anton Leitner kämpfte Seite an Seite mit dem Sandwirt für ein Freies Tirol, gegen bajuwarische Besatzer und gegen die Franzosen«, wie mir Vater erzählte. Er hielt sogar einmal Ende der Sechzigerjahre auf einem Gebirgspass an, um mir seinen, meinen, Großvaters, Urgroßvaters, Ururgroßvaters Namen Anton Leitner neben dem von Andreas Hofer zu zeigen, was mich schwer beeindruckt hat als Bub. Daheim erledigte Vater nicht die kleinste handwerkliche Verrichtung ohne seinen Schaber, jenen enzianblauen Bauernschurz aus der längst verlassenen Heimat, und wenn er gut beschürzt im Garten vor meinem Fenster den zweirädrigen Korbwagen voller Buchenholzscheite vorbeizog und mit einer Hand freundlich hereinwinkte, wusste ich, dass es Frost geben würde in der kommenden Nacht, und er wieder seinen dunkelgrünen Grund-Kachelofen mit der moscheeartigen, weißen Kuppel befeuern würde, dessen wohlige Wärme ihm heilig war, weil er statt trockener Luft (wie die Zentralheizung) fein dosiert Hitze abstrahlt und dabei zwischendurch knistert, knackt oder zischt, und der geöffnete Schieber am Ofentürchen züngelnde Flammen zeigt oder die glimmende Glut, so oder so ähnlich lautete jedenfalls Vaters großes Ofenlob. Er, der schnell fror, vielleicht weil er als Kriegskind schon so viel hatte frieren müssen, zitierte als alter Lateiner gerne dabei den Bannspruch von der Untersagung des Wassers und des Feuers, aquae et ignis interdictio, den Entzug des Lebensnotwendigen als Höchststrafe Roms. Aber er brauchte wirklich nicht mehr als Feuer im Ofen und etwas Licht und seinen schweren Lehnstuhl und eine gute Lektüre, meist auf Italienisch oder Spanisch, und ein Wörterbuch dazu, um ganz bei sich zu sein. Wie gerne hätte ich ihm seinen gekachelten Ofen mitgegeben unter die Erde, dann würde jetzt aus seiner letzten Ruhestätte statt des bronzenen Kreuzes ein silbernes Ofenrohr herausragen und an kalten Tagen wie diesen Rauch daraus austreten und vielleicht würde sein Grab sogar bullern und die fröstelnden Besucher ein wenig aufwärmen. Weßling, 27.11.2021 |
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21.11.2021 | Schäbs schoasln
Wei need sei ko, Und weis nix is, Dass is. Oiso Goa nia vo nix Nix. Weßling, 20.11.2021 |
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14.11.2021 | Zu spät ist nie zu
An der Wand der Streifenkalender Zwanzigeinundzwanzig zuhause im Flur. Das aktuelle Blatt aufgeschlagen, November, ein Eintrag nur am Zweiundzwanzigsten: Marianne H. 90. Zittrige Schrift, unruhig, weit weg von seiner kalligraphischen Bestform. Ohne Schwung, ohne ausgeprägte Rundungen, die er so liebte beim Schreiben, bei Frauen. Ordinärer Stift statt Füllfederhalter. Ausgerechnet trauriges Schwarz statt roter Tinte. Rot, seine Favoritin unter den Farben seit Tag Eins als Lehrer, als Chef, und ihr als bibelfester Christ treu und konspirativ verbunden: Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach … (Jes 1,18). Kulis mochte er nicht, weil sie den Fluss der Tinte bremsen und die flüssige Schrift. Panta rhei, alles im Fluss, Heraklit, Platon, Simplikios hör ich dich sagen, als ich erst heute, über ein halbes Jahr nach deinem Tod, den Eintrag im Kalender bemerke und ablese daraus, wie schlecht es dir schon damals, wahrscheinlich Wochen vor deinem Schlag, ergangen sein mag. Indianer kennt keinen Schmerz, du hast kein Wort darüber verloren. Was hätte uns doch alles deine erschreckend veränderte Schrift verraten können! Aber, Vater, ich weiß, nach dem Tod des Patienten ist jeder Diagnostiker noch viel klüger als zuvor. Jetzt aber werde ich für dich einspringen und Marianne H. pünktlich zum Neunziger gratulieren mit Bene vale ad multos annos, versprochen. Weßling, 13.11.2021 |
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07.11.2021 | Kopf, Hand. Schopf. Alter
Zopf: Für was Tische? Zum Ab Schranken So viel Werk Arbeit natürlich Sonst für Bro Armen, vers Sanden, ver Weßling, 06.11.2021 |
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31.10.2021 | Die Zeit eilt
Heilt Wunden Schlag Fallen Aller Singsang Priester Jahre Du Allein Mensch Herz Zünden Scherzen Mehr Wir Zeit Kein Eine Kerze So Nicht Erlangen / Weßling, 23.10.2021 |
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24.10.2021 | Hilf, wo immer
Du kannst und wem auch immer, jederzeit neugierig im Gespräch bleiben mit allen, um zu erfahren, wo sie der Schuh drückt und wo der Druck vermindert werden kann, denn jeder zufriedene Mensch mehr treibt andere weniger zur Verzweiflung, so Vaters innerste Überzeugung. Und er mischte er sich ein, ergriff Partei, wenn sein Gefühl es gebot, z. B. für die ersten Gastarbeiter im Ort, die dem Ruf der Arbeit gefolgt waren − vom Stiefelabsatz Italiens direkt zu uns im Dorf −, die ohne Kind und Kegel Kanonenöfen befeuerten im strengen oberbayerischen Winter in einer Baubaracke außerhalb vom Ort am Grund der Kiesgrube ihres Patrons, ein eingesessener Bauunternehmer mit Spitznamen Würger, nach dem Krieg aktiv in der FDP, davor engagiert in der NSDAP. Stoppelbärtige Männer, spindeldürr und kleinwüchsig, die jede hart verdiente Mark einmal im Monat nach Hause überwiesen und selbst in ihrem dauerprovisorischen Gemeinschaftsquartier von der Hand in den Mund lebten. Sie, die von allen Links-liegen-Gelassenen verstand keiner besser als einer, mein Vater, und mit ihm, dem polyglotten Professore an ihrer Seite, gingen sie am Ende als Sieger im Papierkrieg hervor, den unsere Behörden aus läppischem Anlass gegen sie angezettelt hatten, eine Art Stellvertreterkrieg vielleicht, weil sich die damalige Obrigkeit niemals an deren Chef herangewagt hätte.
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17.10.2021 | Vaters Freude auf die großen Ferien
War immer eine Vorfreude, die schon |
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10.10.2021 | Es hilft nichts, Augen auf und Im Mittelalter war der zehnte und Längste Monat im gregorianischen Kalender heilig, Oktober, Hochzeit Für aristokratische Hochzeiter, König Und Königkinder & Co., aber ich er- Kenne ehrlich gesagt heute nichts Heiliges mehr in dieser Zeit der Schwindsüchtigen Tage und zu- Nehmenden Finsternis, besonders Heuer, wenn es oft so bedenklich Still bleibt im Haus, weil kein Tele- Fon mehr klingelt und die Pendel- Uhr keinen Ton mehr von sich gibt, Da keiner mehr regelmäßig daran Denkt, ihre Gewichte hochzuziehen. Wir haben es wohl als zu selbst- Verständlich hingenommen, dass Du verlässlich unten in deinem Studierzimmer gesessen bist und Unterwegs warst in der Welt als Eine Art Seniorsurfer im Netz, stets Neugierig darauf, wie deutsche Politik international ankommt, Und zu diesem Zweck spanisch-, Englisch-, italienisch- oder fran- Zösischsprachige Suchmaschinen Bemühtest, obwohl du dich sonst So schwer getan hast mit der Computerei, wie du sie nanntest. Wir, leicht genervt von deinen Dauertelefonaten mit ehemaligen Schülern, Eltern, Lehrern, du, da- Zwischen kurz durchklingelnd Beim Sohn, um zu fragen, wo Sich denn heute wieder dieses Verflixte @-Zeichen verstecke Auf der Tastatur. Aber eine kurze Antwort auf meine Gegenfragen, Z. B. Wie lautet im Lateinischen Der Plural von iocus, war immer Drin − ein lebendes Lexikon im Haus, nicht aufzuwiegen mit Gold! Nikotin entfaltet auf Hyper- Aktive eine beruhigende Wirkung: Wenn an sonnigen Tagen der Rauch deines Zigarillos auf den Balkon zu mir nach oben zog, Wusste ich, dass es Sonntag Kurz nach vier sein muss und Dass es dir gut geht, weil für Dich jeder Zug eine kleine Meditation war, so wie für mich Deine Rauchringe mit der herben Sumatra-Note. Du würdest lachen, Wenn ich dir verraten könnte, wie Sehr mir diese deine Rituale fehlen. Und der gutgläubige Katholik in dir Möge es mir verzeihen, wenn ich Hier und jetzt behaupte, dass die Vage Aussicht auf ein Wiedersehen Im Jenseits nur ein sehr schwacher Trost ist, weil die Musik so laut im Diesseits spielt und uns das Leben Täglich einen sauberen Marsch bläst.
Weßling, 8./9.10.2021 |
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03.10.2021 | Vater als geölter Blitz
Bei zehn Grad minus, Weßling, 2.10.2021 |
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26.09.2021 | Wahlkrampf
Vater, du hättest gewusst, bei wem du dein Kreuz machst, weil deine zwei Stimmen an deine Partei gegangen wären, so wie immer. Dem Ausgang der Wahl hättest du bestimmt nicht engegengefiebert, weil du in diesem ganzen Wahlzirkus vor allem Herz und Verstand, aber auch Witz vermisst hättest. Es hätte dir gleichgesehen, dass dir dabei Incitatus in den Sinn gekommen wäre, jenes Pferd aus dem Rennstall der Grünen Zirkuspartei des römischen Kaisers Caligula, das dieser so schätzte, dass er es sogar mit der Konsulwürde und einem ständigen Sitz im Senat bestallen wollte. Am Tag vor den Rennen, hör ich dich sagen, hat der Verrückte von Soldaten die Straßen zum Zirkus sperren lassen, damit sich Incitatus ganz auf bevorstehende Rennen konzentrieren konnte. Weisst du, dieses Pferd hatte im Gegensatz zu uns und zu denen, die sich befähigt fühlen, uns zu regieren, wenigstens genügend Zeit, sich vor seinen Einsätzen zu sammeln und darüber nachzudenken, wie es vom Fleck kommt. Stau, 25.9.2021 |
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19.09.2021 | Gut angekommen da oben
Aber die Fahrt war beschei- Schon zurechtgelegt und Ostseebad Binz, 18.9.2021 |
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12.09.2021 | Am 11. September 2001 läuft der Fernseher
Beim Optiker. Jetzt auch der noch so ein Flimmerkistenheini. Nicht viel los bei ihm im Laden. Kaiserwetter. Und er hängt an seiner Glotze. Ich will nur ne neue Sonnenbrille und danach gleich ab zum See. Und hab heut nix und zweimal nix mit CNN am Hut. DA BRENNT EIN TURM VOM WTC, schlagzeilt der Optiker. IST WOHL NE CESSNA REINGEKRACHT. ICH WAR NOCH OBEN NEULICH, stöhnt er, PUH, erst über Ostern. WAS FÜR EINE AUSSICHT! Und ich seh schon meine Ray-Ban für heut den Bach … Dann TV-Düsenlärm, ein Großkaliberjet verschwindet live im im zweiten Turm. Feuerball, so surreal, fast Hollywood. Kein Zufall mehr, kein Unfall, Anschlag wohl. UM GOTTESWILLEN, DA! DA SPRINGEN WELCHE IN DIE TIEFE, RUDERND MIT DEN ARMEN! Ich denk nur noch an den Poetenfreund, der wohnt zwei Straßen weiter in NY. Lass meine Brille Brille sein, will nur noch heim und durchklingeln bei ihm. Und er geht hin und klingt so nah. Sirenenlärm im Hintergrund, Geschrei von Kindern. Papa, Papa, schau, da fliegen Menschen runter! Heilige Scheiße! Stell dir vor, ich musste sie trösten mit einer Lüge: Es ist nicht wie ihr denkt, sie springen Trampolin! Autobahn nahe Berlin, 11.9.2021 |
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05.09.2021 | 100-Watt-Glühbirnen ersetzt durch
11-Watt-LEDs, kaltweiß. Gegen- Nachhaltig: Viel zu hell unter- Geht, denn dann ist sicher Weßling, 1.9.2021 |
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22.08.2021 | Vaters samstägliches Wir-fahren-In-die-Stadt-Ritual
war ihm heilig. Der Wechsel zwischen Stadt- und Landleben macht die Musik, lautete sein Credo und er hielt es als alter Lateiner mit Quintus Horatius Flaccus: „Hoc erat in votis: … hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons et paulum silvae.“ Der eigene Garten, nahe am Wasser mit einem Schatten spendenden Wäldchen als Rückzugsort, sein kleines Paradies auf Erden. Welch Schock für ihn, als eines Tages nach der Rückkehr aus München eine lange Leiter an einer unserer Buchen lehnte und sich ein Nachbar in schwindelerregender Höhe wie wild mit seiner Säge an einem Ast zu schaffen machte, der zu ihm ins Grundstück hinüberragte. „Was machen Sie da?“, schrie Vater nach oben und der schrie nach unten „Ich säge einen Ast ab, das siehst Du doch!“, woraufhin Vater geistesgegenwärtig sofort zur Tat schritt und ihm die Leiter wegzog, so dass dieser erschrocken seine Säge fallen ließ und laut um Hilfe schreiend an jenem Ast hing, den er kurz zuvor noch selbst angesägt hatte. Vater ließ ihn eine ganze Weile da oben zappeln und schreien, bis er sich schließlich als guter Christ dazu durchringen konnte, ihm die Leiter unterzuschieben, was Selbigen anspornte, mit panischem Tempo herabzusteigen, sein Aluminium-Rettungswerkzeug unter die Arme zu klemmen und seine Beine dazu, die Säge zurückzulassen und sich dabei noch eine Kanonade wüster Beschimpfungen einzufangen sowie die Androhung einer gehörigen Tracht Prügel im Wiederholungsfalle, jederzeit abzuholen bei Vater. Danach kehrte wieder Ruhe ein für längere Zeit an der gutnachbarlichen Grünfront und der Sohn war einmal mehr stolz auf dieses gestandene Mannsbild mit ökologischem Gewissen, seinen Alten Herrn, der ganz nebenbei noch das antike Ideal vom Stadt- und Land-Leben mit archaischen Mitteln ins 20. Jahrhundert gerettet hatte. Weßling, 28.8.2021 |
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22.08.2021 | Das flottierende Abrechnungsmodell
des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds – für Vater und Sohn ein undurchdringliches Gestrüpp: Wie viele Streifen müssen für die Fahrt von A nach B gestempelt werden, befindet sich das Ziel noch im inneren oder im äußeren oder im mittleren Ring oder in der roten, grünen, schwarzen oder blauen Zone, gilt die alte Streifenkarte noch nach der Preiserhöhung oder braucht es jetzt eine neue, um nicht als Schwarzfahrer mit 100 Euro abgestraft zu werden. Vater war es gelungen, sich in München durchzufragen an einen Schalter im Untergeschoss, mit einem echten Menschen besetzt, bei dem er sich alle sechs Wochen mit einem ganzen Stapel an XXL-Tageskarten eindeckte, gültig für das gesamte Tarifgebiet. Jedes Mal, wenn ich ihm gegenüber erwähnte, morgen mit der S-Bahn in die Stadt fahren zu wollen, steckte er mir augenzwinkernd einen seiner Freifahrtsscheine zu und ich hatte danach eine Sorge weniger.Neulich: Verzweifle am einzigen Fahrkartenautomaten auf unserem Bahnsteig: AUSSER BETRIEB! Wünsche mir einmal mehr Vater herbei und seinen schier unerschöpflichen Vorrat an XXL-Tageskarten, gültig für das gesamte Tarifgebiet des MVV. Dresden, 20/21.8.2021 |
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15.08.2021 | Heimtextil
»Darf ich eine persönliche »Den ziehts fast so automatisch Vater jedenfalls, er hatte dieses Weßling, 14.8.2021 |
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08.08.2021 | Vaters Gespür
Für sein nahendes Ende Weßling, 7.8.2021 |
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25.07.2021 | Vaters innerer Kompass
Sträubte sich dagegen, stets nach Norden zu zeigen, denn wenn in Bayern die Uhren schon anders gehen, warum sollten es Kompasse ihnen nicht gleichtun und von Haus aus nach Süden zeigen? Zuallererst zog es ihn »Gen Italien«, wo er andere Automobilisten in ihrer Muttersprache zu beschimpfen pflegte, vollkommen politisch unkorrekt, mit einem Lästerfaible für Frauen am Steuer, und sich anschickte, sein Arsenal an Schimpfworten wie ein Wilder einzusetzen, z. B. nach Herunterkurbeln der Seitenscheibe an roten Ampeln. Sein Wunsch nach mehr Pferdestärken stieß auf taube Ohren bei seiner Frau, unserer Finanzministerin, die eine überzeugte Anhängerin der These war, dass auch wenig PS für die Autostrada del Brennero reichten. So blieb er immer wieder bergauf und bergab zur Kriechspur verdammt und zum Fluchen gezwungen, bisweilen sogar auf das Ausrollen in Nothaltebuchten angewiesen, wenn weißer Rauch aus der Motorhaube seines Opel-Kadetts oder des später neu angeschafften VW-Käfers zu dringen begann. Einmal folgte er nicht seinem inneren Kompass und brach mit Mutter und mir in den 70er Jahren auf, um die Großen Ferien auf der Insel Fehmarn zu verbringen. Dabei überquerte er zwangsläufig die Fehmarnsundbrücke und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, dass es so eine filigrane Bogen-Stahl-Konstruktion im wuchtigkeitslastigen Land der Deutschen gibt. Weil vor und hinter uns niemand fuhr und auch die Gegenfahrbahn verwaist schien, verlangsamte er immer mehr das Tempo und geriet fast in einen tranceähnlichen Zustand der Entschleunigung, aus dem er jäh gerissen wurde, als ihn ein scheinbar aus dem Nichts von hinten auftauchender Motorradpolizist anhielt und gegen ihn von oben herab sprechend ein Bußgeld wegen Zu-langsam-Fahrens verhängte, da Vater den Verkehrsfluss behindere, wobei außer dem Gendarmen auf dem BMW-Feuerstuhl und uns keine Menschenseele unterwegs war. Die unerhörte Begebenheit bot Vater Lästerstoff für viele Jahre und sie war wohl auch ursächlich dafür, dass er sich fortan nicht mehr gegen seinen inneren Kompass entschied. Weßling, 31.7.2021 |
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25.07.2021 | Die alte und neue Schule des Werdens
»Mei, Donal, des wead Griechischstunde bei ihm. Seine rosazeageröteten Höheren Lehranstalten. Sche Alphabet, weil es Und: »Scheiß da nix!«. Vollkommen unbegabt!«, Später klopfte mir der No amoi wos wean kannd, Wird. Einmal. Vielleicht. Weßling, 24.7.2021 |
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18.07.2021 | Das zweite olympische Feuer »Bevoasdma no ganz Vom Fleisch foisd, fliag i Mid dia liawa noch Ateen«, So Vater, und flugs hatte Er Flugtickets für uns
Beide gebucht und eine Delegierte, hatte selbst Sein einziger Sohn im- Große Liebe im Leben Sich am nächsten Mor- Blüte und Vater sprach Auf guad Bairisch, so an Möglichen zweiten Flamme Dass das Feuer der ersten Weßling, 17.7.2021 |
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11.07.2021 | Vaters Weg
Ins Reich des Hades: Runter in den Keller. Gezählt. Fahrsperre Die Auffahrt rauf und Ko! Weßling, 10.7.2021 |
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04.07.2021 | Lehrerlehren
Wenn es den Schülern Vaters Credo. Seinem Unterzuordnen. Punkt. Belohnt, also weiter- Wegbefördert ins Mini- Ein Mysterium, ver- Weniger Freistaats- Besten immer hinten Es ernst, mindestens Miguel de Cervantes Jote ernst gemeint Die eigene Partei, Er Mutter anwies, den Verkehr zur Über- Den Tisch fallen zu Damit der auch nicht Weßling, 3.7.2021 |
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27.06.2021 | Vater, unser
See wartet Gekrault So gern, er In seinem Erste Wellen Flaum eher, Am Strand Unser Anton? Nach ihren Und alle Genannt: In der Schule Du kannst An dich glaubt Dich, Ihr werdet Nicht mehr Immer Zumindest, Weßlinger Zu beweisen Weßling, 26.6.2021 |
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20.06.2021 | Zruggdraan
»Woasdas no, damois Moi in meim Lem, dass i Ma bloos a Rundn z’ Fuas Kinderlein! «, bläad a leichd Weßling, 16.6.2021 |
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13.06.2021 | Zwoachtzehn, Vaters Besuch bei mir
In der Klinik. Er fühlt sich sichtlich Personal, durch den Fleischwolf Schmutzigen Straßenschuhen Lang. Da kommt mir die hintere Zwerggarnelen, Einsiedlerkrebse, Alurollköfferchen, reich verziert mit Guten männlichen Geistern verlassen, Wünsche Ihnen eine milde Diagnose, Lage befreit. Frau Von-und-zu, der CHIRURGIE. Und den Slogan darunter: Er noch voller Empathie, „sie hat so Weßling, 5.6.2021 |
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06.06.2021 | Dancing lesson
omnia vincit amor Eigentlich hätte Vater, Acht- ZU LAUT, er stürmte ins Kinder- Doch nicht bei diesen Beatles, Und wie selbstverständlich ein- Weßling, 6.6.2021 |
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30.05.2021 | Der Weg in den erhofften Himmel führt über die Rezeption der höllischen Realität FFP3-maskiert, ich stürme Von der Taxi-Rückbank direkt Hinein in die Klinik, will so Schnell es geht zu meinem Sterbenden Vater. Aus- Gerechnet jetzt, in seiner Letzten Stunde, sitzt diese Schnepfe am Empfang und Hält seelenruhig hinter Glas Ein Schwätzchen mit dem Seidenschalgeck, Doktor Wichtig mit Redehunger Nach der Schicht. Ich räus- Pere mich und sie wendet Sich mir halb zu, genervt.Nein, Perso, Impfpass, knack- Frischer Test, negativ, reicht Alles nicht, auch nicht, dass Ich noch bis vorhin an seinem Bett gesessen bin. Streckt mir Aus dem Schalterfenster ein Thermometer entgegen, scharf Richtung Stirn und erschreckt Mich mit Siebenunddreißig- Vier! Sie dürfen jetzt nicht rein Wegen erhöhter Temperatur. Gehen Sie zehn Minuten raus Und kommen Sie wieder, wenn Sie sich etwas abgekühlt haben An der frischen Luft. Ich reiß mirDraußen zuerst die Kappe vom Kopf, damits mich auch anständig Friert, ich atme tief ein und atme Tief aus und tief ein und tief aus, Geh vor und zurück, geh im Kreis. Der arschkalte Wind ist nichts als Massage für meine Visage, ich Behalt dabei ständig die Uhr im Blick. Auf die Sekunde genau Nach zehn Minuten ziehts mich Wieder zur Rezeption, mit Mords- Bammel, versteht sich. Sechsund- Dreißigneun − Sie dürfen jetzt Zu ihm! Ich renne und bis ich Endlich auf Station bin, ist VaterTot.
Weßling, 29.5.2021 |
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23.05.2021 | Wurzelstock Es wäre Noch so vielEs ist zu viel UngesagtZwischen uns Dein offenesOhr für alle AnderenDeren Kummer Dein KümmernDie Fürsorge Keine VorsorgeFür dich Für mich
Für uns. Dasselbe Hart Kopf Zwei Für Weßling, 22.5.2021 |
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16.05.2021 | August 1967, Lignano Sabbiadoro Wir zu dritt auf dem Neben- Einandem ganz beieinander. Mutter links, Vater rechts Am Steuer, der Blondschopf Dazwischen, in der Mitte Bin ich im Janker, wir dreiStrahlen um die Wette, Vater Im T-Shirt mit halblangen Ärmeln, muskulös, Unterarm Behaart, Ehering am linken Ringfinger, seine Brille schwarz Gerahmt, eine leichte Merino-Jacke mit Hornknöpfen lässig Um den Hals geschlungen, Mutter im kurzen weißen Kleid mit Bordüre (doppelt bestickter Rundkragen), ihreSchwarze, langohrige Hand- Tasche zart im Griff, zwischen Uns und der lauen, medi- Terranen Nacht, dem süd- Lichen Sternenmeer, ein Stoff- Himmel, Baldachin, einge-Säumt rundum mit weißen Fransen, Mama und Papa Treten für drei in die Pedale, Es geht miteinander voran In diesem verrückten Gefährt, Die Zeit arbeitet für uns, so Scheint es, vierundfünfzigJahre lang, dann wird Vater Nie mehr am Steuer sitzen − Unter der Schwarzweißfoto- Grafie von 1967 in seiner Geschwungenen Schrift: Sicome una giornata.
Weßling, 15.5.2021 |
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09.05.2021 | Das Haus So still Ohne dich Mein VaterDein Bad- Radio streikt Der AkkuEntladen. Aber was sind NachrichtenHeute noch Wert Für michBei Dir Kamen sie StetsAus erster Hand, Vater Ich sitze aufDeinem Stuhl Vor dem Fenster Zum GartenWo alles blüht. Deine Schrift Schönschrift
Geschwungen Schizzinoso Eine Steuer- Weßling, 8.5.2021 |
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02.05.2021 | Aa dobbede Wadschn babbd bessa im Gfries Auf da Kelladrebbn D’ voalezde Schdufn Üwaseng und sauwa Owigflong. Nimma Aufkemma und linggs An Arm nimma beweng Kenna und’s Boarisch Vawaschn − auf oan Schlog aa no vom Schlog droffa, wos Wui ma mea: Vadda- Dog!
Weßling, 1.5.2021 |
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25.04.2021 | Da Owamaxi vom Gmoazweggvaband füa gäidbeidlfreindlichs Wohna Hod aa no de lezdn Baam Obschlong lassn, scheene Oide Hainbuachan. »Wega Da Vakäassichaheid«, sogda Am Lokalblaadl. »Naa, um Godswuin, Paaggbläzz kem- Ma do nia hi, solang i do bin.«Oa Jaar schbäda hoda scho D’ Bagga oroin lassn und Oiss mid Beddon zuabflasdad, Füa no mera Miedaschdäibläzz. »So kenna se de arma Leid, De do günsdig wohna, aa no An Zwoadwong leisdn. Des Kuawed sauwa d’ Wiad- Schaffd o«, vazabbfda des- Moi no im Lokalblaadl.
Weßling, 23.4.2021 |
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18.04.2021 | Rp. Bund vs. Land Down Down LockerLock Down LockernLocker Down LockDown Lockern LockDown Down DownLock Lock LockLocker Lock DownLockern Lock Down
Weßling, 17.4.2021 |
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11.04.2021 | Habds me doch gean!
I wuis goa need Weßling, Karfreitag, 2.4.2021 |
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04.04.2021 |
Manchmal braucht es kein Wunder, um zu begreifen Dass das mit der Auferstehung Quatsch ist, ist mir aufgegangen, als ich neulich in der Dämmerung im Garten jene graublaue Karthäuser-Katze seelenruhig auf dem Grab meiner Salz-und-Pfeffer-Mittelschnauzerin Nelly sitzen hab sehen, die früher ihre Todfeindin war. Nichts, gar nichts ist passiert, keine Erdspalte klaffte auf, aus der Nelly kläffend herausgestürmt wäre, um das langhaarige Vieh zu verjagen. Stattdessen schaute mir diese Katze auch noch frech ins Gesicht, triumphierte mit ihrem Stoizismus und blieb ungerührt – sitzen. Weßling, 2.4.2021 (Fassung III) |
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28.03.2021 | Endschuidigns
I bin kaoh. Bleib i no Weßling, 27.3.2021 |
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21.03.2021 | Da unbefleggde Boandlgrama
Seids’ eanane Leichnwäng Weßling, 17.3.2021 |
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14.03.2021 | An lezdn Weisheidszahn ziang
»Hosd an Mo, iss ›Hosd a Wei, iss Weßling, 13.3.2021 |
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06.03.2021 | Lang
Gschbaard An Uldraleichd- Wega Korona Gschaugd. Und i Freind ’s Naus- Scho ganz da- Und a Schdaub- Braucha olle Wenn des Weßling, 6.3.2021 |
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28.02.2021 | Wias is, iss nix, awa wias wean kannd, iss scho glei zwomoi nix Ezad miassad se Awa boid wos doa. I moan, do duad Se wos, weis ja aaZeid waar, dass Se wos duad. Ja Du bisd guad! Bei uns duad seDoch nix, wei de do Om moana, dass Des scho duad füa Uns, wos do ham.Oiso deans scho Glei goa nix mea, Wei wenns wos Doa daadn, daadsGnua gem, de se Drüwa aufreeng, Dass wos do ham, Weis des aa andasDoa häddn kenna Oda bessa goa Need. Oiso dram i Scho davo, dassSe wos do hädd, Awa danoch meag I, dass oiss so bliem Is, wias oiwei schoWar, oiso dass se Wieda nix do hod. Do konnsd nix doa Dageng.
Weßling, 27.2.2021 |
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21.02.2021 | Schdichd da Hafa
Floggn riesln lassn Schnein und de Schdüggl. Draum Bian, um oiss mid- Need scheenian, Weßling, 3.2.2021 |
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14.02.2021 | Deidsche Enggldriggvoasoage
»’s Imbfzenddrum hod ogruafa«, Grod gfrein duada se. Awa zum Weßling, 11.2.2021 |
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07.02.2021 | Bäaschbeggdivwexl
Schdäids eich voa, unsa Oiss ausschdee, wos Vo oam Dog aufn andan Schdäin, dass weida ir Gleend wearad. Do daad Schafd wean und ire Glaffa« daadn pfeigrod Weßling, 6.2.2021 |
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31.01.2021 | Blassa Schimma
D’ Sonna schbizzd Gschundne Säin, Awa glei danoch Weßling, 29.1.2021 |
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24.01.2021 | Es is hoid a Greiz mid dene Manna unddam Greiz »Unsa Hochwüadn is a Pfundskeal«, schwäambd Sei Minisdrand midm Milli- Gfries, dea scho üwa viazge Is und no dahoam bei seina Oidn Muadda im Kindda- Zimma hausd. »Da Pfarra Hod oiwei pfäffade Schbrüch Üwa d’ Weiwaleid auf Laga!« So wia des Zwedschgnmandl In seim Paffnreggal umananda- Schwanzld, woasa need rechd, Wosa mid seim Zibbfe ofanga Soi, dengg i ma, awa song Dua I: »Dea soi liawa üwa wos Reedn, wovoa wos vaschdeed Und se füa olle ins Zeig leeng, Dees braucha.« Sei Bolande Vaschdeed mi need, weia Dorad is und weia aa bloos Des hean wui, wosa hean wui.
Weßling, 11.1.2021 |
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17.01.2021 | Sommahaus im Windda Des Heisl Schdeed leer.Nua a boa ZruggbliemneWian San drinAm vahungan.
Weßling, 11.1.2021 |
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10.01.2021 | Schdudian wos geed
Easda Dog Rechdsvadrearei, Des Rauschgoidengal newa Rechdsgeleia ins oane Oa Wos i schdudiad hob, is Heaz gfassd und mei Heaz Ghoidn, awa so do, ois Zu mia rüwagschbechd hod, Grissn und vaschdoin in ir Scho ogruafa und gmoand, Nachad aa gmachd, und Weßling, 9.1.2021 |
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03.01.2021 | Noch de Feiadog
Do schaungs olle bläd Aufbrocha san zum Flaschl- Greaglos. De, de se do dreffa, Sa se schamma, dass andare Fliaga an liabn langa Dog va- Wei a de schdeaggsde Lewa Weßling, 26.12.2020 |
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27.12.2020 | Onlein-Winddasemesdda 2020
»I wea boid dreissge und hogg an Weßling, 26.12.2020 |
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20.12.2020 | Heazbodn
Neili hod ma da jüngsde
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13.12.2020 | De roasade Tabanagglwanzn
Neili hod uns a schwarz va- Bis i »dea bressiads in Himme« Gfundn hod und fois need, dass A99, 26.8.2020 |
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06.12.2020 | Bosdkaddolischs Gribbnbuidl, in da Gwaranddäne vawaggeld »Da Vadda is a Ox«, sogd sei Schbross. »Naa, i bin a Esl«, Sogd da Vadda, »dass i dei Muadda gheirad hob und Dass i di mid ira fabrizziad Hob – deshoib wead i no a Heiliga, weasd seng«. »Naa«, Bläad d’ Muadda, »i kumm a- Moi in Himme, wei i eich zwoa Aushoidn hob miassn jedn Dog und vakösddign dazua Und hinddaheawischn aa no.«Weßling, 5.12.2020 |
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29.11.2020 | Grean ogschmiad
»Guad, dass ma de Wei newa unsam Schnaufal EiDreiEs Eleggdro-EiIX, den Fünfhundad PeEs und Dass ma füa den vom Weßling, 25.11.2020 |
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22.11.2020 | Maschkera auf da Bflegeschdaddion »Wos machdn dea Gwambade do hearin?«, Bläada drei Moi hindda- Anand wiara Wuida. Ma Daad goa need glaum, Wos so a Zwedschgn- Mandl im Püdschaama No füa a mords Oagan Hod. »Zum Deifi mid Dera feddn Sau!«, Legda noch. »Dea Digge«, sog i, »is Dei Engal ausm Osdn Und des Engal buzzd Da an Arsch aus.« »Wo is mei Oide?«, Schreida danoch, »hoi Sofoad mei Oide hea!« »Dei Oide«, sog i, »deaf Do need eini wega Korona, woasd scho.« »Awa warum hosd Nachad du reideafa?«, Frogda mi. »Wei i da Dod bin«, sog i, »und Wei i bei eich no a Bissal wos zum doa Hob. Und ezad lass Mi biddscheen weida- Weagggln.«Weßling, 21.11.2020 (Fassung II) |
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15.11.2020 | Id newa räins in Sassan Bäväria
»Ab do biddscheen nua Weßling, 28.10.2020 |
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08.11.2020 | Demogradie üwam Grossn Deich Zwoa Punggd Nui
Wenns weida so zuageed Nua a boa Milliaadn Dolla (Weßling, 7.11.2020) |
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01.11.2020 | Pandemiefrisör am Weßlinger See
Montagmorgen. Mutterseelenallein. Tut sich was. Auf einer Parkbank. Mit der Schere. Übt wohl noch, Wirbeln weiße Haarflocken. Kann, wird schon Laub die Weßling, 26.10.2020 |
Anton G. Leitner wurde 1961 in München geboren. Der examinierte Jurist lebt als Lyriker, Herausgeber und Verleger in Weßling (Landkreis Starnberg). Er publizierte bislang dreizehn Gedichtbände, u. a. »Schnablgwax. Bairisches Verskabarett« und »voix en plein trafic / Stimmen im Verkehr« (Deutsch – Französisch; Auswahlband, 2020). Seine Gedichte sind in neun Sprachen sowie diverse Dialekte (u. a. Schottisch, Londoner Cockney und Damaszenisch) übersetzt worden. Neben 28 Folgen der buchstarken Jahresschrift »Das Gedicht« edierte er über vierzig Anthologien, u. a. bei Reclam »Die Bienen halten die Uhren auf. Naturgedichte« (2020). Leitner wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem »Tassilo-Kulturpreis« der Süddeutschen Zeitung und dem »Bayerischen Poetentaler«. Er ist Mitglied der »Münchner Turmschreiber«. antonleitner.de, schnablgwax.de, wadlbeissn.de