»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Karsten Paul
Was es wurde
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Die Jahre vergehn
sagt das Leben
Ich bin was ich bin
sagt der Alltag
Wir sind ohne Zahl
sagen die Missverständnisse
Ich fühl mich erschöpft
sagt die Versöhnung
Ich sag gar nichts mehr
sagt das Anschweigen
Ach unsere Träume
sagt die Enttäuschung
Seine kleine Schlampe
sagt die Verbitterung
Die fliegenden Töpfe
sagt die Kopfnarbe
Ich knall dir gleich eine
schreien sie beide
Ruhe jetzt! RUHE!
sagt der Herr Richter
© Karsten Paul, Nürnberg
+ Das Original
Mit »Was es wurde« führt Karsten Paul das mutmaßlich berühmteste Liebesgedicht Erich Frieds fort, das sich gleichermaßen im Kanon der Lyrik und in jedem zweiten Poesiealbum bzw. auf ungezählten Kalenderblättern und dergleichen befindet, nämlich »Was es ist«. In diesem beschreibt Fried aus wechselnder Perspektive (u. a. jener der Vernunft und der Angst) das Vorhandensein eines romantischen Gefühls – und kontrastiert all diese Negativaussagen mit der befreiend-lakonische Äußerung der Liebe, die wiederholt sowie abschließend schlicht befindet: »Es ist was es ist«. Ob Paul die Thematik nun ins Absurde oder eben gerade ins Reale wendet, das möge jeder Leser für sich entscheiden (und gerne auch je nach Alter und Lebensabschnitt neu). Auf jeden Fall führt er sie inhaltlich weiter sowie aus dem Abstrakten ins Konkrete, sich in Sprachduktus und Form dabei eng am Original orientierend – und vom heiligen Ernst der Vorlage ins Komische übersetzend.
+ Zum Autor
Karsten Paul wurde 1970 in Kaufbeuren geboren und lebt heute in Nürnberg. Der als Hochschullehrer tätige Psychologe kann zahlreiche Fachpublikationen vorweisen und reüssiert inzwischen auch als belletristischer Autor: Seine Gedichte werden in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht, zuletzt u. a. in der Print-Anthologie »Der schmunzelnde Poet. Neue komische Gedichte« sowie in der Online-Sammlung »Wenn Liebe schwant« (beide hg. v. Jan-Eike Hornauer, erschienen bei Candela resp. hier auf DAS GEDICHT blog). Mehrfach wurde Paul bei Lyrikwettbewerben ausgezeichnet, zuletzt beim »Hochstadter Stier« 2014 (Publikumspreis 1. Platz) und beim »Jokers Lyrik-Preis« 2013 (TextArt-Sonderpreis).
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.