Lockdown-Lyrik 89: »es war einmal« von Gabriele Trinckler

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Gabriele Trinckler

es war einmal

es wird kinder geben
für die dieser covidfrühling
der schönste ihres lebens
war als mama und papa
die ganze woche zuhause
blieben und sich ihre sorgen
nicht anmerken ließen

die fahrräder wurden aus
dem winterschlaf geweckt
und dann zeigten die eltern
ihren kindern zwitschernde
wälder wo abenteuer zwischen
den zweigen der blöden angst
die zunge rausstreckten

hölzerne höhlen wuchsen
um die stämme der
kiefern fichten buchen
tipis und märchen
schlösser für prinzen
oder indianerinnen mit
ponys und undercuts

im geäst wohnte ein zilpzalp
der immer zilpte und zalpte
mönchsgrasmücken plapperten
hektisch aus den büschen
klitzekleine fanfaren
enttarnten gartenbaumläufer
die so taten als wären sie

hüpfende rinde an einem
stillen stamm das ist frech
und da ein reh ganz anders
als auf whatsapp mit eigenen
augen mit eigenen ohren
walderdbeeren selber
pflücken riechen schmecken

wirklich es wird kinder geben
die sich in fünfzig jahren
bestimmt fragen werden
wie sie all das richtig-nah-
dran-sein am leben so schnell
wieder verdrängen konnten
schwuppdiwupp einfach so

 

© Gabriele Trinckler, München

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

Ein Kommentar

  1. Tolles, cooles Gedicht mit Science Fiction Atmo, Leichtigkeit und Tiefgang ganz nahe nebeneinander, es bringt neue Verbindungen aus Natur und Technik und verführt die Synapsen zum Tanzen und am Schluss fühlt man sich irgendwie erfrischt und neu aufgestellt, wie nach einer psychedelischen Kanufahrt oder einem sehr guten Film. Liebe Gabriele Trinckler, wann gibt es endlich einen neuen Gedichtband?

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