Wo auch immer der Weltreisende in Sachen Poesie” sich gerade wieder herumtreiben mag: wenn Michael Augustin ein Buchantiquariat erspäht, dann kommt er daran nicht vorbei, ohne wenigstens in haikuhafter Kürze (aber viel lieber in balladenhafter Länge) die dort erhofften mit Lyrik gefüllten Regalmeter auf Überraschendes und Wohlfeiles zu inspizieren. Vom Glück des Findens handelt seine Kolumne, in der er seine liebsten lyrischen Trouvaillen aus Läden und Bücherschuppen, von Flohmarkttischen und Straßenrändern in loser Folge am 3. eines Monats vorstellt.
Ein bisschen erstaunt hätte ich schon sein können, als ich das etwa postkartengroße Lyrikbändchen aus dem Schleuderpreis-Bücherkasten vor einem Münchner Antiquariat fischte. Denn eigentlich hätte das Blut nur so aus ihm heraustriefen müssen – bei der Vorgeschichte und bei der fatalen Nachwirkung. Ich könnte auch sagen: Es hat eine veritable Metzelei angerichtet unter seinen Lesern, unter etlichen Generationen seiner Leser.
Der Autor, Theodor Körner, hat die Veröffentlichung des knapp 100 Seiten umfassenden Bändchens gar nicht mehr selbst erlebt, als es Anno 1814 in der Nicolaischen Buchhandlung zu Berlin und Stettin erschien. Zusammengestellt vom Vater des Autors, offenbar in „stolzer Trauer“, auch wenn es diesen fatalen Begriff aus „unseren“ Weltkriegszeiten damals so noch gar nicht gab.
Knapp 22 Jahre alt war der gebürtige Dresdner Theodor Körner, im besten Soldatensterbealter also, als ihm am 26. August 1813 im Wald von Rosenow bei Gadebusch die Kugel eines angeblich deutschen, auf der Seite und in Diensten des französischen Tyrannen schießenden Landsmannes den Unterkörper zerfetzte.
Mit 19 schon hatte Theodor seinen ersten Gedichtband veröffentlicht und bereits im Jahr darauf einen lukrativen Vertrag als Theaterdichter an einer Wiener Bühne unterzeichnen können. Ein umtriebig-wilder musengeküsster Bursche aus gutem literaturaffinem Hause, in dem Herrschaften wie Schiller, Goethe, Kleist, Alexander von Humboldt und Kollegen ein und aus gingen. In Deutschland war er von der Uni geflogen, in Wien lief es gut für ihn, auch verlobt war er schon, als sein „vaterländisch Blut“ in Wallung geriet und er in Richtung Heimat zog, um sich am Kampf gegen die napoleonische Herrschaft zu engagieren. Am „Freiheitkampf gegen die Fremdherrschaft“, um es gebräuchlicher zu sagen.
Seine patriotischen Gedichte und Hymnen, die er als Militärkarriere machender Kämpfer verfasste und die sich prächtig zu bekannten Melodien singen ließen, sollen gut angekommen sein bei Kameraden und Vorgesetzten.
„Wie heißt des Sängers Vaterland?– / Jetzt über seiner Söhne Leichen, / Jetzt weint es unter fremden Streichen; / Sonst hieß es nur das Land der Eichen, / Das freie Land, das deutsche Land. / So hieß mein Vaterland!“
Oder:
„Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen, / Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht. / Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen; / Frisch auf, mein Volk! – Die Flammenzeichen rauchen, / Die Saat ist reif; ihr Schnitter zaudert nicht!“
Das vom Vater zusammengestellte Buch hatte übrigens den Titel „Leyer und Schwert” (wobei mir gerade Wolf Biermanns Che Guevara gewidmetes Wortpärchen „Knarre und Gitarre” in den Kopf gerät, sieh an!). Warum der Vater dem Opus des Sohnes diesen Namen verpasste, legen die letzten zwei Zeilen des vorangestellten Widmungsgedichts offen:
„Denn was, berauscht, die L e y e r vorgesungen, / Das hat des S c h w e r t e s freie That errungen.“
Diese Sammlung letzter Gedichte des „Lieutenants im Lützow’schen Freikorps” Theodor Körner umfasst 33 Gedichte, die er zwischen 1809 und seinem Todesjahr 1813 fertiggestellt hat. Darunter, neben Gedichten wie „Eichen“, „An die Königin Luise“ („die großfüßige Landesmutter“, wie Johannes Bobrowski sie viel später einmal nennen sollte), „Gebet während der Schlacht”, auch das weitbekannte, von Franz Schubert (1815) und Carl Maria von Weber (1816) vertonte Poem „Lützow’s wilde Jagd”, das es bis in die Gesangbücher von Wehrmacht und SS geschafft hat.
Wie sich ja überhaupt die Gedichte des Freiheitskämpfers durch die Bank weg hervorragend eigneten, um die berüchtigte deutsch-französische Erbfeindschaft verbal zu befeuern. Mein Exemplar von „Leyer und Schwert”, die „Sechste rechtmäßige, vom Vater veranstaltete Ausgabe”, wurde übrigens 1824 gedruckt und zeugt von der anhaltenden Popularität der blutrünstigen Wortkonstrukte, die dann auch 1870/71, zwischen 1914 und 1918 und – wie gesagt – unter brauner Kulturwärterschaft alles andere als vergessen waren.
Neben den zu Lebzeiten fertiggestellten Gedichten des jungen Mannes, umfasst das kleine Büchlein auch ein Kapitel mit sieben Zugaben von anderen Dichtern, darunter Caroline Pichler als einzige Frau.
Bei dreien der Körner’schen Gedichte in „Leyer und Schwert“ handelt es sich um einen „Nachtrag aus des Dichters Nachlasse”. Eines davon möchte ich hier zum Schluss doch noch kurz erwähnen, als Beweis für das furchteinflößende Echo, für die blutige Pointe in der Wirkungsgeschichte des unscheinbaren, federleichten Büchleins. Das Gedicht heißt „Männer und Buben” und es ist singbar „Nach der Weise: Brüder, mir ist alles gleich”. Die ersten zwei Zeilen dürften uns allen bekannt vorkommen, ungesungen zwar – aber zum Tönen gebracht auf eine Art und Weise, die es den Hörenden kalt über den Rücken laufen lässt. Joseph Goebbels lieferten sie nämlich eine Steilvorlage für das nur leicht abgefälschte finale Fanal seiner berüchtigten Durchhalterede im Berliner Sportpalast 1943: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“, heißt es bei Körner. Bei Goebbels hingegen: „Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los!“ Wenn also heute in neurechtsradikalen und altneonazistischen Netzwerken angeblich Theodor Körner zitiert wird, was ziemlich häufig vorkommt, dann ist’s am Ende doch nicht Körner, sondern Goebbels. Aus brauner Quelle maskenfrei gezapft.
© Michael Augustin, 2020
Der gebürtige Lübecker Michael Augustin hat in Dublin, in Kiel, auf Vancouver Island und in Carlisle, Pennsylvania, gelebt. Bei Radio Bremen hat er als Kulturredakteur ungezählte Literatursendungen über den Äther geschickt und war Leiter des internationalen Literaturfestivals „Poetry on the Road”.
Seit 2019 widmet er sich vorrangig seiner eigenen literarischen und künstlerischen Arbeit.