Von Körpern und Kathedralen
Vor Jahren fiel mir ein Exemplar von Frank Schmitters Gedichtband „Die markisen rollen den nachmittag aus“ in die Hände und war für mich eine Fundgrube wunderbarer Liebesgedichte mit Sätzen, die für mich auch heute noch Bestand haben. „Wir haben lange reden müssen um/ so schweigen zu können“ ist so ein Satz, der mich immer noch begleitet. Sehr eindrücklich. Zwischenzeitlich trafen wir uns anlässlich des Lyrikpreises von München einmal persönlich und fanden uns beide in der Halbfinalausscheidung unter „ferner lasen“ wieder, wobei uns die Jury, „eine schar promovierter spechte“ (Schmitter) zwischen den Zeilen doch einen eher altmodischen Stil attestierte. Seitdem ist einige Zeit vergangen und ich habe immer auf einen neuen Band von ihm gewartet. Der kommt jetzt aus einer unerwarteten Ecke: Er erscheint in einer von Jürgen Brôcan herausgegebenen Buchreihe, der Edition Offenes Feld, die ich bis dato nicht kannte. Schon der Titel von Schmitters Band ist Programm: „Der wille ist ein weithin überschätzter körperteil“ – so lautet er, und das ist in Zeiten, wo es vor lauter Selbstoptimierern und Motivations-Muckibuden-Trainern mit ihren flachsinnigen „Du kannst alles, wenn du willst“-Botschaften nur so wimmelt, ein Satz von wohltuender Lebensklugheit. Die Muskel-Aussteller bekommen es in einem von Schmitters neuen Gedichten mit poetischen Gewichten zu tun, die sie nicht so leicht stemmen können:
Keine währung so hart
wie die in den kathedralen der körper
barren aus blei gestapelt in den herzkammern der geräte
an denen sie pumpen
im sakralen ernst des schweißes
auf ihren lippen die einsilbigen psalmen ihrer fron
wenn sie mit hanteln schwer wie gullydeckel
vor den ballettspiegeln posen
im sucher der frauen auf den laufbändern
Das Schöne an den Gedichten von Frank Schmitters ist ihr Mut, bei einer Bildwelt zu verweilen, in der Gewissheit, dass da noch poetische Kostbarkeiten abfallen. Nicht diese disruptive Metaphorik mancher Gegenwartslyrik, die hektisch Bilder aufeinanderschichtet, ohne sich im geringsten um Luzidität oder Stringenz zu kümmern. Schmitter gelingt eine solch luzide Stimmung mühelos auch auf Kurzstrecke:
An der landstraße die ampel
zeigt rot über uns ein formationsflug der stare
himmelspixel, die mit der geometrie tanzen
in rhomben trapezen rechtecken
die ampel springt auf grün
sie bilden ein schleppnetz
tragen den spätsommer fort über die kontinente
Hier wird das Bild der Formenvielfalt, die in den Schwarmbewegungen der Stare liegt, wie eine Brücke durch das Gedicht gelegt. Und eine Brücke, die tragen soll, so weiß man gemeinhin, besteht aus mindestens zwei Säulen. Da mögen manche von Allegorien murmeln, von denen sich Gedichte tunlichst fernzuhalten hätten (warum eigentlich?). Schmitter entzündet seine Gedichte nicht wie Streichhölzer, die er kurz nach dem Entflammen wieder auswedelt, er wartet, bis die Flamme nicht nur Licht, sondern auch Wärme entfaltet, und offenbart so eine poetische Geduld, die man heute selten findet. Wenn man eine Veränderung zum vorigen Band feststellen kann, so ist es vielleicht der Eindruck, dass die Gedichte etwas erzählerischer geworden sind, sie schildern Begebenheiten, sind bisweilen verdichtetes Storytelling. Aber enthält dieser Band auch wieder diese entwaffnenden Liebesgedichte, die den ersten Band so wunderbar prägten? Natürlich. Und witzigerweise steht eines dieser Liebesgedicht genau gegenüber dem eingangs zitierten Gedicht über die Fitnesstempel. Auch in ihm geht es um Währungen, aber von ganz anderer Art:
Nach dem kino brach
es den wolken das herz
sie streuten münzen auf die straßen und dächer
unermüdlich wir flüchteten in einen innenhof
unter das wellblech der fahrradständer
über uns die monde weniger erleuchteter fenster
in uns knisterte der filmstreifen
deine finger eifrige taschendiebe
meine lippen legen münzen auf deinen hals
das unermüdliche kleingeld der liebe
Eine warmherzige Währung ohne Kursschwankungen. Schmitter liefert mit diesem Gedichtband einen weiteren dringend benötigten Fundus poetischer Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Ja, „der wille ist ein weithin überschätzter körperteil“ – auch wenn diese Körper zu Kathedralen ausgebaut werden sollten. Aber wo wir schon einmal bei Fitness sind: Trainieren Sie Ihre Sinne mit diesem Band. Die Gedichte von Frank Schmitter haben wahrlich mehr Aufmerksamkeit und Wahrnehmung verdient.
Hellmuth Opitz
Frank Schmitter „Der wille ist ein weithin überschätzter körperteil“
Edition Offenes Feld, Hrsg. Jürgen Brôcan
80 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978-374605-9-471
Frank Schmitter, geb. 1957 in Krefeld, lebt in Ismaning bei München. Diplom-Bibliothekar. Nach mehreren beruflichen Stationen seit 2005 verantwortlich für das Literaturarchiv der Stadt München. Mehrere Veröffentlichungen von Prosa und Lyrik, zuletzt “Die Markisen rollen den Nachmittag aus” (München 2012).