Poesie ist nicht nur Wort. Poesie ist Leben, das sich ständig erneuern muss. Doch was heute noch neu und fremdartig erscheint, gehört morgen schon zum Altbewährten. Junge Lyrik beschreibt den Raum dazwischen. Deshalb wagt Stefanie Lux in Nachfolge von Leander Beil an jedem 8. des Monats in der Kolumne »Fremdgehen, jung bleiben« einen freien Blick auf das kulturell und sprachlich Andere, das vermeintlich Fremde in der noch jungen Textwelt.
Fremdgehen, jung bleiben, so nennt sich diese Kolumne. Im Zusammenhang mit Lyrik ist ihr Selbstverständnis deshalb, die Schnittstellen von junger Lyrik und Altbewährtem zu beschreiben und darzustellen. Da Poesie gedrucktes Leben ist, ist die Hinführung zu den Texten hier stets auch ein Versuch, jenes Leben zu beschreiben.
Auf das Leben bezogen, bedeutet die Zusammenführung von Jungem und Altem einen Aufbruch und manchmal zunächst einen Zustand in der Schwebe. Unsicherheit macht sich breit, denn zwischen verschiedenen Lebensabschnitten stellt sich die Frage: Wann fremd gehen, wie jung bleiben? Wie den eigenen Weg beschreiten und Neues, Fremdes entdecken, ohne das Alte zu verraten, dabei sich selbst treu zu bleiben?
Was bedeutet es, zu gehen – was heißt also gehen? Gehen ist Bewegung. Nur wenn man im Stillstand verharrt, bleibt eine Leere, die nicht zu füllen ist. Einen Fuß nach dem anderen auf unbekannte Pfade zu setzen, kann einstweilen beängstigend sein. Doch jeder Schritt ist auch Fortschritt, und Gräben, die man gestern noch nicht füllen konnte, liegen morgen vielleicht schon abseits des Weges.
Den Weg weiter nach vorne zu beschreiten und damit Bekanntes hinter sich zu lassen, muss nicht zwingend bedeuten, nicht mehr unbeschwert die Lieder der Jugend mit lauter Stimme zu singen.
was gehen heißt
was gehen heißt
frage ich
und wie einer singen kann
ohne stimme.
ich habe vergessen
wann die zimmerpflanze das letzte mal blond war
und nach rosen roch.
ich habe vergessen
wie wasser schmeckt
und wie blau ein himmel sein kann.
ein loch habe ich gegraben
und finde nichts
es zu füllen.
kann nicht fassen das helle
und nicht das schwere.
was gehen heißt
frage ich
und was wir singen sollen
ohne stimmen.
vielleicht
wird es dasselbe sein.
Andrea Klemm, geboren 1988 in Stuttgart, hat in Passau, Prag und Tübingen Literatur-, Film- und Kulturwissenschaften studiert. Sie arbeitet, schreibt und lebt heute im Rhein-Main-Gebiet. Veröffentlichungen auf diversen Online-Medien.
Stefanie Lux, geboren 1987 in Kaufbeuren, Studium der Germanistik, Politikwissenschaften, Geschichte, Literatur- und Kulturtheorie in Gießen und Tübingen, lebt in München.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Fremdgehen, jung bleiben« finden Sie hier.