Fremdgehen, jung bleiben – Folge 34: Siljarosa Schletterer

Poesie ist nicht nur Wort. Poesie ist Leben, das sich ständig erneuern muss. Doch was heute noch neu und fremdartig erscheint, gehört morgen schon zum Altbewährten. Junge Lyrik beschreibt den Raum dazwischen. Deshalb wagt Stefanie Lux in Nachfolge von Leander Beil an jedem 8. des Monats in der Kolumne »Fremdgehen, jung bleiben« einen freien Blick auf das kulturell und sprachlich Andere, das vermeintlich Fremde in der noch jungen Textwelt.

 

Was ist Chemie zwischen zwei Menschen? Was lässt uns dem einen Menschen verfallen und uns vom anderen abwenden? Wie können wir Jahre an der Seite eines Menschen verbringen, andererseits manchmal schon nach nur wenigen Wochen merken, dass eine Person nicht den Zauber in uns hervorruft, den wir beim ersten Treffen zu spüren glaubten? Wie entstehen Beziehungen, Leidenschaften und Freundschaften? Ist alles Chemie? Oder ist es vor allem Wunschdenken, das uns Menschen verbindet?

Es ist immer wieder faszinierend, wie sich manche Türen für immer schließen, während es Menschen gibt, die es schaffen, fortwährend einen Fuß zwischen Türstock und Tür zu stellen. Diese Türen können wir, egal wie sehr wir uns damit abmühen, nicht schließen. Man zieht sich gegenseitig an, oft auch gerade dann, wenn man sich dessen bewusst ist, wie falsch diese Form von Beziehung ist.

Jeder kennt diesen einen Menschen, manche begegnen im Laufe ihres Lebens mehreren von ihnen. Sie sind unser Kryptonit, wir heulen den Mond an, tragen Trugbilder von einer sich nie erfüllenden Zukunft in uns. Ein Perpetuum Mobile der Gefühle. Es existiert nicht in und nicht mit diesen Menschen, was wir suchen, wonach wir uns im Innersten sehnen. Und doch rennen wir wieder zurück, wissen es zwar besser, doch beim nächsten Ruf finden wir uns erneut zu ihnen eilend in der Einsamkeit der Nacht wieder, versuchen unsere Löcher im Nachtschatten zu stopfen.

Sie ist so spannend, die Destruktivität, die in jener Form des Begehrens steckt. Selten leiden wir so sehr, selten sind wir leidenschaftlicher. Doch irgendwann, merken wir, dass auch, wenn wir uns eine Nacht gehören, wir nie im anderen aufgehen werden. Denn Leidenschaft ist nicht Liebe und Begehren nicht Geborgenheit. Und so laufen wir weiter über Brücken, nachts, bis wir erkennen müssen, dass wir selbst für unsere Löcher verantwortlich sind, nur wir selbst können sie füllen. Und dann, unverhofft und unerwartet, öffnet sich auf der anderen Straßenseite eine Tür, durch die Tageslicht dringt und die alles in sich birgt, was wir uns ersehnen.

 

perpeTUum

rufst du mich
lauf ich die städte ab
bis du den mond siehst

folgen mir nachtschatten
über donnerbrücken

verwandelst du menschliches
in blumensträuche
du der du nicht mein bist

bis du mich rufst

 

© Siljarosa Schletterer

 

Siljarosa Schletterer studiert Musikwissenschaft (partiell Literaturwissenschaft); schreibt Rezensionen und Kritiken in verschiedenen Magazinen; feiert den Widerstand, die Kunst und die Poesie: Konzeption/Redaktion/Moderation der Lyriksendung “wortflair” auf radio freirad, Teil des Organisationsteam des Lyrikfestivals w:orte in Innsbruck, Vizepräsidentin der ig Autorinnen Autoren Tirol, Vorstandsmitglied der ig Autorinnen und Autoren Österreich

 

 

Stefanie Lux. Foto: privat
Stefanie Lux. Foto: privat

Stefanie Lux, geboren 1987 in Kaufbeuren, Studium der Germanistik, Politikwissenschaften, Geschichte, Literatur- und Kulturtheorie in Gießen und Tübingen, lebt in München.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Fremdgehen, jung bleiben« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert