Gedichte für Kinder – Folge 30: Sechs Kindergedichte von Sibylle Hoffmann

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Die Schnecke

Keiner küsst mich.
Ich bin schäbig.
Keiner mag mich.
Ich bin eklig.

Ich bin schleimig,
schwarzrot bräunlich,
krieche traurig.
Keiner mag mich.

Fühler strecken,
bisschen gucken.
Körper recken
Blättchen schlucken.

Bin ein Stummer,
will auch herzen.
Fress voll Kummer,
leb mit Schmerzen.
 

Frost

Es war in einer kalten Nacht,
da bin ich plötzlich aufgewacht.
Den weißen Mond hab ich gesehn
und wo im Zimmer Stühle stehn.

Leise stand ich auf vom Bett,
schlich barfuß über das Parkett.
Mein Teddy rief: Pass auf, Gespenster!
Doch tapfer ging ich bis zum Fenster.

Da lag die Straße still und starr,
ich sah das lange, graue Haar
des Alten, der dort langsam schritt.
‘nen Einkaufswagen zog er mit

vorbei an Autodächern zuckerweiß.
Dann blieb er stehn, der krumme Greis.
Ich sah den Bart, er war voll Frost,
vom Einkaufswagen tropfte Rost.

Ach Mond, sagt’ ich, der Typ erfriert,
ist viel zu lang herumgeirrt!
Ich rührte Milch mit Honig an
und trug sie zu dem krummen Mann.

In seine Hände rot und rau
gab ich den Becher: »Oh, Kakao?«
»Nein, nein, das ist ein Mondgetränk,
schön warm und süß – ist mein Geschenk!«

Am Fenster steh ich heute wieder
im Garten duftet weißer Flieder.
Ich denke an den alten Mann:
Ob er den Flieder riechen kann?

 

Meine Nase

Ich habe eine Nase,
die ist ein Popelhaus,
und wenn mein Finger drin ist,
kommt oft ein Popel raus.
Ich knete ihn ein wenig,
und manchmal etwas mehr.
Das tut man nicht.
Das weiß ich auch,
Popel sind nicht zum Verzehr!
 

Die Fliege

Ich bin eine bedeutende Fliege
Und fliege mit Fliegengepäck
Ich fliege, ich fliege, ich fliege
Und lande mitten im Dreck.

Ich bin eine bedeutende Fliege
Magst du mich etwa nicht?
Ich fliege und fliege und fliege
Und lande in deinem Gesicht.

Ich bin eine bedeutende Fliege
Du findest mich lästig und dumm?
Ich fliege und fliege und fliege
Jetzt schneller im Zimmer herum.

Ich bin eine bedeutende Fliege
Mit Nadelstreifen und so
Ich fliege, ich fliege, ich fliege
Und lande auf deinem Popo.
 

In Dänemark im Picknickpark

Als – lange her – sein Dasein gelblich anfing,
kam er zur Dänenwelt mit kleinem Pling:
ein wackeliger, weicher Sonderling,
ein schaumgeborner glänzend gelber Pudding.

Vor Publikum im schönen Picknickpark
stand er im sommergrünen Dänemark.
Er roch echt gut – so nach Vanillemark –
und dampfte honigsüß und sahnig stark.

Ein Hund erschnupperte Vanillewind
und jagte los in wildem Sprint.
Da schrie sein Herr »Bei Fuß Korint!«

Zu spät! Der Pudding fiel schon um!
Korint, der fraß ihn auf und drum
stand ohne Pudding nun das Publikum –

in Dänemark
im Picknickpark.

 

Rennrad

Mit Sehnsucht schaut das Rennrad
auf den Mann im Schaumbad.
Der schaut verliebt aufs Rennrad
und gibt ihm etwas Schaum ab.

 

© Sibylle Hoffmann

Sibylle Hoffmann wurde 1951 in Berlin geboren. Die Kindheit verbrachte sie in den USA und schrieb ihre ersten Gedichte auf Englisch. Dann musste sie die Sprache wechseln: In Deutschland kam sie aufs Internat und studierte Soziologie und Philosophie. Später wurde sie Hochschuldozentin, Autorin für den ARD-Hörfunk und für Printmedien. Sie hat auch Bücher für Kinder auf Englisch und Deutsch veröffentlicht. Seit 1983 lebt sie in Hamburg und schreibt wieder Gedichte, u. a. für Kinder, denn, so sagt sie, »Reime, Formen und Rhythmen, Witz und Phantasie drängen sich ihr auf und treiben ständig neue Blüten.«

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982) und »Der Alltag des Fortschritts« (1996). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her.«

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert