Gedichte für Kinder – Folge 87: Sieben Kindergedichte von Sylvia von Keyserling

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Bettina, meine Lieblingsmaus

Bettina, meine Lieblingsmaus,
lud gestern mich zu sich nach Haus.

Ich machte mich gleich mauseklein
und schlüpfte in ihr Haus hinein.

Wir küssten uns nach Mäusebrauch
aufs Ohr und auf die Nase auch.

Bettina reichte mir zum Tanz
die Pfote erst und dann den Schwanz.

Wir schlürften süßen Morgentau,
danach gab‘s Pudding und Kakao,

Und mausekleine Betten gar,
als ich auf einmal müde war.

Wir kuschelten uns beide rein
und schliefen Hand in Pfote ein.

 

 

Blaue Sterne

Ich wünsch mir eine Eisenbahn
und sieben blaue Sterne,
ein kleines Schaf, das grasen kann,
sieht meine Bahn von Ferne.

Das Schaf, es hält den Atem an,
es sieht die blauen Sterne
und drunter pfeilgeschwind die Bahn.
Sie braust in weite Ferne.

Ich wünsch mir eine Eisenbahn,
ich reise nämlich gerne.
Das Schaf sieht mich verwundert an
und zählt die blauen Sterne.

 

 

Der Wolkenpolterer geht um

Grad hab ich noch auf der Wiese getollt,
jetzt hör ich schon, wie der Donner grollt.
Der Himmel ist lila. Alles ist stumm.
Nur der Wolkenpolterer geht jetzt um.

Grad hat noch ein Wind wild herumgeweht,
jetzt spür ich, wie alles stille steht.
Da zuckt ein Blitz auf! Und bumbumbarum!,
geht der Wolkenpolterer wieder um.

Durch den prasselnden Regen schnell nach Haus,
was für ein Spaß! Es macht mir nichts aus.
Und da! Noch ein Blitz! Und bumbumbarum!,
geht der Wolkenpolterer wieder um.

 

 

Die Spinne

Auf der Garderobe in meinem Gang
wanderte eine Spinne entlang.

In ihre kunstvollen Spinnerein
wob sie Mäntel und Mützen ein,

Zog den Faden mal kurz, mal lang,
knüpfte ihr Netz und spann und sang.

Ich sah ihr zu und wollte nicht stören,
ging ohne Mantel und Hut spazören.

 

 

Kunststück

Wenn in meinen Ellenzellen
sieben wilde Hunde bellen,

wenn in meinen Handgelenken
Akrobaten sich verrenken,

wenn durch meine Fingerspitzen
leuchtend grüne Blitze flitzen,

schau ich wirklich ganz gebannt
auf den Arm und auf die Hand,

will gleich auf die Straße gehen!
Alle Leute sollen sehen

wie durch meine Fingerspitzen
leuchtend grüne Blitze flitzen,

wie in meinen Handgelenken
Akrobaten sich verrenken

und in meinen Ellenzellen
sieben wilde Hunde bellen.

 

 

Stinktiergedicht

Ein Stinktier will ich heute sein!
Ich stink herum und fühl mich fein.

Die Dusche hab ich zugeklebt,
das Wasser hab ich abgedreht.

Die Seife habe ich verschenkt.
Das Handtuch hab ich abgehängt.

Die Bürste habe ich zerbrochen
und bin ins Bett zurückgekrochen.

Jetzt stink ich leise vor mich hin,
ganz wie die Stinke-Königin!

 

 

Wutsch!

Es war einmal ein Trauerschwan,
der fuhr mit einer Eisenbahn.
Die Bäume sausten – wutsch! vorbei.
Dem Schwan wurde ganz schlecht dabei.

 

© Sylvia von Keyserling

 

 

Sylvia von Keyserling, geboren in Innsbruck/Tirol, Lyrikerin und Erzählerin, lebt in Stuttgart. Ihr erster Gedichtband erschien 1980 während eines einjährigen Studienaufenthaltes auf den Philippinen. Seither hat sie mehrere Gedichtbände für Erwachsene, Kinderbücher und -funkerzählungen sowie Kindertheaterstücke veröffentlicht und verschiedene Auszeichnungen erhalten. Die Kindergedichte sind bislang in Zeitschriften und Anthologien, auch vertont, im Funk und in Schulbüchern erschienen. „Freude an Worten, am Spiel mit Worten, an Klang, Laut, Rhythmus, Form, eine gewisse Musikalität sind für mich grundsätzliche Voraussetzung für das Schreiben von Gedichten, gleich welcher Art. Für Kindergedichte zudem Humor, eine Portion Übermut, eine Affinität zu kindlichen Vorstellungswelten. Mit ganz unterschiedlichen Spielregeln Texte zu erarbeiten, ist eine reizvolle Herausforderung. Es erweitert den Raum.“

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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