Gedichte für Kinder – Folge 88: Sechs Kindergedichte von Helmut Glatz

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Der wütende Achim

Hat Achim eine Wut im Bauch,
dann speit er Feuer, Qualm und Rauch,
dann weint er siedend heiße Tränen
und knirscht entsetzlich mit den Zähnen.

Er tobt wie ein Orkan durchs Haus,
schlägt wie ein Pferd nach hinten aus.
Suppentopf und Teller sausen
wie Raketen wild nach draußen.

Den Kopf voran, rennt durch die Tür
er in die Stadt und trampelt hier
die großen Häuser, Stein um Stein
und alles andre kurz und klein.

Mit seiner Rechten, bärenstark,
knickt er den Eichenbaum im Park,
worauf, nach einem Schlag der Linken
die Autos in das Pflaster sinken.

Er wirft die Straßenbahnen um,
er biegt die Schienen kreuz und krumm
und schießt den Schaffner Gustav Kümmel
schnipp! mit zwei Fingern in den Himmel.

Die Leute liegen auf den Knien
und flehn ihn an und bitten ihn:
Lieber Achim, sei doch gnädig!
Doch er lacht nur ganz unflätig.

Er trampelt alle Berge klein,
vom Watzmann bis zum Wendelstein.
Am Ende reißt er voller Tücke
die ganze Welt in tausend Stücke.

Und hat er das getan vor Wut,
dann ist er endlich wieder gut.

 

 

Schnupfengedicht

Riese
ein riesiger Riese
roch
ein riesiger Riese roch
ein rosiger Riese roch an einer riesigen Rose
an einer riesigen Rose roch ein rosiger Riese.

Riese
Rose
ein riesiger Riese
ein riesiger Riese ein
rosiger Riese eine
riesige Rose
roch
eine riesige Rose
ein rosiger Riese roch
ein rosiger Riese roch an einer riesigen Rose

Hatschi!

 

 

Anleitung zum Malen

Mein Kopf, der hat zwei Ohren,
‘ne Nase und ein Kinn,
dann hat er noch zwei Augen
mit zwei Pupillen drin.

Am Kopf sind viele Haare,
schwarz, blond oder braun,
und ein paar Sommersprossen,
ganz neckisch anzuschaun.

Jetzt fehlen noch die Brauen,
die Lippen und die Stirn,
ins Innere des Kopfes
gehört etwas Gehirn.

Nun kann der Kopf auch denken,
und reden ohne Rast.
Ich werde ihn dir schenken,
wenn du Geburtstag hast.

 

 

Ohne

Ein Grinsen ohne Katze,
ein Zittern ohne Maus
tun einem nichts zuleide,
halten‘s zusammen aus.

Anders wär es hier zu lesen,
wärn die beiden mit gewesen.

 

 

Seltsamer Fund

Ein Blatt Papiere liegt tief im Wald,
darauf ist eine Schrift gemalt.

Der Dachs, der daran riechen tut,
verzieht das Maul: Es riecht nicht gut.

„Oinen Baum“, so spricht der Specht,
„möt solchen Blättern könn öch necht!“

Die Schnecke kriecht die Schreibspur lang,
ihr wird ganz schwindelig und bang.

„Wer hier“, sagt sie, „entlang gerannt,
hat nur ein Bein, doch nicht Verstand!“

Am End war allen Tieren klar,
dass dies ein großes Rätsel war.

Das Blatt, es stammt von Annegret,
der Wind hat es ihr fortgeweht.

Und ob ihr´s glaubt oder auch nicht,
darauf stand folgendes Gedicht:

Ein Blatt Papier liegt tief im Wald,
darauf ist eine Schrift gemalt …

 

 

Ein Witz

Ein Witz
saß auf einem Ast,
den er sich gelacht hatte,
und wointe.
Ihm fehlte die Pointe.

Das sahen die Kröten, die Krähen, die Maus
und
lachten
ihn
aus.

 

© Renate Glatz

 

Helmut Glatz wurde 1939 im böhmischen Eger geboren. Er studierte Pädagogik und Psychologie in Augsburg und München und war viele Jahre Lehrer. Als Rektor i.R. gründete er den Landsberger Autorenkreis und war Spielleiter des Marionettentheaters „Am Schnürl“ in Kaufering. Helmut Glatz hat 30 Bücher veröffentlicht, darunter das sehr erfolgreiche Kinderbuch „Die gestohlene Zahnlücke“ (1972). Zeitlebens schrieb er Geschichten und Gedichte, viele davon für Kinder. Der besondere Reiz am Gedichteschreiben lag für ihn in der Vermischung von Realität und Phantasie und in den Spielarten des Nonsens, den er besonders liebte. 2021 ist Helmut Glatz in Landsberg am Lech verstorben.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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