Gedichte für Kinder – Folge 93: Zehn Gedichte aus einem Lyrik-Workshop

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Erfolgsgeschichte

Der Kater springt mir auf den Schoß.
Hier wird er sitzen – so sein Plan.
Die Skrupellosigkeit ist groß,
denn damit fängt sein Spaß erst an.

Er dreht sich hin, er dreht sich her.
Er dehnt und streckt und wendet sich.
So langsam nervt es – aber sehr.
Doch freut ihn das – ganz sicherlich.

Er wetzt die Krallen – au, verdammt!
Und langsam wird er wirklich schwer.
Ausgiebig gähnt er, schnurrt charmant,
der Fischgeruch wird immer mehr.

Ich gebe auf, der Platz ist sein.
Kaum steh ich, geht der Rest ganz schnell.
Und ohne Dank rollt er sich ein.
Zurück bleibt Kleidung voller Fell.

Andrea Dippel

 

 

Der Ring

Eng. Arm in Arm. So gehen sie.
Das Feld getaucht in Himmelblau.
Und Schritt für Schritt fragt sie sich wie
und wann und ob, ihr Hals ganz rau.

In ihrem Kopf das Bild – ihr Traum
von ihm und ihr – sie zwei als Paar.
Es klopft, es schlägt, ihr Herz braucht Raum.
Die Zukunft greifbar, nah und wahr.

Eng. Arm in Arm. So gehen sie.
Das Feld getaucht in Himmelblau.
Und Schrift für Schritt fragt er sich wie
und wann und ob, sein Hals ganz rau.

In seinem Kopf das Bild – sein Traum
von ihr und ihm – wie wunderbar.
Es hüpft, es liebt, sein Herz braucht Raum.
Dieses Gefühl, so sonderbar.

Eng. Arm in Arm. So gehen sie.
Das Feld getaucht in Himmelblau,
sind sich die Herzen nah wie nie,
doch einer muss sich endlich trau’n.

Andrea Dippel

Geschrieben unter Verwendung der 5 Wörter Ring, Arm, Feld, Himmelblau und Traum

 

 

Die neue Arche

Tüpfelhüpfer und Grashyäne
Hammerwurm und Regenhai
Schildling und Schmetterkröte
Springschwein und Warzenbock
Glühhase und Feldwürmchen
Flussfuchs und Wüstenkrebs
Siebenspringer und Rüsselschläfer
Flederfant und Elemaus
Schon ist das Gedicht hier aus –
Sonst gibt’s Gezeter und Krakeel
Vom mausgeplagten Michael

Birgit Feyer und Eva Pertzel

 

 

Türöffner

Der Maulwurf gräbt im Turnverein
in seiner Heimat Stein am Rhein.
Sprachlos ist er, fühlt sich klein.
Silbrig scheint der Mond herein.
Die Tür fliegt auf: Da steht ein Schwein.
„Komm, Weggefährte, schwarz und klein,
wir gehen heim.

Anne Brauner und Inka Friese

Geschrieben unter Verwendung der 6 Wörter Maulwurf, Stein, Weg, silbrig, Sprach(e) und Tür

 

 

Der Stubentiger

Auf den Schoß springt mir mein Kater.
Ei der Daus, will er wohl raus?
Draußen brummt vorbei ein Flieger.
Wird er nun zum Stubentiger?
Fährt der doch die Krallen aus!
Stopp, jetzt reicht’s, schnell aus dem Haus.

Alexandra Rak und Christine Wörsching

 

 

Das Paar

Ich hab ein schönes Bild im Kopf:
ein Himmelblau wie aus dem Topf,
durchs Feld spaziert ein junges Paar,
hält sich im Arm, ganz wunderbar.
Er reckt den Ring und kniet sich nieder.
Der alte Traum – da ist er wieder!

Roswitha Pinner

Geschrieben unter Verwendung der 6 Wörter Bild, Himmelblau, Feld, Paar, Arm und Ring

 

 

Durchsage

Von Wermelskirchen nach Kaltelshütte
Von Adelshofen nach Bürgersfelden
Von Gelsenkirchen nach Bremsenkapellen
Von Passau nach Persowald
Von Salzburg nach Zuckerschloss
Von Innsbruck nach Aussfurt
Von Regensburg nach Nebelsscheune
Von Staffelstein nach Folgebruch
Von Weilheim nach Dochknast
Von Weinfelden nach Schnapswiesen
Von Nassenhausen nach Trockenenresidieren
Von Schweinfurt nach Kuhsteg
Von Freising nach Gefangensprech

Alle Züge heute 55 Minuten später

Christine Dietzinger und Marie-Louise Lichtenberg

 

 

Rezept

Frau gebe:
eine Prise Wasser,
zwei Messerspitzen Milch,
drei Tropfen Mehl,
vier Eiweiß gerieben,
fünf zerlassene Eierschalen.
Dann sechs Meter lang backen!

Barbara von Korff Schmising

 

 

Das Bild

Sie sieht hinaus aufs weite Feld,
das Himmelsblau umspannt die Welt.
Ein guter Tag, ein neuer Start.
Sie brettert los, kommt bald in Fahrt,
vorbei da rauschen Kohl und Ähren –
könnt der Moment doch ewig währen.
Vergessen sind der Ring, das Paar,
als ihr der Wind weht durch das Haar.
Nur Gänsehaut auf ihrem Arm
hält die Erinnerung noch warm.

Jennifer Buchholz

Geschrieben unter Verwendung der 5 Wörter Himmelblau, Feld, Paar, Arm und Ring

 

 

Typisch

Der Kater springt mir auf den Schoß.
Ich dachte noch, was macht er bloß?
Was will er heute denn von mir?
Er ist ein sonderbares Tier.
Er maunzt, dreht sich, schwingt seinen Schwanz,
ein Katertanz, voll Eleganz!
Er legt sich hin, streckt seine Glieder,
krallt in mein Bein, erhebt sich wieder.
Gestreichelt werden? War das sein Zweck?
Ein kühner Sprung – dann ist er weg!

Roswitha Pinner & Jennifer Buchholz

 

 

© bei den Autorinnen

 

 

Ein Lyrik-Workshop, ausgerichtet vom Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur (AKJ) im November 2022 an der Katholisch-sozialen Akademie in Siegburg bei Bonn anlässlich einer Tagung zum Thema „Lust auf Sprache“. Als Workshopleiter hatte ich den 13 Teilnehmerinnen verschiedene Ausgangspunkte vorgeschlagen, ein Gedicht zu schreiben:

1. die Gedichtzeile: „Unser Kater/meine Katze springt mir auf den Schoß“;
2. neue Wortschöpfungen durch Vertauschung wie in „Regenrinne und Rasenmäher“, die zu „Regenmäher und Rasenrinne“ werden;
3. neue Ortsnamen durch Gegenteil-Bildungen, zum Beispiel aus „Siegburg“, das zu „Pleiteschloss“ wird;
4. 5-6 Wörter ausdenken, die unbedingt im Gedicht vorkommen sollen.

In dem Workshop ging es um Kinderlyrik. Aber manchmal treibt einen die Lust am Dichten einfach irgendwo hin. So entstanden auch ein paar Texte, die ein wenig vom Kindergedicht wegführten, weil vielleicht ein ausgedachtes Wort – zum Beispiel „Ring“ – zu anderen Vorstellungen reizte. Das ist aber nicht schlimm, denn auch diese im Workshop entstandenen Gedichte sind für jedes Kind gut verständlich. Deshalb stelle ich hier die besten zehn Gedichte aus dem Workshop vor, auch ein wenig zur Anleitung, wie man mit Kindern Gedichte entwickeln kann.

Das Gedicht „Durchsage“ basiert auf einem Text des Herausgebers mit dem Titel „Neue Zugverbindungen“, das er mit einigen anderen Texten zu Beginn des Workshops vortrug.

Die Schlusszeilen im Gedicht „Die neue Arche“ beziehen sich auf den Workshop-Leiter, der – nach einem ganzen Gedichtbuch voller Mäuse – die Teilnehmer ausdrücklich bat, keine weiteren Mausgedichte zu schreiben.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert