Gedichte für Kinder – Folge 96: Fünf Kindergedichte von Franzobel

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

 

WIR SCHLAFEN, WIR SCHLAFEN.
Der Tag geht zu End.
Die Sonne, sie pennt,
hat ihre Äuglein zu.
Und auch wir geben jetzt Ruh.
Wir schlafen, wir schlafen
Jetzt ein!
Alles was uns Freude macht,
Wird uns auch im Traum gebracht …
Wir schlafen, wir schlafen
Jetzt ein!

 

 

DIE SCHULE WIRD GESPRENGT
Die Lehrer werden gehängt
Die Dummen werden erschossen
Die Anderen haben’s genossen.
Gottfried! Gottfried! Nasenreiter
Deine Nase wächst noch weiter
Weiter, bis zum Himmel rauf
Und noch aus dem Weltall raus,
Gottfried, bist ein Nasenhaus.
Der Gottfried hat einen großen Zinken
Ein Riesenrüssel wächst aus seiner Schüssel namens Gesicht
Nasenbär! Nasenochs! Nasenkropf!
Einen Knorpel hat er groß wie Schinken
Nasenlöcher wie Garagen
So einen Kumpf
Gottfried mit der großen Nasen.
Nasenbär! Nasenochs! Nasenkropf!
Die Schule wird gesprengt
Die Lehrer werden gehängt
Die Dummen werden erschossen
Die Anderen haben’s genossen.

Wir protestieren,
Auf allen Vieren,
Denn wir wissen,
Nasen sind beschissen.

 

 

AHOI, IHR LANDRATTEN
Milchtrinker und Schokoladezuzler
Ahoi, ihr Kaugummikauer
Und Spiegeleibrutzler
Was wollt ihr erfahren?
Etwas vom Leben der Piraten?
Dann passt einmal auf,
aber haltet ihr das denn aus?
Weil so Seeräuber sind wild und brutal
Kein Kinderprogramm im Fernsehkanal
Sie haben solche Bärte, schlechte Zähne
Holzbeine und ich meine
Gebrochene Nasen, platt wie bei Hasen.
Oft geraten sie in schwere Stürme,
fahren mit ihren Booten durch dunkle Wolkentürme
durch blitzende Himmel,
Oft schreien sie: Mann über Bord
Mann über Bord
Und essen Brot mit Schimmel
Auch kommen vor Verbrechen und Mord
Das wollt ihr wirklich hören?
Könnt ihr das auch schwören?
Dann spitzt die Ohren, lasst euch betören.

 

 

SO SPIELTE DER KLEINE PIRAT ZWEI, VIER STUNDEN
Schoss mit vollen Marmeladegläsern auf Feinde
Spritzte nach einer Schlacht Ketchup in die Gemeinde
Der gefallenen Matrosen
Nämlich Playmobilfiguren. Eroberte mit Tosen
Und Geschrei Toilette und Küche,
Die Beute waren Bohnen und Pfirsiche in Dosen
Zwanzig Eier und ein Öl aus Rosen.
Sogar im Schlafzimmer der Eltern
Drehte er eine Runde und
Versteckte im Bett seinen Proviant
Also alles das, was er zuvor in der Küche fand
Honig, Mehl und Butter
Ein Glas Heringe, Kaffee und einen Sack Zucker.
Bei dieser Arbeit, wie kann es anders sein,
Stellte sich ein piratischer Piratenhunger ein.
Nun tauchte auf die ernste Frage
Was essen Freibeuter eigentlich?
Kartoffelbrei? Pudding? Buttermilch?
Sicher nicht!
Auf so einen Piratenmittagstisch, das ist gewiss
Kommt mindestens ein gebratener Ochse
Oder ein gegrillter Fisch.
Wozu man ein Feuer benötigt,
Also war der kleine Pirat genötigt
Den Wohnzimmerteppich und zwei Bänke
Zu einem Haufen zu schlichten und
Was Kinder niemals dürfen, bedenke,
Was dabei alles geschehen kann, anzuzünden.
Der kleine Pirat aber tat es,
Gott sei Dank hielt er die Flamme an etwas Hartes
Das nicht recht Feuer fing,
sonst wäre der Ausgang der Geschichte schlimm.

 

 

KAUM WAR DIE FALLE FERTIG
Knarzte und kratzte etwas an der Tür
Ein unheimliches Geräusch,
Nein, er täuschte sich nicht.
Am Schloss wurde gedreht,
Bestimmt das Nebelmonster
Das da voller Nebelschwaden
Schwefelwaden, Wolkenpomaden steht
Der kleine Pirat wollte flüchten,
Doch zu spät.
Gerade noch unter einem Leintuch
Konnte er sich verstecken, huch.
Schon ging die Türe auf
Erschien ein feistes Ungeheuer
Ahhh, schrie der kleine Pirat,
Das Nebelmonster! Hilfe! Hilfe! Verrat!
Uhhh kam aus dem Eindringling
Das klang wie hundert Eulen
Oder der Schrei von zwanzig kranken Gäulen.
Dann stieg er in Marmelade und Scherben,
Ihhh, da gab es nichts zu erben
Trat einen Schritt zurück
Schon fiel er über den gespannten Strick
Krachte mitten in die Leiter
Und weiter
Landete mit dem Kopf im Eimer voller Farbe
Die bedeckte wenigstens die Narbe
Vom Aufprall, auch die schnell wachsende Beule
Sah man so nicht
Dafür hörte man aber ein entsetzliches Geheule
Aua. Hilfe. Gespenster. Ich sterbe.
Und der kleine Pirat, der das alles sah,
Dachte, das Nebelmonster ist ein rechter Tollpatsch
Jetzt liegt es im Marmeladematsch.
Fast musste er lachen unter seinem Leintuch
Griff sich ein paar Eier
Warf sie auf den Fremden,
Das war eine Feier.
Der Eindringling aber, Quatsch
Mit Soße, voll mit Farbe, Eiern,
Mehl und Honig
Rappelte sich hoch, verlor einen Schuh
trat in Sirup und Scherben, kreischte
Aua, ich werde sterben
Sterben werde ich
Ein Gespenst, o Graus
Nichts wie weg hier, raus.
Und schon war der Störenfried verschwunden
Der kleine Pirat aber sah am zurückgebliebenen Schuh
Und an der Handtasche,
Das vermeintliche Nebelmonster war Fräulein Brasche
Die Aufräumefrau, die einmal in der Woche
Zum Bodenwischen kam.
Nun war sie weg
Das Gesicht voller Gram.
Das Kleid voller Eier,
Mehl und Zucker in jeder Tasche
Armes Fräulein Brasche.

 

© Franzobel

 

 

Franzobel wuchs in einer oberösterreichischen Industriesiedlung auf und wollte anfangs Erfinder werden oder Welthandel studieren, entschied sich schließlich aber für ein Studium der Germanistik. Nebenher arbeitete er als Komparse am Wiener Burgtheater und machte sich unter dem Pseudonym Franz Zobl als Bildender Künstler einen Namen. Wie es zu diesem Namen kam, hat der Autor immer wieder anders erzählt. Die schönste Geschichte geht so: Bei einer Fußballübertragung im Fernsehen – einem Spiel Frankreich gegen Belgien – habe ihm der Schriftzug „FRAN 2:0 BEL“ ins Auge gestochen, den er irrtümlich als Franzobel las. Später stellte Franzobel aber klar, es handele sich bei dem Pseudonym um eine Kombination aus „Franz“, dem Vornamen seines Vaters, und „Zobl“, dem Geburtsnamen seiner Mutter. Franzobel hat Theaterstücke, Prosatexte und Lyrik geschrieben und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Für Kinder hat er Geschichten, eine Oper und zuletzt 2015 den Gedichtband „Der kleine Pirat“ veröffentlicht, der leider vergriffen ist und aus dem drei der hier präsentierten Langgedichte stammen.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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