»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Frank Klötgen
An Anne Bude
(Schwitters im Twitterformat)
Anne Bude, schönet Gör,
tust den ganzen Pott versorgen
mit Geklön, Gedöns und möhr.
Danke, Anne – und bis morgen!
© Frank Klötgen, München
+ Das Original
Das Vorbild ist »An Anna Blume«, das 1910 erstveröffentlichte Flaggschiffgedicht von Kurt Schwitters, das Weltruhm erlangt hat und bis in die Gegenwart in unterschiedliche Kunst- und Kulturrichtungen ausstrahlt (u. a. drang die Hip-Hop-Gruppe Freundeskreis mit »A-N-N-A« in den 90ern tief in die Spitzenplätze der deutschen Charts vor und US-Autor Paul Auster lässt in mehreren Romanen einen Charakter namens Anna Blume auftauchen). Dieses berühmte Merz-Gedicht aus der Dada-Zeit hat im Original rund 1.350 Zeichen; Ruhrpottgewächs und Slam-Poet Frank Klötgen hat sich von ihm zu einem nicht einmal die Maximallänge für Twitter-Nachrichten von 140 Zeichen umfassenden Poem inspirieren lassen (wenn man die erklärende Unterzeile abzieht, also nur Überschrift und Strophe rechnet). Mit ihm transformiert er das Original sprachlich in die Gegenwart und formal (Reim, Metrik) in ein traditionelles Gewand (pikant: u. a. Schwitters hatte die traditionellen Formen kräftig aufgebrochen) – das gegenwärtig allerdings durchaus wieder kräftigen Aufwind erhält und mithin zugleich als Jetztzeitig angesehen werden kann. Was bleibt: Der Inhalt ist eine eigenwillige Liebeserklärung eines männlichen Poeten an ein weibliches Gegenüber – und das Sprachspiel mit dem Namen der Angebeteten zentraler Bestandteil des Gedichts. Weist Schwitters in doppeldeutiger Weise darauf hin, dass »Anna« von vorne und von hinten zu – hüstel – lesen ist, so referiert Klötgen, der natürlich auch durchaus nicht unanzüglich bleibt, zentral darauf, dass »anne Bude« der übliche Treffpunkt der ganzen Ruhrpottregion ist – und diese Lokationsbeschreibung freilich eine enorme lautliche Nähe zum Namen der Schwitters-Angebeteten aufweist.
+ Zum Autor
Frank Klötgen wurde 1968 in Essen geboren, studierte Kommunikationswissenschaften, Anglistik und Marketing und lebt heute als Slam-Poet, Netz-Literat, Kolumnist sowie Sänger und Texter der Band »Marylin’s Army« in München. Er ist Mitglied der Lesebühnen »Die Stützen der Gesellschaft« (München) und »Spree vom Weizen« (Berlin), dazu Veranstalter zahlreicher Poetry-Slams (u. a. National Slam 2007 und 2010). Stipendium der Cafe Royal Kulturstiftung Hamburg 2008 und Writer in Residence in Innsbruck 2011. Touren u. a. mit Goethe-Institut und Robert-Bosch-Stiftung u. a. nach Ägypten, Bulgarien, Dänemark und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit seiner Band hat er in 30 Jahren 15 CDs veröffentlicht. Zuletzt von ihm erschienen: »Büdchenzauber und Zechenverse« (Ruhrgebietsroman und -gedichte, Conbook 2013) sowie »Holz und die 7 Todsünden« (Gedichte, Selbstverlag 2014). www.Hirnpoma.de
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.