»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Gabriele Trinckler
Willi? Voll fett 2
Wenn du mit vürzich quasi scheintot bist,
Und dein Jesicht sieht aus wien Rübnacka,
Denn liecht die dufte Jugend uffm Mist,
Und als Vaehra haste Stinkeknacka.
Sach an: Wat bleibt da dann vom Saus und Braus,
Und wat is übrich von deim Rumjemache?
Als Antwort scheemste da die Oogen aus,
Wenn Leib und Lob vajammeln – schlimme Sache!
Mehr Schultakloppen jibts fürt Kindakriejen.
Denn prahlste: »Kiek, det Jör is schön wie ick.
Jetz sind wa quitt, die Sünden wern vaschwiejen.«
Jenau! Ne Tochta wär dein Meistastück.
Im Balg reinkarniat würd keene alt,
Det Blut bleibt warm, wern ooch die Knochen kalt.
© Gabriele Trinckler, München
+ Das Original
William Shakespeare
Sonnet II
When forty winters shall beseige thy brow,
And dig deep trenches in thy beauty’s field,
Thy youth’s proud livery, so gazed on now,
Will be a tatter’d weed, of small worth held:
Then being ask’d where all thy beauty lies,
Where all the treasure of thy lusty days;
To say, within thine own deep-sunken eyes,
Were an all-eating shame and thriftless praise.
How much more praise deserved thy beauty’s use,
If thou couldst answer ’This fair child of mine
Shall sum my count and make my old excuse,’
Proving his beauty by succession thine!
This were to be new made when thou art old,
And see thy blood warm when thou feel’st it cold.
In der Übersetzung von Max Joseph Wolff nach Schlegel-Tieck, erschienen 1903, lautet es so:
Sonett II
Wenn vierzig Winter deine Stirne drücken
Und tiefe Furchen deiner Schönheit ziehn,
Sinkt deiner Jugend Kleid, von allen Blicken
Bewundert heut, zerfetzt und wertlos hin.
Wird man dich dann nach deiner Schönheit fragen,
Wo all die Pracht der frohen Jugend sei?
In deinem eingesunknen Blick zu sagen,
Wär’ größte Schmach und leere Prahlerei.
Ruhmreicher hättest Schönheit du verwendet,
Dürftest du sprechen: »Seht dies holde Kind,
Das mich entschuldigt, meine Rechnung endet,
Da sein als Erbe meine Reize sind.«
Dann bliebst du jung selbst in den spätsten Tagen
Und fühltest warm dein kaltes Blut noch schlagen.
+ Zur Autorin
Gabriele Trinckler, geboren 1966 in Berlin, lebt seit 1999 in München. Sie ist Autorin und Herausgeberin, dazu Verlagsassistentin im Anton G. Leitner Verlag, Weßling, und Redakteurin der Zeitschrift »Das Gedicht«. Kurzum: Sie pflegt die Lyrik in all ihren Dimensionen. Zuletzt von ihr erschienen sind: als Autorin »bauchkitzel mit forelle« (Steinmeier, Reihe »Poesie 21« 2006) sowie als Herausgeberin »Gedichte für Reisende«, »Weihnachtsgedichte« (beide zusammen mit Anton G. Leitner, dtv 2015) und »Adams Rippe hieß Eva – Frauen & Männer« (Steinmeier, Reihe »Poesie 21« 2016). www.Trinckler.de
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.