Das Original stammt von Karl Heinrich von Bogatzky (1690–1744), bis heute ist der Liedtext »Wach auf, du Geist der ersten Zeugen« des Erbauungsschriftenverfassers und Liederdichters weit verbreitet: Er findet sich, in der Vertonung von Max Reger (1873–1916), bis heute in evangelischen Gesangbüchern (EKG 216 sowie EG 241). Hans-Werner Kube hat sich vor allem von der zweiten Strophe für sein Gedicht »Feuer« inspirieren lassen. Handelt das Vorbild allerdings vom Wunsch nach Ausbreitung des Evangeliums, der guten Nachricht, und ist mithin vollkommen religiös angelegt, so ist Kubes Nachbild klar säkular ausgerichtet: Es geht hier, wie er selbst in einer Begleitmail befindet, »um den Wunsch nach Zerstörung alles Oberflächlichen und alles Verderbenbringenden und die Grundstimmung Wut, eines der heftigsten Gefühle«. Beschwichtigend merkt er noch an, dass seine Grundstimmung anders aussehe, doch punktuell kenne er solche Gefühlslagen durchaus. Und er fragt, in ebenjener Mail auch: »Wo ist Raum, dies zu äußern? Nur beim Seelsorger oder Psychotherapeuten oder Psychiater? Auch in Gedichten?«
Nun, ich finde: Unbedingt auch und besonders in Gedichten! Denn soll es in ihnen nicht (auch) um Wahrhaftigkeit gehen? Dann gehören solche Emotionen und Bilder zwingend dazu, dann müssen sie unbedingt ins lyrische Repertoire hinein. Doch es geht nicht nur um Wahrhaftigkeit, es geht auch um ästhetische Kraft, um den Mut zum großen und persönlichen sowie dabei doch allgemein nachvollziehbaren Bild, um das Rhythmisch-erbeben-Lassende und wuchtig Mitreißende des gekonnten Einsatzes poetischer Mittel.
Ich für meinen Teil jedenfalls hoffe, dass der Wittener Poet sich noch oft so offen mit sich und der Welt auseinandersetzt. Es wäre für die Leser, die seine Verse erreichen, ein Gewinn.
Zudem, auch mit dieser Einlassung hat Kube gewiss recht: Dass er solche Verse (auch deshalb) abfasst, »damit es Phantasien bleiben«. Ja, Gefühl wird besser verarbeitet als nur unterdrückt oder im Selbstzweckwahn hochgeschaukelt, das findet wohl allgemeine Zustimmung. Und das besonders Wunderbare am vorliegenden Bereich ist dann noch: Literatur kann nicht nur dem Autor helfen, sondern auch den Rezipienten.
Ästhetisch gelungene Lyrik, die persönlich ist, allgemein betrifft und weiterhilft – das hat Hans-Werner Kube mit »Feuer« geschaffen, und zwar auf der Basis von:
Karl Heinrich von Bogatzky
Wach auf, du Geist der ersten Zeugen
Wach auf, Du Geist der ersten Zeugen,
die auf der Maur als treue Wächter stehn,
die Tag und Nächte nimmer schweigen
und die getrost dem Feind entgegengehn,
ja deren Schall die ganze Welt durchdringt
und aller Völker Scharen zu dir bringt.
O daß dein Feur doch bald entbrennte,
o möcht es doch in alle Lande gehn!
Ach Herr, gib doch in deine Ernte
viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
O Herr der Ernt, ach siehe doch darein;
die Ernt ist groß, die Zahl der Knechte klein.
Dein Sohn hat ja mit klaren Worten
uns diese Bitt in unsern Mund gelegt.
O siehe, wie an allen Orten
sich deiner Kinder Herz und Sinn bewegt,
dich herzinbrünstig hierum anzuflehn;
drum hör, o Herr, und sprich: Es soll geschehn.
So gibt dein Wort mit großen Scharen,
die in der Kraft Evangelisten sei’n;
laß eilend Hilf uns widerfahren
und brich in Satans Reich mit Macht hinein.
O breite, Herr, auf weitem Erdenkreis
dein Reich bald aus zu deines Namens Preis.
Ach daß die Hilf aus Zion käme!
O daß dein Geist, so wie dein Wort verspricht,
dein Volk aus dem Gefängnis nähme!
O würd es doch nur bald vor Abend licht!
Ach reiß, o Herr, den Himmel bald entzwei
und komm herab zur Hilf und mach uns frei!
Ach laß dein Wort recht schnelle laufen,
es sei kein Ort ohn dessen Glanz und Schein.
Ach führe bald dadurch mit Haufen
der Heiden Füll zu allen Toren ein!
Ja wecke doch auch Israel bald auf
und also segne deines Wortes Lauf!
O beßre Zions wüste Stege
und, was dein Wort im Laufe hindern kann,
das räum, ach räum aus jedem Wege;
vertilg, o Herr, den falschen Glaubenswahn
und mach uns bald von jedem Mietling frei,
daß Kirch und Schul ein Garten Gottes sei.
Laß jede hoh und niedre Schule
die Werkstatt deines guten Geistes sein,
jasitze du nur auf dem Stuhle
und präge dich der Jugend selber ein,
daß treuer Lehrer viel und Beter sei’n,
die für die ganze Kirche flehn und schrein!
Du wirst dein herrlich Werk vollenden,
der du der Welten Heil und Richter bist;
du wirst der Menschheit Jammer wenden,
so dunkel jetzt dein Weg, o Heilger, ist.
Drum hört der Glaub nie auf, zu dir zu flehn:
du tust doch über Bitten und Verstehn.
Zum Gedicht “Feuer” von Hans-Werner Kube
Respekt vor kunsthandwerklichem Geschick: die Verse sind in klassischer Manier geschmiedet – so, wie ich es mag. Doch die pauschale, fast manichäische Verdammung der ach so weltlichen Sündenpfuhle ist wohlfeil. Sie widerspricht Ingeborg Bachmanns Richtschnur, einer vermeintlichen Pointe nicht die halbe Wahrheit zu opfern: Was wäre denn, wenn ein (reinigendes?) Feuer Elends- und Luxusviertel verbrennen würde? Letztlich ist der lyrische Gestus bar und bieder. Wucht und Wut als Pointe? Erschreckend simpel, nontranszendent und nicht im Geringsten anregend. Kube kann’s – das signalisieren die Verse. Aber hat er’s auch drauf?
Mögliche Lesart: Welterneuerungsfantasie. Aber statt menschengemachter „Stahlgewitter“ wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts wird jetzt die Stimmung der Friday-for-future-Apokalypse (die Natur schlägt zurück) eingefangen. Genug Transzendenz? Und dann ist da auch noch die Sache mit dem lyrischen Ich.
Sehr geehrter Herr Wilmer, erwischt. Ich bin ein simpler Mensch. Bieder auch. Manchmal wütend. Fragen Sie meine Frau. Wer ist eigentlich Ingeborg Bachmann? Okay, das war jetzt Understatement. Aber bei den etwa 200 Gedichtbänden, die ich bei mir herumstehen habe, ist Bachmann nicht dabei. Und von Bachmanns Richtschnur habe ich noch nie etwas gehört. Gilt die allen? Vom Theologiestudium her habe ich dunkel etwas von den Manichäern in Erinnerung. Ist aber auch schon lange her. Das mit den Manichäern. Wissen Sie was? Ich bin ein Spieler. Ein Wortespieler. Ein Versespieler. Ein Reimespieler. Ein Schauspieler. Mal depressiv. Mal pathetisch. Mal larmoyant. Mal lärment. Erwarten Sie nicht zu viel.