Gedichte mit Tradition, Folge 227: »Bremen« von Michael Augustin

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer


Michael Augustin

Bremen

Reich die Stadt? Die Stadt der Reichen?
Wo Massen zum Sozialamt schleichen?

Ringel, Dank für deine Zeilen
Doch die Stadt hängt in den Seilen

Heutzutag ist unser Bremen
Ziemlich reich nur an Problemen

Echt ist die Stadt, die Stadt ist echt!
Doch den Leuten geht es schlecht

Steintor, Walle und Domsheide
Alle Mann stehn in der Kreide

In der Bildung letzter Sieger
Fußball? Zweite Bundesliga

Die Tageszeitung ist verblödet
Und die Innenstadt verödet

Wird gebaut, darf’s Dudler bauen
Und das Stadtbild uns versauen

Der Hafen wurde zugeschüttet
Und die Werften sind zerrüttet

Liegt was auf Kiel, dann sind es Archen
Für skrupellose Oligarchen

Ahoi! Die Schifffahrt sitzt auf Grund
Ach, Daddeldu … du armer Hund

Weil die ganze Stadt verrottet
Wird die Zukunft eingemottet

Ringel, Ringel, ahnungsloser
Doch nun reicht’s mit dem Gemoser

Marmor, Stein und Eisen bricht
Was uns bleibt, ist dein Gedicht


© Michael Augustin, Bremen

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Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.



Ein Kommentar

  1. Vielen Dank für dieses schöne Gedicht. Herr Oelze, Förderer von Gottfried Benn aus Oberneuland, stand für dieses alte Bremen, von dem auch Ringelnatz spricht. Es war einst eine sehr reiche Stadt. Sein – merkantiler – Abstieg ist ein wenig tragisch. Nur sollten wir, lieber Herr Augustin, uns nicht zu sehr in öffentlicher Selbstkasteiung ergehen. Die Fahne hoch! Die anderen in Deutschland, das habe ich immer wieder erlebt, denken gar nicht daran, so “echt” und ehrlich zu sein wie wir Norddeutschen es sind und würden niemals zugeben, wenn es mal nicht so gut läuft. Diese Imagestrategie, die einer weiteren Abwärtsspirale wehrt, wünsche ich dringend auch Bremen, einer Stadt, in der es meines Wissens einen Engelkenweg gibt, der nicht wenig mit gewissen Vorfahren zu tun hat, und in der mir ein Verlag jetzt ein Angebot machte. Liebste Grüße von Hannover nach Bremen. Ich weiß, wovon ich spreche!

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