»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Gisbert Amm
Tragik des Lebens
Eine mental nicht besonders starke
Briefmarke
wünschte sich einen Schmatz
vom alten Ringelnatz
auf ihren Rücken
und zerbrach an zwei Tücken:
Ringel war nicht mehr lebend
und sie selbst – selbstklebend.
© Gisbert Amm, Joachimsthal (b. Eberswalde)
+ Das Original
Joachim Ringelnatz
Ein männlicher Briefmark erlebte
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
+ Zum Autor
Gisbert Amm, geboren 1965 in Eisfeld (Thüringen), lebt seit 2009 im brandenburgischen Joachimsthal. Zwischenstationen waren u. a. Gießübel, wo er aufwuchs, Meiningen (Militärzeit), Leipzig, wo er Theaterwissenschaften studierte, sowie Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und Karlsruhe, wo er vom Spanplattenleimverkäufer bis hin zum Journalisten so manches wurde – und schließlich, anno 1998, Softwareentwickler, was er bis heute geblieben ist.
Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, u. a. mehrfach im »Jahrbuch der Lyrik« (Schöffling) und in der taz. 2016 erschien Amms Debütband »jahresringen« (mit Zeichnungen von Uta Kühn, Bullauge, Edition Kuhhaut). Ihm folgten bislang noch drei weitere Lyrikbände: »Glückscode« (Künstlerbuch mit Zeichnungen von Miguel Ruibal, Corvinus Presse 2021), »Das Fingerzeighaus« (mit nachgelassenen Zeichnungen von F. W. Bernstein, Bübül 2022) und »Semper« (mit Grafiken von Marlen Melzow, fabrik.transit 2023).
Von Mai 2016 bis Oktober 2022 betrieb Gisbert Amm überdies sein Lyrikhaus in Joachimsthal.
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.
Gute Parodie eines Prototypen. Wir müssen aber auch selbst versuchen, wieder Prototypen zu schaffen!