»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Christian W. Burbach
ottis schlips
ottis schlips sitzt
otti: hip schlips hip
ottis schlips schnippt hip
otti: hihi
otti zieht tief
otti zieht schief
otti: zieh zieh
otti quietscht
ottis schlips schnippt
otti: schnipps schlips schnipps
ottis schlips ritscht
otti: igittigitt
© Christian W. Burbach, Nürnberg
+ Zum Original
Über das Gedicht hatte der Autor im eingesandten Dokument »in memoriam Ernst Jandl« geschrieben. Klar, diesen Verweis braucht es nicht, um hier das Vorbild zu erkennen: Jandls »ottos mops«, eines der verbreitetsten Gedichte deutscher Zunge überhaupt und dazu eines, das selbst im Vergleich zu ähnlich bekannten Poemen Nachbilder in schier unüberschaubarer Menge – und von naturgemäß schwankender Qualität – erzeugt und gewiss auch weiter erzeugen wird. Eine große Besonderheit des Burbachschen Poems deutet sich in dieser, im zugesandten Dokument freilich über der Überschrift stehenden Widmung (sie soll ja nicht das Gedicht stören) an und findet dann im Gedicht selbst ihren Ausdruck: Hier wird nicht das Prinzip, nur einen Vokal zu verwenden, in Konsequenz übernommen; »otto« wird nicht etwa zu »fritz«, wie zu erwarten wäre, sondern zu »otti«. Und nicht nur an jedem Zeilenanfang steht ein »o«, es tönt zudem noch deutlich im letzten Vers durch, der nur auf das vorliegende und sonst in sich vollkommen logische Gedicht bezogen kaum Sinn ergibt, der aber sozusagen in einer charmanten Schlussvolte an Ottos Ausruf »ogottogott«, als er seinen Mops kotzen sieht, bei Jandl denken lässt. Damit wendet sich Christian W. Burbachs Nachbild assoziativ (klanglich und inhaltlich) sowie auch auf den Umstand bezogen, dass hier scheinbarer Nonsens und scheinbare Kunstwerkszerstörung am Schluss stehen, Jandl zu (seinem »ottos mops« bzw. allgemein). Aufbau, Verslängen und Situation (Alltagssituation eines einzelnen Menschen) von »ottis schlips« sind recht eng an das Original angelehnt. Ebenso hat Burbach übernommen, dass es eine Szene für zwei ist, einen Menschen und einen Nicht-Menschen. Ungewöhnlich ist jedoch, dass der Protagonist hier mit einem Gegenstand und nicht mit einem Tier, wie im Original und den meisten der Nachbilder, interagiert. Kurzum: Burbach liefert hier eine Jandl-Hommage, die nicht nur gekonnt ist, sondern sich auch noch durch besondere und Jandl überaus angemessene Kniffe von den sonstigen »ottos mops«-Nachbildern abhebt.
+ Zum Autor
Christian W. Burbach wurde 1958 am Rhein geboren. Er lebt heute als Autor, Unternehmensberater und Immobilienbewerter in Nürnberg. Neben schräger Prosa erschafft er vor allem komische Gedichte, u. a. ist er mit ihnen vertreten in »Der schmunzelnde Poet. Neue komische Gedichte« (hg. v. Jan-Eike Hornauer, Candela 2013). Zuletzt von ihm erschienen: »Seelenklempner Doktor Smiley. Julias letzter Fall« (Roman, Wiesenburg 2010).
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.