»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Michael Hüttenberger
marias manko
marias mama motzt.
marias mama missmutig.
marias menstruation!?
maria: mama, mach mir mut!
marias mama mahnt:
mächtiges manko.
maria: mmh …
mein mann mag mich.
marias mama: mauscheln.
männer muss man manipulieren.
maria mustert mama.
maria: mein mann mag mythen.
marias mama: maximaler megamythos:
maria – messias’ makellose mutter!
maria mulmig: mensch, mama!
maria müde: mama, meine migräne.
© Michael Hüttenberger, Stedesdorf / Darmstadt
+ Das Original
Das Vorbild für Michael Hüttenbergers »marias manko« ist »ottos mops« von Ernst Jandl. Dieses scheint in vielerlei Hinsicht stark durch: Schon im ersten Vers ist die Vorlage unverkennbar kenntlich gemacht, unter anderem durch Aufbau, Länge und das »-otzt«-Ende sowie konsequente Kleinschreibung. Zudem wird ein Mechanismus bedient, der jenem aus »ottos mops« eng verwandt ist, da er nämlich auf eine gezielte und konsequente Lautwiederholung abzielt: Wird dort als Vokal nur das O eingesetzt, so ist hier der Auftaktlaut stets das M, und überdies ist mit dem A ein Vokallaut immerhin stark dominant und prägend. Diese Nähe zum Vorbild wird das ganze Gedicht durchgehalten, wenngleich Hüttenberger durchaus ganz eigene Akzente setzt.
Inhaltlich bedeutet dies: Zwar wird hier wie bei Jandl eine Szene aus dem Alltagsleben beobachtet – und zwar eine solche, bei der es zentral auch um Körperflüssigkeit (»ottos mops kotzt« bekanntermaßen) geht und die zwei über ein Machtgefälle verbundene Figuren (Hund und Herrchen dort, Mutter und Tochter hier) betrifft –, jedoch sind die absehbaren Folgen bei Hüttenberger per se deutlich weitreichender (bei Jandl geht’s um ein kleines Alltagsunglück, bei Hüttenberger um eine drohende Lebenskatastrophe) und erlangen durch das biblische Wissen des Lesers gar eine transzendente, mythische und religionsgeladene Dimension.
Kurzum: Hüttenberger verwandelt sich hier Jandls möglichweise bekanntestes Stück an, treibt es gewissermaßen noch weiter (oder legt es schlicht ein Stück anders aus und an) und verbeugt sich mit gekonntem Sprach- und Lyrikspiel vor dem legendären österreichischen Sprachvirtuosen und -bastler.
+ Zum Autor
Michael Hüttenberger, 1955 in Offenbach geboren, lebt als freier Autor in Darmstadt und Stedesdorf (Ostfriesland). Seine Schaffensschwerpunkte sind: Lyrik und Kurzprosa sowie Kommentare und Glossen. Gewinner Science-City-Slam Darmstadt 2007, Stockstädter Literaturpreis 2012, Krimipreis Wardenburg 2013, zweiter Platz Mannheimer Literaturpreis 2014 (Lyrik) und Finalist beim Menantes-Preis für erotische Dichtung 2016. Er war Mitinitiator und einer der zentralen »Spieler« der Lyriker-Mannschaften, die unter Leitung von Jan-Eike Hornauer die Fußball-WM 2014 und die EM 2016 auf DAS GEDICHT blog in Versform kommentierten (siehe »Vom Leder gezogen 2014« und »Vom Leder gezogen 2016«). Sein bevorzugtes Mittel hier: das Sonett. Zudem ist er einer der zentralen Poeten von »Gedichte mit Tradition«. Zuletzt von Hüttenberger erschienen sind u. a.: »Ich Huhn, ich wollt, ich wär … – 111 human Identities« (Miniaturgeschichten; WK-Mediendesign-Verlag), »Bärendienstag. Eine weihnachtliche Bärengeschichte« (Kinderbuch mit Illustrationen von Wiebke Logemann; Brune-Mettcker-Verlag) und »Ostfriesische Perspektiven« (Lyrik und Prosa; Druckwerkstatt Kollektiv Verlag). www.MichaelHuettenberger.de
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.