Humor in der Lyrik – Folge 15: Josef Guggenmos (1922 – 2003): Ein Feuer im kahlen Feld

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Kindergedichte, zumal humorvolle, wiegen leider auf der Waage der Lyrik noch immer viel zu wenig. Spricht man von Kindergedichten, denken viele an hübsche, aber doch belanglose Verse für die Kleinen und ebenso klein, das heißt unbedeutend, seien daher auch diese Eleborate, die im Bereich der ernst zu nehmenden Lyrik keinen Platz beanspruchen dürften. Einer, dem es gelang, diese Ansicht zu entkräften, war nach Christian Morgenstern und Erich Kästner der Allgäuer Josef Guggenmos.

Geboren wurde er am 2. Juli 1922 in Irsee im Allgäu. Früh erwachte seine Liebe zur Natur, zu den Tieren, Pflanzen und »kleinen Dingen«, zu Märchen, Sagen, Gedichten und vor allem zu Defoes »Robinson Crusoe«. »Mit Freuden erinnert er sich — welch ein Ausnahmefall! — an seinen Deutschlehrer, der seine Klasse zum Schreiben eines Herbstgedichts anregte, und so den Sechzehnjährigen zum Dichten brachte«, teilt Kurt Franz im Handbuch der Literatur in Bayern mit.

Porträt Josef Guggenmos. Zeichnung: Alfons Schweiggert
Porträt Josef Guggenmos. Zeichnung: Alfons Schweiggert

Nach Abitur, Militärdienst und Kriegsgefangenschaft studierte Guggenmos Germanistik, Kunstgeschichte, Archäologie und Indologie in Marburg, Erlangen und Bonn. Es folgte eine Arbeitsphase als Lektor und Übersetzer für verschiedene Verlage. Diese Tätigkeit führte ihn schließlich auch zum Kindergedicht.

1956 veröffentlichte er im Alter von 34 Jahren sein erstes Gedichtbändchen »Lustige Verse für kleine Leute«. In den nächsten zehn Jahren folgten weitere acht Bücher. Doch der Durchbruch kam erst, als er für seine Sammlung »Was denkt die Maus am Donnerstag?« die Prämie zum Deutschen Jugendbuchpreis 1968 erhielt. Damit war wieder einmal ein echter und anerkannter Dichter für Kinder geboren, dazu einer, der es verstand, in seinen Gedichten stets feinen Humor mitklingen zu lassen. Bald kannte nicht nur jedes Kind das Titelgedicht des prämierten Buches.

Was ist nun das so Besondere, das die Kindergedichte dieses Autors ausstrahlen? Hans Joachim Gelberg, der als Verleger der eigentliche Entdecker von Josef Guggenmos war, versuchte eine Annäherung, als er schrieb: »Durch Guggenmos erfahren Kinder auf unver-gleichlich spielerische Art von einer Dichtung, die genau ist im Beobachten und Denken. Was auch bedeutet: Das Gemüt wird bewegt, aber nicht mißbraucht. Guggenmos´ Gedichte lassen sich auflesen, wo immer man sie findet, und sie bleiben, was sie von Anfang an sind: einfache, lebendige Gebilde.«

Guggenmos selbst bezeichnet die »Liebe zum Schlichten, zu den Dingen mit einem hohen Gehalt an Schweigen« als das Besondere, das der Verfasser von Kindergedichten mitbringen muss. Guggenmos beweist, so Klaus Doderer, Prof. für Jugendbuchforschung, »daß inmitten einer Welt des Rummels noch Platz für Besinnung, für die Beobachtung des Kleinen, für das befreiende Sprachspiel und den Unsinn ist, der hinter sich die erste Sinnsuche herzieht, wie der trällernde Fischer sein volles Netz.« Im Hinblick auf diese Kennzeichen wurde sogar der Begriff »guggenmosisch« geprägt, in dem folgende Merkmale vereinigt sind: die Wahl »merk-würdiger« – also den Merkens würdiger – aber gleichzeitig naheliegender Thematiken, eine wesentliche, unverwechselbare Aussage in wenigen Zeilen, Sinn im Unsinn, feine Situationskomik, phantasievolle Wort- und Sprachspiele, einen stets leisen humorvollen Unterton selbst bei ernsteren Themen. Guggenmos´ nachdenkliche und unsinnige Gedichte über den starken Riesen Häuserlupf, den Herrn Stibitzdiwitz, die höfliche Ameise, die »Verzeihung« sagt, oder darüber, wie es wäre, einmal aus Glas zu sein, finden sich heute in allen deutschsprachigen Schullesebüchern. Mehr als 1000 Kindergedichte in über 80 Büchern schuf der Autor und wurde dafür mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter die Ehrengabe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1975) und der Österreichische Staatspreis für Kinderlyrik (1997). 2003 starb Josef Guggenmos an Leukämie.

Längst ist die Bezeichnung »guggenmosisch« in die Kinderliteratur eingegangen wie »ringelnatzisch« oder »kafkaesk« ihren Platz in der Erwachsenenliteratur gefunden haben, wobei für Guggenmos eine Unterscheidung zwischen K- und E-Literatur ohnehin unzulässig ist: »Denn auch für das Kindergedicht gibt es nur den einen literarischen Himmel, in dem die Vagantenlieder glimmen und in dem das Tagelied Morungens glüht, in dem die großlen Gedichte des Barock stehen und die Fleurs du mal, die Gedichte John Donnes und der Limerick von der Dame, die auf dem Tiger ritt.« Aber, so Guggenmos weiter: »Die Verachtung, die das Kind trifft, trifft auch die Kinderliteratur. Da kann ein Lexikon sieben Meter lang sein, und wenn es den letzten Zinnober aufgeklaubt hat, Kinderliteratur kennt es nicht einmal als Stichwort. Wohlan, nehmen wir die Literatur als ein Haus, riesig wie jenes im ›Orlando‹ der Virginia Woolf. Und da sitzt der Poet, der für Kinder schreibt, im hinteren Trakt, ein recht schäbiger Mann. Sei’s drum.«

Und Guggenmos hatte in der Tat nichts dagegen, schäbig zu wirken, schien es ihm doch, »daß manch einer dort aufhört, Mensch zu sein, wo er anfängt ›etwas‹ zu sein.« In einem seiner feinsinnigen »Gugummer«-Gedichte bekennt Josef Guggenmos, was ihm ein kleines Gedicht bedeutet: »Es ist sein Feuer / im kahlen Feld, / an das er die blauen / Hände hält.«

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert