Im babylonischen Süden der Lyrik – FOLGE 65: »LUSOAFRIKANISCHE POESIE: ANA PAULA TAVARES (ANGOLA) UND CONCEIÇÃO LIMA (SÃO TOMÉ E PRÍNCIPE)«

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 

Zum Schwerpunktthema »Portugal« der aktuellen und auch nächsten Leipziger Frühjahrsbuchmesse 2021 und 2022 erscheinen bereits etliche neue Bücher aus Portugal und weiteren portugiesischsprachigen Gefilden der Welt. Zu den lusophonen Ländern des afrikanischen Kontinents, dem PALOP (Países africanos de língua oficial portuguesa, auf deutsch: afrikanische Länder mit Amtssprache Portugiesisch), gehören etwa Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe, Kap Verde sowie Äquatorialguinea.

Die beiden lusoafrikanischen Dichterinnen Ana Paula Tavares aus Angola und Conceição Lima aus São Tomé e Príncipe, die wir vor einigen Jahren auf Internationalen Poesiefestivals in Porto Santo bzw. Caracas und Istanbul kennen und schätzen gelernt haben, zählen zu den »eindringlichsten lyrischen Stimmen der afrikanischen Gegenwartsliteratur«. (Michael Kegler)

 

Der angolanische Dichterin Ana Paula Tavares.
Der angolanische Dichterin Ana Paula Tavares. Foto: Camões Institut, Berlin

 

Ana Paula Tavares

ENTRE LUZ E SOMBRA

A Léopold Sédar Senghor

A sombra desliza
por detrás dos vimes
celebra-se a hora
os mortos abandonam os vivos
para viver em paz
por entre as veias finas da terra.

Acendo com as mãos das mães
a candeia antiga de óleo de palma
A serpente do lugar dorme
sobre seus ovos de vida
Os guardiães das fontes
preparam a madrugada
enquanto as mulheres dos clãs

de cima

provam a comida da noite
e velam pelo fogo

das oferendas.

Uma antiga fúria oferece
a fórmula
limpa as palavras
de todas as sílabas mortas.

Regressa a velha canção serere
de seda e sombra
como o silêncio das mães.

O nó da voz atravessou a vida
sustenta a metade da terra
onde deslizam as sombras
por detrás dos vimes
Celebra-se então a hora
os mortos abandonam os vivos
entre sombra e luz
nas veias finas da terra.

 

© Ana Paula Tavares

 

 

Ana Paula Tavares

ZWISCHEN LICHT UND SCHATTEN

Für Léopold Sédar Senghor

Der Schatten gleitet
hinter die Weiden
man feiert die Zeit
zu der die Toten die Lebenden verlassen
um in Frieden zu leben
zwischen den feinen Adern der Erde.

Ich zünde mit Mütterhänden
die alte Palmöl-Lampe an
Die Schlange des Ortes schläft
über den Lebenseiern
Die Hüter der Quellen
bereiten die Morgendämmerung vor
sobald die Frauen der Clans

von oben

das Abendessen kosten
und mit dem Feuer

Opfergaben hüten.

Ein alter Zorn bietet
den Spruch
reinigt die Wörter
von allen toten Silben.

Zurück ist das alte Serere-Lied
aus Seide und Schatten
wie das Schweigen der Mütter.

Der Knoten der Stimme kreuzte das Leben
hält die Hälfte der Erde
wo die Schatten
hinter die Weiden gleiten
Dann wird der Stunde gedacht
zu der die Toten die Lebenden verlassen
zwischen Schatten und Licht
in den feinen Adern der Erde.

 

Aus dem Portugiesischen von Juana & Tobias Burghardt

 

 

Die sãotomensische Dichterin Conceição Lima
Die sãotomensische Dichterin Conceição Lima. Foto: Edition Delta, Stuttgart

 

Conceição Lima

QUANDO FLORIRM SALAMBÁS NO TECTO DO PICO (19)

(Com Langston Hughes, uma variação sobre «The Negro Speaks of Rivers»)

E eis que um poeta nos fala de rios.

Um poeta nos fala de rios
anteriores ao percurso do sangue nas veias humanas.

Também em ti as eras do Nilo banhando as pirâmides
Também as nossas veias inundadas pelo Congo…

A voz do Mississípi descendo até Nova Orleães
O Mississípi cantando sempre até Nova Orleães…

Um poeta embebe a profundidade dos rios ancestrais
quando despimos a solidão no leito do Kwanza.

 

© Conceição Lima

 

 

Conceição Lima

WENN SAMT-TAMARINDEN AUF DEM DACH DES GIPFELS BLÜHEN (19)

(Mit Langston Hughes, eine Variation von »The Negro Speaks of Rivers«)

Und siehe da, ein Dichter erzählt uns von Flüssen.

Ein Dichter erzählt uns von Flüssen
die älter sind als der Blutstrom in den Adern der Menschen.

Auch in dir umspülten die Zeitalter des Nils die Pyramiden
Auch unsere Adern wurden überflutet vom Kongo…

Die Stimme vom Mississippi fließt hinab bis New Orleans
Der Mississippi singt immer weiter bis New Orleans…

Ein Dichter taucht in die Tiefe der Urflüsse
wenn wir die Einsamkeit aus dem Bett des Kwanza ziehen.

 

Aus dem Portugiesischen von Juana & Tobias Burghardt

 

 

"Wie feine Adern in der Erde & Wildes Wasser" von Ana Paula Tavares
Buchcover-Abbildung (Edition Delta)

 

 

 

»Como Veias Finas na Terra & Água Selvagem (Poemas inéditos) – Wie feine Adern in der Erde & Wildes Wasser (Unveröffentlichte Gedichte)« von Ana Paula Tavares
bei Edition Delta

 

 

 

 

"Das Land von Akendengué & Wenn Samt-Tamarinden auf dem Dach des Gipfels blühen" von Conceição Lima
Buchcover-Abbildung (Edition Delta)

 

 

 

»O País de Akendenguê & Quando Florirem Salambás no Tecto do Pico – Das Land von Akendengué & Wenn Samt-Tamarinden auf dem Dach des Gipfels blühen« von Conceição Lima
bei Edition Delta

 

 

 

 

Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt. Foto: privat

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018) und sein aktueller Gedichtband »Die Elemente der See«. 2020 erhielt er den Internationalen Poesiepreis »Città del Galateo – Antonio de Ferrariis« in Rom, Italien. Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

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