Unverwechselbar im Sound, ausgreifend in der Thematik, bild- und sprachprägnant: Nicht zufällig hat Till Rodheudts Erstlingswerk den Jubiläums-Platz der Reihe erhalten.
Nach dem ganz Großen greift der Lyriker Till Rodheudt: Es geht ihm in seinem Debütband »zwischen den beats« um die Verortung des menschlichen Ichs in der Unendlichkeit der Zeit und des Kosmos. Dabei zeigt er sich ebenso traditionsbewusst wie auf der Höhe der Gegenwart: Naturwissenschaftlich-technische Aspekte der Moderne prallen hier auf antike Mythologie und mittelalterliche Motive. Rodheudt greift in seinen Versen bis hinab in die tiefsten Tiefseegräben unseres Planeten und hinauf zum Bergmassiv der Maxwell Montes auf der Venus. Dabei bleiben seine Gedichte aber letztlich immer in der heutigen Lebenswirklichkeit verhaftet, beschreiben das Sein des modernen Menschen, der auf der globalisierten Sonnenseite keine akut existentiellen Probleme hat – und doch einen finalen Sinnmangel verspürt, zugleich aber auch eine Verbundenheit mit vielem: dem ganzen Weltraum, andren Lebewesen und nicht zuletzt der Menschheitsgeschichte.
Nicht zufällig ist es da, dass sein Band »zwischen den beats« auf dem Jubiläumsplatz der »Reihe Poesie 21« gelandet ist: Thematisch umfassend, nach Existentiellem zielend, mit ganz eigenem und eindrücklichem Ton sowie lyrischem Weltzugang legt Rodheudt ein Werk vor, das zu dem Reihenjubiläum passt. Sein Debüt-Buch ist bereits Band 100 der Reihe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, besondere neue Gedichtbände und Lyrikkdebüts deutscher Zunge zu publizieren.
Die Lektüre von »zwischen de beats« führt schnell zu grundsätzlichen Fragen nach Einheit und Widerspruch: Kann man aufgehoben und verloren sein? Passen Pathos und ernüchternde Weltbetrachtung zusammen? Gibt es Romantik und Familienglück in der Moderne – und das ohne Kitsch? Kann man auch mal politisch schreiben – und dabei poetisch bleiben sowie dauerhaft gültig, nicht im Konkreten verhaftet? Funktioniert es, wenn der Workday am Hamburger Hafen und der goldene Harnisch eines antiken Wagenlenkers aufeinanderprallen? Klare Antwort: Im Band »zwischen den beats« geht das alles zusammen.
Das »biosphärengestrüpp« durchdringen auf der Suche nach dem »belagerten glück«
Till Rodheudt schaltet die Welt auf den Pause-Modus, nimmt sich die Zeit, Zusammenhänge zu reflektieren und in ganz eigener Weise, mit viel Flow und großem Assoziationsreichtum, aufzuklaren. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: Er beschreibt »das belagerte glück«, spricht »das leise / wort vom leben«. Auf Reime und Metrik als formbildende Elemente verzichtet er dabei – doch seine Gedichte sind zugleich strikt geformt: Sie alle sind in strenger Kastenform gesetzt, im einspaltigen Blocksatz – mit je eigener, angemessener Zeilenbreite. In mächtigen Bildern und mittels einer präzisen Sprache, die klar künstlerisch sowie voller Sogkraft ist, durchdringt Rodheudt das »biosphärengestrüpp«. Das bringt philosophische Anregung ebenso wie ästhetischen Genuss.
Aufzuzeigen, wie scheinbar Widersprüchliches zusammenwirkt, zwei Antipoden, ja, zwei sich eigentlich ausschließende Welten auf knappstem Raum und bildstark zusammenprallen zu lassen, um so Erkenntnis zu erlangen, ist ein Kennzeichen des Rodheudtschen Dichkunst. Da steht »auf dem /steinigen rücken der sphinx die cola zero« (Antike und Jetztzeit), es ist sofort nach »molekülgepressten gefühlen« von Drachen und Rittern die Rede (moderne Wissenschaft und Mittelalterromantik) oder es wird festgestellt: »wir flirten mit gewehrmündungen« (Liebe und Krieg).
Von Harpyen und Lorbeerzweig und dem »dröhnen der drohnen«
Dieses kunstvolle Zusammenführen des gemeinhin Unvereinbaren setzt Till Rodheudt dabei ebenso im großen Bogen fort. So ist er, um Stellen aus verschiedenen Poemen zusammenzuführen und auf diese Weise zugleich seinen poetologischen Kosmos genauer zu umreißen, als moderner Mittelstandsmensch wenig überraschend »unterwegs / in den businessgebieten«, dies jedoch freilich »im vergoldeten harnisch«. Harpyen, Schlangenhaar, Lorbeerzweig und Totenklage werden von ihm ebenso aufgerufen wie »das dröhnen der drohnen«. Emotionsgeladene Bilder, Sphären, Welten werden evoziert – und »im diagramm dahingerafft«. Der Mensch existiert vor dem Hintergrund sagenhafter Möglichkeiten, dabei bleibt er in einem Sein verhaftet, ja kleben, das diese Größe letztlich nur als Hohn im Widerhall erlebt – und zugleich als Sehnsuchtsziel und Referenzgeber braucht. »endstation andromedagalaxie / tage wie jahrtausende« lautet entsprechend eine wehmütige Bestandsaufnahme. Und es wird mit Bedürfnis nach Bedeutung gefragt: »wo ist sie / die grenze der welt«. Zugleich aber sind solcherlei Fragen, wiewohl unerlässlich, auch kaum relevant, denn wir werden ebendiese gefragten Grenzen – die ja eigentlich Weite meinen – ohnehin nie erreichen: »wir sitzen mit / allen zusammen neben dem pferde« und »verweilen im zungengrund«.
Die letztliche Vergeblichkeit allen Strebens sowie der Zusammenfall verschiedener Welten in eine zeigt sich auch im mit »System« überschriebenen Kapitel. Der berühmte Grundsatz, dass das Politische privat ist und umgekehrt, hallt hier etwa in dem Ansehen der »freiheit als coitus interruptus« wider, und es wird am »am zahltag vor dem ende« attestiert: »der himmel zerreißt heute rote fahnen«. Dabei gilt zu sagen: Tagespolitisch wird Rodheudt nie. Ebensowenig wie es ihm ansonsten ums Kleinteilige geht. Er greift in seinen Versen gezielt das Grundsätzliche auf und das Beispielhafte.
Romantik und Erkenntnis: »du durchschaust die etikettierung / deiner gedanken«
Und er scheut auch vor tiefromantischen Bildern nicht zurück. Etwa dichtet er: »in den wehen des winters / ist dein schmerz festgehalten«. Doch er weiß auch »am rand der floralen ästhetik zerschellen schiffe« und wie es ist, »gewürgt zu / sein vom halstuch des verstands«. Er sagt dem Leser und sich selbst: »du durchschaust die etikettierung / deiner gedanken«. Und dies würde er wohl kaum ändern wollen – gleichwohl er erkannt hat, dass genau dieses Durchschauen auch und ganz wesentlich bleierne Last ist.
Am Ende gilt: Rodheudt durchläuft sein Leben auf »meiner nicht verstandenen umlauf / bahn« – und trägt damit ein Grundmenschheitsgefühl mit sich sowie erfreulicherweise als Poet auch zur Schau. »wahrheitskrank« sehnt er sich nach Mythologischem, ist eifriger Streiter der schnellen Moderne und will doch »die zeit anhalten für einen / augenblick jetzt«. Er flüstert dir zu: »jetzt musst du eine / ganze welt entkleiden«. Doch wird dieser Zauber nicht bestehen, denn am Ende bleibt die große Erlösung aus, ist ganz prosaisch zu bemängeln: »der caipirinha bleibt unbezahlt«. Doch immerhin: »auf dem rücken der frösche / schimmert die nacht durch die nacht«. (jeh)
Leseproben:
biosphärengestrüpp meergeborener welt
fläche ich synchronisiere mich mit hekate
entfremdet scheint junges grün die vögel
über dem himmelsgewölbe wo ist sie
die grenze der welt ein anfang ein ziel
zusammen im stroboskoplicht im trocken
eis zwischen den beats da bin ich mit
dem goldhaar herrscher des fests flucht
& lebensbeschreibung im säulenmeer
unten nur ungeheuer oben die göttliche
frau fügung ach ja fügen soll sich wer
—
lichtentfernter ortswechsel asteroiden
umgürtet venus einschlagskrater im
superhaufen von galaxien du ich gleite
durch die maxwell montes hinunter ins
tiefland & sehe aphrodite terra & lege
mich auf deine beschriftete haut träume
an deinem busen rosa & rot zerschmelze
wie vorausgeahnt brennt die liebe wie
feuer fragst du & ich verloren sie brennt
—
der regen stürzt in seine letzte bestimmung
wir verraten den glühwürmchen den sommer
& wolkenmantelumschlungen zelebrieren die
fliegen ihre kreise die holzstämme sind auf
gereiht wir flirten mit den gewehrmündungen
aber uns fehlt der morgen die ladekabel hängen
herunter schlaff von den bergspitzen früchte
des neuen gefiltert in kaffeemaschinen der
zeit abstrakt die lederbezüge braun glänzend
schlagen die augen auf & rosenblätter singen
ihre blutigen lieder die salzigen tränen hinter
dem kaukasus & alle sternschnuppen un
gewollt stellen wir fest an der wegkreuzung zu
unserem letzten abendmahl geradeaus gerade
—
san salvador bezwungen die rosen
eingeweide unter dem vollen busen
dein blondes rapunzelhaar gemartert
stehst du am himmelspfahl beobachte
dich ein ritter mit sense wohlgeformter
po am zypressenstrand einsam geliebte
herzdame auf dem rücksitz im schatten
des löwen säulenofferiert & kleidlos
Der Autor:
Till Rodheudt wurde 1974 in Köln geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie in Bonn und Frankfurt am Main, u. a. bei Alfred Schmidt, und legte eine Veröffentlichung über Ernst Jünger vor. Von 2001 bis 2018 war er in verschiedenen Managementrollen in Personaldienstleistungskonzernen in Frankfurt (Main) und Düsseldorf tätig. Till Rodheudt lebt heute mit seiner Familie am Niederrhein. Mit »zwischen den beats« legt er seinen ersten Gedichtband vor.
Das Buch:
Till Rodheudt
zwischen den beats
Gedichte
80 Seiten, Broschur
EUR 12,80 [D]
Deiningen 2019
ISBN 978-3-943599-67-1
Verlag Steinmeier
www.Poesie21.de
Zur Reihe:
In der Reihe »Poesie 21« kommen zeitgenössische deutschsprachige Gedichtbände heraus, die bemerkenswert erscheinen. Mit Till Rodheudts »zwischen den beats« ist nun der 100. Band erschienen – und die Reihe, die sich wesentlich als Förderforum für neue Poesie begreift, feiert ein beachtliches Jubiläum. »Poesie 21« wird vom Verlag Steinmeier herausgebracht und federführend durch den Herausgeber Anton G. Leitner umgesetzt, der bereits über 40 Anthologien in Premiumverlagen wie der dtv-Verlagsgesellschaft und bei Reclam realisiert hat. Seit 1992 ediert er die Zeitschrift DAS GEDICHT.
Weiteres Info-Material:
– Buch-Seite im Webauftritt der Reihe »Poesie 21«
– Waschzettel zu »zwischen den beats«