Von der Antike bis in den Weltraum: Das Menschsein mit Versen erfassen will Till Rodheudt auch in seinem dritten Lyrikband

Till Rodheudt – Foto: privat

Die Verortung des Menschen in der Unendlichkeit von Zeit und Raum sowie im alltäglichen Sein, im Sich-Abmühen und -Freuen: Das versucht, im Kern, Till Rodheudt auch in seinem neuen Gedichtband. Sein »kunst licht zonen« hat soeben als Band 111 die Reihe Poesie 21 erweitert, die bei Steinmeier in Deiningen erscheint und von Anton G. Leitner herausgegeben wird. Mit der Verknüpfung aus universellem Anspruch (im Blick sind Physik und Metaphysik, der Mensch an sich und der Weltraum etc.) sowie auch dem Hineinnehmen des Menschen als Individuum (etwa durch Verhandeln von Aspekten aus dem eigenen Leben, insbesondere einer Trennung) beschreitet Rodheudt hier konsequent den Weg weiter, den er mit seinen ersten beiden Bänden eingeschlagen hat (»zwischen den beats« und »sub specie aeternitatis«, beide ebenfalls Reihe Poesie 21).

Geblieben ist auch die Form, die er für sich gefunden hat und die den Dichter aus Köln als strengen Baumeister ausweist: Es sind kompakte Textblöcke, die er benutzt, rechteckige Textflächen, oft muten sie gar wie Quader an. Blocksatz, eine durchdachte Textlänge, dazu konsequente Kleinschreibung, Interpunktionsvermeidung und die Verwendung des Kaufmanns-Unds (&), das Fehlen von Überschriften, der quasi unbegrenzte Einsatz von (übrigens gerne auch mal inhaltich bedeutsamen) Enjambements sowie der stets kursive Textbeginn sorgen für einen so einheitlichen wie sich nach außen, also zu den Lyrikstücken andrer Dichter, bewusst abgrenzenden augenfälligen Eindruck.

Noch kraftvollere Bilder

Gut, Rodheudt bleibt sich also treu – und doch entwickelt er sich fort: Die Bilder, von deren Kraft seine Texte leben, sind noch eindringlicher geworden. Den ganz großen lyrischen Wurf, die welterklärende und -definierende Dichtung will er dabei weiterhin, doch die inhaltliche wie auch sprachliche Intensität hat zugenommen, die Konstruktionsleistung ist so etwas mehr aus dem Blickfeld genommen. Das macht sie, im guten Sinne, gefälliger.

Wie sehr auch seine neuen Texte von Herausgeber und Verlag geschätzt werden, zeigt sich gut sichtbar darin, dass sie sich bei diesem 120-Seiten-Band für eine Hardcover-Gestaltung mit Fadenheftung entschieden haben. Das bedeutet bereits an sich eine große Anerkennung, denn eigentlich sind die Poesie-21-Bände konsequent in Softcover gekleidet, und diese Anerkennung wird nun schon dem zweiten Rodheudt-Titel zuteil (»sub specie aeternitas« erhielt sie, als Band 100 der Reihe, ebenfalls).

Moderne Naturwissenschaft und antike Heldenmythen

Wie sich bei Rodheudt existentielles bis quasireligiöses Pathos und naturwissenschaftliche Perspektive samt Vokabular immer wieder mischen, ist ein Alleinstellungsmerkmal seiner Poesie, kann einen faszinierenden Sog entfalten, den Leser aber auch schon mal irritieren. So hat er eine »vision von organischem material«, konstatiert »ich schwimme durch moleküle«, behandelt die »planetare schrift« oder beobachtet den »tanz der photonen«, um nur ein paar Gedichteinstiege aus dem Anfangsteil von »kunst licht zonen« zu zitieren.

Passend dazu: Neben Astronomie, Physik und Co. ist insbesondere die Antike ein fester Bezugspunkt für Rodheudt, wenn es darum geht, die Welt des Menschen grundsätzlich zu beschreiben. Letztlich erzählt er mit kunstvoll naturwissenschaftlich-poetischer Sprache antike Heldengeschichten in Mosaikbausteinen – wohl wissend, dass solche Geschichten immer tragisch ausgehen und von Konflikt und Verlorenheit, vom Suchen des eigenen Platzes im gegebenen Kosmos leben. Ein Beispiel dafür ist das Ende von »ich schwimme durch moleküle«: »durch / schreitung oder odyssee zu einem primären laut / losen alles erfassenden knall in welten in mir / gewagt als phosphorylierung des undefinierten / & immer allgemeinen & sich verschwendenden / jetzt«.

Der Welt- als Schutz- und Verlorenheitsraum

Dabei ist ihm der Welt- auch oft Schutz- und Sehnsuchtsraum, nicht nur Ort des Verlorenseins und Ausgangspunkt eines Sich-klein-Fühlens. Er ist, wie das Mythische allgemein auch, ambivalent besetzt. Wie sehr, das drückt sich etwa in dieser Stoßseufzerfrage existenzieller Natur aus, die »mehrfachstern apologie« abschließt, und dies weder eindeutig verzweifelt noch hoffnungsvoll: »ach ihr plejaden / wisst ihr von mir«.

Allgemein baut Rodheudt gerne, um seine eigenen Worte zweckzuentfremden und damit seine Poetik zu beschreiben: »hallendimensionen in rostiger archaik« (so ein Gedichtanfang), »durchstossen von atmosphäre / in surrealer penetration«. Ziel- und Ausgangspunkt ist ihm dabei wohl, wie ein anderes Gedicht einsetzt: »in synapsen die zirkulation von offenbarheit«. Sicher ist er sich dabei, wie er in »spiegelbilder« propagiert: »nur durch geist erwirkt er & ein / universum einen sinn«. Und er will, dass Folgendes nicht so bleibt: »ungesehn die durchflechtung des alls« (so lautet der Schluss von »holz in rinde & atmung«).

Konfrontiert mit der Menschheitsgeschichte

Neben der Weite des Raums beschäftigt Rodheudt jene der Zeit. Und so stellt er – insbesondere im Kapitel »Mensch und Mensch«, das jenem ersten, dem »Tanz der Photonen«, nachfolgt – den heutigen Menschen mit der gesamten Menschheitsgeschichte in Zusammenhang. Und zwar mit ihren echten Völkern und Konflikten, etwa den Wikingern, Römern, Germanen, Wandervölkern, spanischen Conquistadoren, sowie mit ihren mythologischen Umrahmungen und Figuren, etwa Parzifal, Salome, Jesus, Sphinx und jener aus dieser Anspielung hier, die zugleich ein Gedichteinstieg ist und neben dem römischen Gründungsmythos auch einen der frühen Kerntexte der Bundesrepublik, die »Todesfuge« von Paul Celan, anklingen lässt: »die wölfin gibt die milch des morgens«.

Er weiß dabei, wie jenes Gedicht weiter zeigt: Leitet man sich selbst aus der Historie ab, dann ist er »leise der atem des zusammenhangs«, aber du »suchst noch nach zeichen an häusern / nach jahrtausenden nach brüchen spuren aus stein«, denn was bleibt dir anderes übrig? Oder anders und mit Worten aus dem Gedicht »der dunkle abgesondert« bzw. aus dem Gedicht »auf dem felsendom sah ich« formuliert: Was macht der Einzelne sonst »im / panikraum seines wissens« oder vor den »ruinen eines verstehens«?

Seine Kernerkenntnis lässt sich hier aus »angst vor überlegenheit« entnehmen – und sie ist, wie letztlich zu erwarten war, höchst ambivalent: »der mensch / ist dem menschen seine spinne«. Soll heißen: Was jener schuf, trägt selbigen – zugleich ist jener aber auch die eigene Schreckgestalt. Wie eng Rodheudt den Zusammenhang zwischen den Menschen sieht, wie durchlässig die Grenzen zwischen ihnen, macht überdies folgender Gedichteinstieg deutlich: »ich bin du & wir«.

Kunst- und Zeitgeschichte und Alltags-Impressionen

Im dritten Kapitel hat Rodheudt »die welt am draht«. Natürlich geht es hier auch um den Menschen in der Welt und in Beziehung zueinander. Doch trotzdem positionieren sich die Gedichte klar anders als jene in den ersten beiden Kapiteln, denn der Betrachtungszusammenhang wird kleiner, fokussierter. Es geht hier nicht ganz so grundsätzlich zu, das besondere, einzeln stehende Detail wird mehr betont. Und der lyrische Blick ist weniger der eines Handelnden und mehr der eines Beobachters – der auch nicht ständig alles auf sich rückbezieht.

Hier will Rodheudt, der einst Germanistik und Philosophie studiert hat, das »ungehörte rufen der welt« (aus: »mein tejo trägt die schiffe«) ein wenig erlebbar machen. Die Grundthemen freilich bleiben, dabei aber verändert sich der Blick bzw., um im Bild zu bleiben, die Lauschrichtung. Da geht es etwa um die neuere Kunstgeschichte (Adele Bloch-Bauer – durch Klimt unsterblich gemacht – wird zum Beispiel erwähnt, auch Beuys, der schier unvermeidliche Name, fällt, auf Warhol und die Blauen Reiter wird angespielt, und der Leser wird mitgenommen zu Adolf Böcklin sowie ins Hause Proust). Und auch die neuere Geschichte wird referenziert, etwa über Friedrich den Großen, die »habsburger lippe«, das Dritte Reich und die 68er-Bewegung.

Dazu wird von eher alltäglichen Orten ausgegangen, wenn eine gegenwärtige Momentbeobachtung gesucht wird, und auch eher bei ihnen geblieben, die Verse in diesem Kapitel greifen eben nicht aus bis zu fernen Sternen oder in antike Zeiten. Ein »spaziergang im nordpark« wird etwa eindrücklich beschrieben – und zwar metapyhsisch überhöht, aber eben auch nicht Richtung anderer Zeit oder anderem Ort verlassen. Ähnlich ergeht es dem »pfauenhaus grün mit grotte« – metaphorisch aufgeladen wird es, jedoch eben auch stehengelassen. Der Blick macht sich hier abermals fest am Kleinen, Konkreten, er schweift nicht so aus, wenngleich er am Ende schon Richtung Grundsätzlichkeit weist: Von der Schönheit des Pfauenhauses beeindruckt, gelangt der lyrische Erzähler auch zu dieser Feststellung: »in allen dingen das / narkotikum schönheit«. Konkretheit und Greifbarkeit sind, das zeigt sich hier deutlich, bei Rodheudt eben immer relativ.

Wenn die blaue Blume verschwindet

Mit »& rollend der stein« ist das vierte und letzte Kapitel überschrieben. Hier dreht sich alles ums Privatleben, genauer: einzig um das Ehe-Aus des Autors. Wenn da etwa vom »rufen einer bienenkönigin« erzählt wird und es heißt »du & ich / & wir & hand in hand am herz«, dann lässt einen das schon mal an Begriffe wie Kitsch oder Klischee denken. Doch das erscheint verzeihlich: Lieber einmal etwas zu viel Gefühl gewagt und etwas zu viel Direktheit als sich beides nicht getraut und in distanzierter Verklausuliertheit versackt! (Und es muss auch entlastend angefügt werden, dass die Bienen und weitere flugfähige Wesen – wie etwa Falke, Adler und weitere Vögel – immer wieder im Buch auftauchen, sie also eines der bedeutenderen Motive Rodheudts darstellen.)

Schön hingegen ist’s, wenn mit bekannten Motiven auch gespielt wird, dies gelingt etwa, wenn die anspielungsreiche und zutiefst romantische »blaue blume im garten versteckt« ist (so lautet ein Gedichteinstieg). Wie sehr eine laufende Beziehung im Alltag bedroht sein kann, zeigt sich auch und noch weitaus mehr »in schwarzlichtmysterien«. Hier gilt für die beiden Beteiligten: Sie »fliehn / jetzt durch pergamentschluchten in symmetrien / von vergitterung«. Und sie scheitern (so steht im Text zu vermuten, und es bestätigen die Folgepoeme) irgendwann final im Alltag: »ausgerichtetheit / beugt unser ziel beugt das in dir das in mir & / schattenhaftes tritt aus uns aus & unbemerkt ein«. In »erinnere dich« fleht das lyrische Ich sein Gegenüber dann direkt darum an, die Beziehung nicht aufzugeben, sich die »unverbrüchliche gleichheit der / verbundenheit« wieder zu vergegenwärtigen. Hier greift es auch wieder ganz weit nach oben aus – und landet in ästhetisch nicht eben einfachen, gewiss aber tiefempfundenen und nachvollziehbaren Gefilden: »erinnere / dich in wasser in luft in erde erinnere / dich & bedenke & erinnere dich / wieder & an mich«.

In »meine nacht nimmt« ist weiter und mehr die Sehnsucht nach der entschwundenen oder entschwindenden Geliebten das Thema, deutlich wird in den Texten, auch etlichen nachfolgenden: Rodheudt ist bis ins Innerste hinein trennungsbewegt, ja -erschüttert. Und er hat den Mut, sich diesem furchtbaren Erleben authentisch und mit den ihm eigenen Mitteln anzunähern. In »meine nacht nimmt« etwa gelingt das sehr überzeugend und ausbalanciert. Es zeigt sich: Auch auf diesem äußerst schwierigen Feld hat Rodheudt die Möglichkeiten, um wirklich zu bestehen. Auf NS-Symbolik aber sollte er dabei vielleicht lieber verzichten. Warum stellt man in einem Liebesgedicht, selbst wenn es ums Beziehungsende geht wie in »in der weltbibliothek«, erst einen Starfighter-Vergleich an und erklärt hernach, man »fliehe / in die reichskanzlei zur pathetik der masse«? Das Positive: Hier wird ästhetische Selbstkritik geübt und letztlich ebenjener Punkt angesprochen, den ich zuvor in dieser Buchvorstellung ja auch als bedenkenswert angemerkt habe, also das Benutzen des Klischees.

Doch immerhin, es gibt, auch in der verzweifelten Lage, in der, so ein Gedichtanfang, »deine atomaren sprengköpfe« eine existenzielle Gefahr ausstrahlen, einen Ausweg. Und dieser weist wieder hinaus, zum Himmel, in die Unendlichkeit, die Tradition der Romantik, und er rundet gleichermaßen das Kapitel ab wie auch das Buch, indem er nämlich auf seinen Beginn verweist: den Blick zu den Sternen, in die durchaus auch tröstliche Unendlichkeit des Alls. »das geräusch aus der sphäre« endet mit ihm: »seine augen suchen den mond«. Und dies ist ein Trost – wenngleich der Autor selber genau weiß (so beginnt ein weiterer Text): »vor mir kann ich nicht fliehn«.

(jeh)


Leseproben


Eckdaten zum Buch

Till Rodheudt
kunst licht zonen
Gedichte
Reihe Poesie 21, Verlag Steinmeier
Deiningen 2022
120 Seiten, Hardcover mit Fadenheftung
€ 12,80 [D]
ISBN 978-3-943599-93-0



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