Lockdown-Lyrik 110: »Gebrauchsanleitung für den Tag« von Marina Maggio

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Marina Maggio

Gebrauchsanleitung für den Tag

Bereite dich vor, stell die Uhr auf Schattenzeit.
Synchronisiere dich mit deiner App, schicke
einen Mückenschwarm als Vorhut und dann…

geh nicht über die Türschwelle ohne deinen Mundschutz,
ohne dir einen Abstandshalter vor die Brust zu halten.
Meide Gruppen, Kaufhausschlangen, Bienenschwärme.

Berühre nicht die Plastikscheibe an der Kasse… zahle
Bargeldlos, sei devot, wenn man deinen Blick prüft.
Pass auf, dass dir das Atemwasser nicht bis in die Augen steigt.

Sammle Bonuspunkte, Atemzüge, Pulsfrequenzen.
Sammle die Sprache der Krähen, wirf sie denen zu,
die dir zu nahe kommen. Wirf einen Fluch hinterher.

Wenn du die Einsamkeit nicht mehr aushältst, umarme
einen Baum, ohne die Feuerwanze zu erschrecken.
Bewege dich im Uhrzeigersinn oder im Takt des Mainstream.

Täusche andere mit Ausweichbewegungen.
Unterbreche die Endlosschleife im Gehirn.
Setze die Gedanken auf Kontaktverbot.

Geh nicht am Kiosk vorbei, ohne ein Los zu kaufen.
Bleib in Bewegung, riskiere kein Bußgeld.
Geh nicht ins Gefängnis.

Übe dich in Geduld, in Kurzarbeit, in Insolvenz.
Halte dich gesund, denn wer zuerst hustet, hat
verloren…

 
© Marina Maggio, Würzburg

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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