LYRIK-REVUE FOLGE 13: Letternmusik und Buchstabenschmelze

Auszeichnungen, Institutionen, Konferenzen, Lesungen, Poesie im Feuilleton und Lyrik-Neuerscheinungen: Nicola Bardola kommentiert und präsentiert am 20. eines Monats Bemerkenswertes aus der Welt der Verse.

 

Der große Franz Mon gehört gemeinsam mit Eugen Gomringer und Gerhard Rühm zu den älteren Autoren, deren konkrete Poeme in den Anthologien „Das Wort beim Wort nehmen“ 1 & 2 vertreten sind. 2014 gewann der 1926 geborene Mon den letztmals verliehenen Petrarca-Preis. Die Jury wies damals darauf hin, wie unbeirrt von lyrischen Moden Mon seine poetischen Erkundungen vorantreibt.

Erstmals zwischen zwei Buchdeckeln sind nun in Band 1 neun Texte von Mon erschienen. Der erste kommentiert einen eigenen „Schreibmaschinentext“ von 1962: „aus den augen aus dem regen“. Mon spricht darin von der Faszination der elementaren Kombination von einzelnen Wörtern. Bedeutungsvarianten stellen sich durch Wiederholungen ein, durch Abwandlungen, durch Überlappungen. Mon erklärt, dass der abgedruckten Textfassung die Redewendung „Mund auf, Augen zu“ voranging. Sein daraus entstandenes Schreibmaschinenbild führt zeilenweise zur Unleserlichkeit. Je öfter die Textkomponente „aus der traum“ aufscheint, desto klarer bildet sich das ungeschriebene „aus dem sinn“ vor dem geistigen Auge des Lesers ab. So erinnert Mon nolens volens an die Wirkmacht des Fehlenden und damit an eines der Urgedichte der konkreten Poesie, an Eugen Gomringers nur zwei Jahre davor erschienenes „schweigen“.

Gomringers „schweigen“ ist die eindrücklichste Abbildung des Begriffs, die Antithese der vernehmbaren semantischen Valenz des entsprechenden zweisilbigen Lauts. „schweigen“, dieses erlebbare Buchstabenbild, das alphabetische Verschweigen des Schweigens, die Sichtbarkeit des Verweises auf den fehlenden Inhalt, die bedeutungsvolle Auslassung, die Materialisierung des Abwesenden, die paradoxe Symbiose von Ab- und Anwesenheit, die visuellen Umsetzungen von Stille, Leere, Lücke, Tod:

Stille Stille Stille Stille Stille
Stille Stille         Stille Stille
Stille Stille Stille Stille Stille

Bei Gomringer (geboren 1925) werden ebenso wie bei Mon in serieller Variation die Lücken zum Memento: Sinn, Lücke, Schweigen, Stille, Tod – das dem Leser Entzogene drängt sich ihm gerade wegen seines Fehlens umso imposanter auf. Eine betörende Kongruenz von Zeichen und Form einerseits und von Bedeutung und Inhalt andererseits stellt sich ein. Sinn-Effekte im analytisch-optischen Umgang mit Buchstaben, Worten oder Sprichwörtern der Meister konkreter Poesie bilden die Basis für die Dichter konkreter Poesie der Gegenwart.

Konstantin Ames, Timo Berger, Natalia Breininger, Theo Breuer, Stefan Diezmann, Jürgen Engler, Franzobel, Ulla Hahn, Kerstin Hensel, Dirk Hülstrunk, Norbert Hummelt, Juliana Kaminskaja, Ilse Kilic, Anatol Knotek, Barbara Köhler, Norbert Lange, Maximilian Murmann, Astrid Nischkauer, Yüksel Pazarkaya, Jörg Piringer, Arne Rautenberg, Gerhard Rühm, Gerald Sammet, Wolfgang Schiffer, Hans Thill, Jan Wagner, Stefan Wieczorek u.a. Sie müssen sich an Mon, Gomringer und Rühm messen, die alle drei auch in diesen Anthologien vertreten sind. Die Alten machen es den Jungen schwer. Mons „Silbenstechen“ ist ein solch sprachlich scharfes Instrument, dass es keine Nachfolger gefunden hat: Mon beginnt in „Silbenstechen 1“ jeden Vers mit „a“ und beendet ihn mit „zion“. Die klangstarke Wortreihung arbeitet im Leser weiter. Ähnliches geschieht beim Text „BIALYSTOK“ Mons, der damit der polnischen Stadt aus dem 14. Jahrhundert ein Denkmal setzt. Mon schreibt dazu: „Mit den 9 Lettern werden 8 neue Wörter erfunden. Es ergibt sich beim Lesen eine Letternmusik.“

In den beiden Anthologien befinden sich auch zahlreiche Aufsätze zur konkreten Poesie. So erläutert beispielsweise der 1930 geborene Gerhard Rühm seine Schreibmaschinenideogramme in Abgrenzung zu Apollinaires Kalligrammen. Rühm spielt in „leib“, variiert seine Kollegen Gomringer und Mon, fügt ihnen gleichsam einen einzigen Buchstaben hinzu und korreliert so mit dem Titel:

bleib bleib bleib bleib
bleib bleib bleib bleib
bleib bleib b      bleib
bleib bleib bleib bleib

Rühm denkt über das exakte Untereinandersetzen der Buchstaben etwa in geometrischen Blöcken nach. Die jungen Konkreten führen das dann kreativ an ihren Bildschirmen fort. Auffallend ist unter den Dichtern der nachfolgenden Generationen Anatol Knotek, der 1977 in Wien geboren wurde und Informatik studierte. Ein Besuch seiner Webseite sei zur Erweiterung der Anthologien empfohlen. Knotek arbeitet auf überzeugende Art mit Graphik-Programmen. Im Gedicht „lovehate“ verschmelzen die beiden Worte zu einem Bild. In „bye“ verblasst der wiederholte Satz „TIME PASSES BY“ zusehends von Zeile zu Zeile um am Ende in einem kräftigen „BYE“ wieder aufzuscheinen. In „treffen trennen“ kreuzen sich die Worte in der Mitte, wo die Buchstabenschmelze stattfindet.

TRE   EN

Anatol Knotek, der auch die Umschlagmotive der beiden Bände geliefert hat, ist unter den jüngeren der wichtigste konkrete Poet der Gegenwart. Kunstvoll lässt er Buchstaben von Wänden fallen, wodurch am Ende von der Wortreihung „GENERATION AFTER“ nur „G       ON    E “ übrig bleibt. Das Werk heißt sinnigerweise „generation after generation“ und von „HUMAN RIGT$“ bleibt nur das Dollarzeichen an der Wand. Es gibt viele weitere Texter zu entdecken, die die Schrift neu stellen. Schöpferisch schreitet die konkrete Poesie in fremde Bedeutungsräume und klopft alle Medien nach ihrer Brauchbarkeit für visuelle Selbstdarstellung von Sprache ab.

Sehenswert ergänzend zu Franz Mon auf Youtube ein Drei-Minuten-Film anlässlich der Ausstellung „Visionäre Sammlung“ im Museum Haus Konstruktiv in Zürich von 2010:

 

 

 

die horen Bde. 271 + 272
Coverabbildungen (Wallenstein Verlag)

Das Wort beim Wort nehmen – Konkrete und andere Spielformen der Poesie 1. Zusammengestellt von Safiye Can und Jürgen Krätzer. die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik; 189 S., 80, z.T. farb. Abb., brosch., 15,5 x 23,5. Bd. 271, 63. Jahrgang 2018. ISBN: 978-3-8353-3280-5

Das Wort beim Wort nehmen – Konkrete und andere Spielformen der Poesie 2. Zusammengestellt von Safiye Can und Jürgen Krätzer. die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik; 181 S., 112 z.T. farb. Abb., brosch., 15,5 x 23,5. ISBN: 978-3-8353-3378-9

Preis jeweils 14,- Euro

 

Nicola Bardola. Foto: privat
Nicola Bardola. Foto: privat

Nicola Bardola, 1959 in Zürich geboren, veröffentlichte als Student an der Universität Bern erste Gedichte und schrieb 1984 an der Universität Zürich im Fach Germanistik seine Lizentiatsarbeit über Theorien moderner Lyrik (u. a. zu Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann, Jürgen Theobaldy). Seither lebt er in München, wo er seine Kolumne »Lyrik Revue« zunächst für das Münchner BuchMagazin betreute und für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Er veröffentlichte Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, übersetzte Eugenio Montale ins Deutsche und war Mitbegründer der Initiative Junger Autoren (IJA).

Alle bereits erschienenen Folgen von »Lyrik-Revue« finden Sie hier.

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