LYRIK-REVUE FOLGE 17: Wir teilen unsere Herzen fügen sich wieder zusammen.

Auszeichnungen, Institutionen, Konferenzen, Lesungen, Poesie im Feuilleton und Lyrik-Neuerscheinungen: Nicola Bardola kommentiert und präsentiert am 20. eines Monats Bemerkenswertes aus der Welt der Verse.

 

Günther Butkus, 1958 in Bielefeld geboren, hat nach „Gedichte“ (1981) und „Heute Nacht Morgen Du“ (1997) seinen dritten Lyrik-Band veröffentlicht, den „Herz Band – 366 Gedichte über Liebe und Verlust“. Das Buch gehört nicht nur auf die Lyrik-Bestsellerliste, sondern auch ins Guiness-Buch der Rekorde, denn es gibt wohl keinen anderen Band weltweit, ganz egal in welcher Sprache, ganz egal in welchem Land, in dem das Wort Herz öfter vorkommt als in diesem pink-glitzernden und sorgfältig gearbeiteten Ziegelstein mit silbrigem Lesebändchen.

Günther Butkus
Günther Butkus (Foto: Uta Zeißler)

Es ist rein äußerlich ein sehr feines und leichtes Geschenkbuch nicht nur für (unglücklich) Verliebte, sondern für alle, die etwas Herzwärme weiterreichen wollen. Inhaltlich ist es voller Stolperfallen, die zum Innehalten zwingen. Kaum ein Gedicht ohne einen raffinierten Zeilensprung, ohne eine originelle Mehrdeutigkeit: So heißt es in herzdiebin: mein herz war nicht / sehr wachsam als du / es mitgenommen hast / war es schon bei dir / will ich sein mein herz. Zwischen „schon“ und „bei dir“ ist ein unsichtbarer Absatz. Das mobile Herz gehörte schon vor dem Raub der Diebin, sehnte sich nach deren Herz-Nähe. Nach diesem Enjambement-Muster baut Butkus viele seiner Herz-Texte. Mit Witz greift er Redensarten – nicht nur in Herzzusammenhängen – auf und öffnet ihnen neue Bedeutungsräume.

Sechs Verse und zwei Sprünge sind eine Selbstverständlichkeit: so nah beieinander/ wohnen wir im / herzen des anderen / machten wir es uns / bequem ist das leben / nie wenn man liebt. Bei allen 366 Titeln handelt es sich um Herz-Komposita, die oft schon den witzigen Umgang mit der Sprache der Liebe ankündigen: herzschwerlast, herzhelferin, herzlärm, herzgeburt, herzsalz, herzbrot, herzminze, herzableiter, herzmuster, herzquarz. Allein das Inhaltsverzeichnis ist ein großes Herzgedicht, denn bei anderen Titeln herrscht ohne das dazugehörige Gedicht eher Ratlosigkeit: herzamstel, herzpasch. Bier in Amsterdam oder Pokerwürfel für den Triumph der Leidenschaft lösen rasch auch diese Herz-Rätsel. Erst nach über 120 Gedichten wagt Butkus die ersten Umkehrungen: ingwerherz, strandgutherz, chaiherz, sinkherz. Leserinnen und Leser werden ihre verschiedensten Lieblingsherzgedichte finden, vielleicht die

 

herzgeburt

mit einem herz
sind wir gekommen
auf diese welt
verlassen werden wir
sie mit zwei herzen

Vielleicht mit einem Hauch Wissenschaft, wie in herzkrümmung:
für uns macht
selbst die zeit
eine ausnahme.

Vielleicht mit dem gänzlich pathosfreien herzputz:
es hat vom leben
etwas staub angesetzt
wenn du eintrittst
lüfte ich es durch

Vielleicht mit dem augenzwinkernden herzhalm:

mein herz hat
einen haltegriff
wenn die reise
unruhig wird
greif fest zu.

 

© Günther Butkus

 

"Herz Band" von Günther Butkus
Coverabbildung (Pendragon Verlag)

 

 

 

 

 

 

 

Günther Butkus
Herz Band – 366 Gedichte über Liebe & Verlust
Pendragon Verlag. 392 Seiten. 22 Euro.
ISBN: 978-3-86532-647-8

 

 

 

 

Nicola Bardola. Foto: privat
Nicola Bardola. Foto: privat

Nicola Bardola, 1959 in Zürich geboren, veröffentlichte als Student an der Universität Bern erste Gedichte und schrieb 1984 an der Universität Zürich im Fach Germanistik seine Lizentiatsarbeit über Theorien moderner Lyrik (u. a. zu Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann, Jürgen Theobaldy). Seither lebt er in München, wo er seine Kolumne »Lyrik Revue« zunächst für das Münchner BuchMagazin betreute und für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Er veröffentlichte Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, übersetzte Eugenio Montale ins Deutsche und war Mitbegründer der Initiative Junger Autoren (IJA). Zuletzt erschien von ihm „Elena Ferrante – Meine geniale Autorin“ im Reclam Verlag.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Lyrik-Revue« finden Sie hier.

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