rezensiert von Hellmuth Opitz
Textzüchterei? Ich muss zugeben, dass ich mit diesem Wort etwas fremdele. Der Poet Jan-Eike Hornauer, 1979 geboren und in München lebend, bekennt sich aber dazu. Im Netz hat er eine Microsite unter diesem Titel angelegt. Für mich hört sich diese Vokabel etwas nach Gartenbaubetrieb an. Lyrische Beete und Rabatten werden angelegt, Freestyle-Wildwuchs beschnitten, Hybridzüchtungen vorangetrieben. Natürlich schwingt in dem Begriff auch Zucht und Ordnung mit, auch wenn das gar nicht in der Absicht des Erfinders liegt. Für ihn ist dieses Wort einfach der Firmenname, der seine unterschiedlichen textlichen Aktivitäten bündelt. Und dennoch ist der Name kein Zufall: Jan-Eike Hornauer ist auch ein formstrenger Zuchtmeister der Sprache, einer der auf genaue Metrik und stimmigen Reim verstärkt Wert legt. Unwillkürlich muss man – auch wenn es natürlich himmelweite Unterschiede gibt – an einen anderen Zuchtmeister deutscher Sprache denken: an Friedrich Gottlieb Klopstock, der der deutschen Dichtkunst mit formvollendeten Hexametern und Oden neue Horizonte eröffnete. Klopstock, dessen Verdienste zurzeit wieder Feuilletonthema sind, verstand sich selbst durchaus als Zuchtmeister (bei dem Namen kein Wunder!) Hornauer hingegen als Züchter, der sich aber in punkto Metrik und Reim durchaus auch als genauer Steißbeinklopfer erweist, der formale Präzision zum Stilprinzip erhebt. Und ausgerechnet dieser perfekte Stilist nennt seinen zweiten Solo-Gedichtband »Das Objekt ist beschädigt«? Diese Aussage kennt man vom Computer, wenn sich eine Datei nicht öffnen lässt – sie kann also eine echte Horrormeldung sein. Für Hornauer ist das Hochladen von Inhalten gar kein Problem, die Unterzeile erschließt einem die wahre Anspielung des Titels schon eher: »zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt« heißt es dort. Hier setzt einer angesichts fragiler globaler Unsicherheiten auf Humor und Komik als philosophischen Standortvorteil. Das von Tanja Martina Federl gestaltete Cover bringt den Titel kongenial auf den Punkt. Das Objekt sieht tatsächlich aus wie beschädigt, als habe jemand das Cover an verschiedenen Stellen eingerissen. Im signifikanten Riss auf dem Titel ist ein Gedicht erkennbar, von der Form könnte der Riss aber auch der Rüssel eines Tornados sein.
Der Band versammelt Gedichte Hornauers auf respektablen 200 Seiten, thematisch erwartet die Lesergemeinde eine wahre Tour de Force durch verschiedenste Lebensbereiche: Natürlich beginnt es offensiv mit dem Kapitel »Liebe & Frauen«, dann folgen weitere klassische Kombinationen »Menschliches & Zwischenmenschliches«, »Kunst & Dichtung«, »Philosophisches & Politisches« – einen weiten Horizont schreitet der Poet ab. Der Start ist allerdings höchst offensiv: Die erotischen Gedichte halten sich nicht lange mit Vorreden auf und steuern steil auf ihr libidinöses Ziel zu: »›Ficken‹?/ Nicken« heißt es lapidar in dem lyrischen Anmacher »Kurze Anbahnungsphase«. Dann ist ja alles klar. Im Startgedicht »Duschbad« phantasiert sich das lyrische Ich in den flüssigen Aggregatzustand eines Duschgels hinein, um so auch den intimsten Stellen der Angebeteten nahe sein zu können.
Ich wollt’ so gern Dein Duschbad sein!
Ich käme überall hinein,
ja auch in Deine kleinsten Poren,
da drängte ich ganz unverfroren.
Dunkel erinnern wir uns an Prince Charles’ telefonische Tamponaden-Eskapaden gegenüber Camilla und auch irgendwoanders gehörte fromme Wünsche, in den Sattel eines Damenfahrrads verwandelt zu werden, tauchen im Windschatten der Erinnerung auf. Doch die im Duschbad aufschäumende Phantasie landet unverhofft kreiselnd im Abfluss.
Das Doofe aber wär’ daran:
Schon kurz darauf, am Ende dann,
da spültest du mich einfach munter
und unbeschwert den Abfluss runter …
Aber nicht immer wird das lyrische Ich bei Hornauer rüde aus der Phantasie geworfen, im Gegenteil: Viril und manchmal durchaus mit Macho-Tonalität behauptet es seinen Platz in den Laken nahe der Geliebten. Manchmal auch einfach nur als speichelnder Augenzeuge:
»Schiebe nur die Hand ins Höschen, / Streichle wach dich, oh Dornröschen!« heißt es in dem Poem »Märchenstück für eine Person«, eine flott gereimte Masturbationsphantasie, die an Explizität nichts zu wünschen übrig lässt. Ebenso das »Sonett für L.«, das weniger ein Gedicht an die gepriesene Person als vielmehr eine Ode an ihren Arsch ist: »Kein Vergleich, der da besteht / Wollust, göttlich unverstellt, / und Dein Arsch ist mein Gebet.« Diese Poeme kennen keine falsche Scham, nur schonungslose Direktheit. Bei manchen Gedichten wie »Ewiges Missverständnis« allerdings erhebt eine gewisse männliche Hybris ihr Haupt und man wünschte sich etwas weniger explizite Porentiefe. Gerade in Sachen Erotik ist die Kunst des »uneigentlichen Sprechens« die hohe Schule.
Insgesamt zeichnet eine gewisse Unbekümmertheit die Gedichte von Jan-Eike Hornauer aus. Wo viele andere Lyriker geradezu krampfhaft die Rubrik »heiter-besinnlich« vermeiden, bekennt sich Hornauers Lyrik launig dazu. Das führt zu sentenzhaften Lebensweisheiten, die in ihrer Allgemeinplatzhaftigkeit und dem humorvollen Aufschluss durchaus an Eugen Roth erinnern:
Zum Denken ist der Kopf geschaffen.
Man sagt es so und glaubt auch dran.
Benutzt ihn mehr nur als die Affen
und bessre Zeiten fangen an.
Der klare appellative Charakter des Gedichts wird nicht geleugnet, die Eignung des Gedichts für Gästebücher ist beabsichtigt, schließlich finden sich im Band noch eine ganze Anzahl weiterer anlassbezogener Poeme: »Zum Geburtstag«, »Zum Polterabend«, »Zur Hochzeit«, »Zur Scheidung« – Hornauer schreibt dazu Verse, die man sich hinter den Spiegel klemmen kann, robuste lyrische Rezepte für den Alltag und das Leben im Allgemeinen. Auch poetische Hausgötter und Inspirationen zu benennen, fällt dem 37-jährigen Poeten nicht schwer. Zahlreiche Gedichte adaptieren gekonnt den Stil ihrer Vorbilder wie etwa die August-Stramm-Gedichte und das Poem »Kurt Schwitters alleine am Meer«, das sich natürlich an »Anna Blume« anlehnt. Was mir formal auffällt, ist, dass der Reim manchmal nicht der kürzeste Weg zum Ziel ist, sondern aufgrund der formalen Vorgaben des Gleichklangs rhetorische Umwege gehen muss. Eine einleuchtende Metapher, ein treffendes Bild kann da manchmal direkter und überraschender operieren. Hornauer indes nur in die Ecke des launigen Poesiekomikers und Anlassdichters zu stecken, wäre ungerecht. Es finden sich auch ernste Gedichte, gerade im politisch-philosophischen Kapitel, wo Hornauer seine Meinungen zu Europa, Bayern und der aktuellen Lage klar und unverblümt artikuliert. Aber mittendrin findet sich dann wieder ein Gedicht wie »Systemkritische Notiz«, wo sich unter diesem Tarn-Titel erneut ein paar Machismo-Gemeinheiten finden:
Habe heute
meine Freundin
aus
dem Bett
geworfen.
Mandelentzündung:
Sie kann nicht
schlucken.
Grausame
Leistungsgesellschaft.
Grausamer Poet und Freund, kann man da hinzufügen. Charmant geht anders. Aber auch wenn man bei manchen Gedichten sogar als Leser schlucken muss, die Lektüre reizt in jeder Hinsicht. Über 200 Seiten erstreckt sich hier ein poetischer Parforceritt zwischen formstrengen Zuchtrabatten und lyrischen Lockerungsübungen. Hornauer gibt seinem Gaul die Sporen. Langweilig wird dem Leser nicht.
Jan-Eike Hornauer
Das Objekt ist beschädigt
Zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt
Muc Verlag, München 2016
Softcover, 220 S.
€ 17,95 (D)
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Videos
Lesung von Jan-Eike Hornauer zur Premiere von »Das Objekt ist beschädigt – zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt«
Teil 1
Teil 2
Hellmuth Opitz wurde 1959 in Bielefeld geboren, wo er auch heute lebt. Er gilt inzwischen als einer der besten deutschen Liebeslyriker. Nach seinen Anfängen als Rock- und Folkmusiker interviewte er für überregionale Musik-Magazine wie »Musikexpress« oder »Rolling Stone« u. a. Aerosmith, Bad Religion und Wim Wenders. Zusammen mit Matthias Politycki und Steffen Jacobs tourte er mit dem Poesieprogramm »Frauen. Naja. Schwierig«, das auch auf CD vorliegt, durch Deutschland. Bislang erschienen von ihm neun Gedichtbände, zuletzt »Die Dunkelheit knistert wie Kandis« (2011) sowie »Aufgegebene Plätze. Verlorene Posten« (Künstlerbuch, 2013).