Humor in der Lyrik – Folge 67: Lǐ Bái (701-762), »Unsterblicher der Dichtkunst und des Weins«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Seine schönsten meist humorvollen Gedichte verfasste er im Zustand der Volltrunkenheit. Schon sein Name ist pure Poesie

Lǐ Bái
Tài-Bái
Tài-Bó
Lǐ-Tài-Bó

Lǐ Bái gilt als sein richtiger Name. Tài-Bái oder Tài-Bó war sein Beiname.

Lǐ Bái mit einem Becher Wein.
李白 Lǐ Bái mit einem Becher Wein. © Zeichnung von Alfons Schweiggert, München

Tài-Bái bedeutet Morgen- oder Abendstern. Davon habe seine Mutter vor der Geburt geträumt und ihren Sohn deshalb Tài-Bái genannt. Er war der Sohn eines reichen Kaufmanns. Sein Geburtsort ist unbekannt, nicht aber sein eigenartiges Leben. Schon als Kind liebte er die Poesie. Ab seinem 25. Lebensjahr reiste er jahrelang durch China und gelangte 742 in die Tang-Hauptstadt Chang. Dort begegnete er dem kaiserlichen Sekretariatschef, der wie er ein Säufer war. Auf dessen Empfehlung sollte er zum Beamten der renommierten Hanlin-Akademie ernannt werden.

Als man ihm das Ernennungsschreiben überbrachte, wurde Lǐ-Bai volltrunken in einer Schänke angetroffen. Nachdem ihn ein kalter Wasserguss nüchtern gemacht hatte, verfasste er auf Befehl des Kaisers Xuánzong aus dem Stegreif ein herrliches Gedicht auf die kaiserliche Konkubine, das alle, die es hörten, begeisterte. Fortan schuf Lǐ spontan hingeworfene Gedichte, meist im Zustand der Volltrunkenheit, denn der Wein war für ihn nicht nur ein Freudenspender, sondern der Inspirator zu meist heiteren Gedichten. Sein Motto war:

Zwei Dinge, die sich gut vertragen.
Wein trinken und die Laute schlagen.

»Aus einem einzigen Becher Wein«, äußerte sein Dichter-Kollege Du Fu, »schäumen ihm hundert Gedichte zu.« Schon eine »Kugel Pusteblume am Wegesrand« erinnert ihn an seine weißen Schläfen und regt ihn zu den Versen an:

Sieh einer an, dieselben weißen Schläfen! –
Du unscheinbares Gewächs,
lachst du etwa über mich?
Doch schon hat der Wind
Melancholie und Spott zerstoben.

Zwei Jahre, nachdem Lǐ die kaiserliche Beamtenprüfung abgelegt hatte, schafften es ein paar Intriganten, indem sie ihn verleumdeten, dass er aus der Akademie entlassen wurde, worauf er sein unstetes Wanderleben wieder aufnahm und sich der Dichtkunst und der Trunksucht widmete – und das so erfolgreich, dass er nicht nur einer der bedeutendsten Lyriker Chinas der Tang-Zeit wurde, den man »Unsterblicher der Dichtkunst« nannte, sondern auch ein weithin bekannter Säufer, den man deshalb auch »Unsterblicher des Weins« titulierte. Man liebte seine heiteren, aber auch melancholisch gefühlsbetonten Gedichte, die er meist ohne eine Korrektur vorzunehmen aufs Papier hinwarf. In ihnen befasste er sich mit der Natur und den Frauen, aber auch ein einfacher »Pavillon aus Porzellan«, regte ihn zu folgenden Versen an:

Mitten in dem kleinen Teiche
Steht ein Pavillon aus grünem
Und aus weißem Porzellan.

Wie der Rücken eines Tigers
Wölbt die Brücke sich aus Jade
Zu dem Pavillon hinüber.

In dem Häuschen sitzen Freunde,
Schön gekleidet, trinken, plaudern, –
Manche schreiben Verse nieder.

Ihre seidnen Ärmel gleiten
Rückwärts, ihre seidnen Mützen
Hocken lustig tief im Nacken.

Auf des kleinen Teiches stiller
Oberfläche zeigt sich alles
Wunderlich im Spiegelbilde:

Wie ein Halbmond scheint der Brücke
Umgekehrter Bogen. Freunde,
Schön gekleidet, trinken, plaudern,

Alle auf dem Kopfe stehend,
In dem Pavillon aus grünen
Und aus weißem Porzellan.

Aus dem Chinesischen von Hans Bethge (1876-1946)

Auch einen Dichterkreis mit acht trinkfreudigen Gesinnungsgenossen gründete Lǐ Bái, die später alle zu »Schutzheiligen der Weinhändler und Schankwirte« ernannt wurden. Im Jahr 755 war Lǐ Bái angeblich an einem Aufstand beteiligt, der scheiterte. Dennoch wurde er 757 nach Yelang verbannt, durfte aber zwei Jahre später aus der Verbannung zurückkehren.
Besonders liebte Lǐ den Mond, den er in 500 seiner mehr als 1000 Gedichte besungen hat. In einem seiner schönsten Gedichte schildert er mit Witz das gemeinsame Trinken mit dem Mond und seinem eigenen Schatten.

 

Besoffen unterm Mond

Eingehüllt in Blumen mit ’ner Kanne voll Wein
hock ich da ohne Freunde, lad den Mond zu mir ein.
Der kommt nicht allein, bringt meinen Schatten mit,
Ich heb meinen Becher, jetzt sind wir zu dritt.

Versteht auch der Mond vom Trinken nicht viel,
Ich vergnüge mich köstlich am Schattenspiel,
lass mich umschmeicheln vom Frühlingswind
und freu mich, dass bei mir zwei Freunde sind.

Ich singe, der Mond schwankt immer mehr,
ich tanze, mein Schatten tanzt um mich her,
ich vertreibe mit Wein rasch die Nüchternheit,
der Rausch steigt hoch, macht sich in mir breit.

Hoch am Himmel seh‘ ich die Sterne blinken,
ach, wie wohl ist mir doch beim Trinken … Trinken …

Ins Deutsche übertragen von Alfons Schweiggert

 

Nicht nur Lǐ Báis Leben war poesievoll, auch sein Tod 762 in Fangtu in der Provinz Anhui. Angeblich gondelte Lǐ Bái volltrunken vom Wein und versunken in Gedanken in einem Boot auf dem Fluss Yangtze. Plötzlich erblickte er das Spiegelbild des Mondes im Wasser. Er erschrak, weil er irrtümlich glaubte, der Mond, den er doch so sehr liebte, in den Fluss gefallen sei. Beim Versuch, ihn vor dem Ertrinken zu retten, ging Lǐ Bái über Bord und ertrank.

Während er in China schon längst ein Klassiker war, wurde ihm in Europa erst Ende des 19. Jahrhunderts größere Aufmerksamkeit zuteil. Seit 1989 veranstaltet man in Maanshan jährlich das Lǐ Bái-Dichter-Festival.

Wie schwierig es ist, ein Gedicht Lǐ Báis ins Deutsche zu übertragen, lässt sich an seinem Vierzeiler »yesi« zu Deutsch etwa »Nachtgedanken« demonstrieren.

Lis Gedicht
„床前明月光
疑是地上霜
舉頭望明月
低頭思故“
Lesefassung
chuáng qián míng yuè guāng
yǐ shì dì shàng shuāng
jǔ toú wàng míng yuè
dī toú sī gù xiāng“
Rohübersetzung
Bett – vor – hell – Mond – Strahl
zweifeln – ist – Erde – auf – Frost
heben – Kopf – blicken – hell – Mond
senken – Kopf – denken – alt – Heimat.
Erste freie Übertragung
Vor dem Bett heller Mondstrahl
So als wäre auf dem Boden Reif
Ich hebe den Kopf und sehe den hellen Mond
Ich senke den Kopf und denke an die Heimat.
Übertragung von Alfons Schweiggert
Vor meinem Bett den Boden küsst ein Mondstrahl,
blitzt auf wie Reif und blendet mich.
Ich blicke hoch zum Mond und dann in mich hinein,
denk an die Heimat und fühl mich allein.

Übrigens, auch Franz Kafka war, »von der Lakonie und dem Imagismus chinesischer Lyrik fasziniert«. Zu seinen Lieblingsdichtern zählte auch Lǐ-Tài-Bó. Einmal holte Kafka mitten in der Nacht aus dem Bücherschrank ein Buch mit chinesischer Lyrik und schrieb für seine Freundin Felice von Jan-Tsen-Tsai (1716-1797), einem Kollegen Lǐ-Tài-Bós, das folgende Gedicht ab:

 

In tiefer Nacht

In der kalten Nacht habe ich über meinem Buch
die Stunde des Zubettgehens vergessen.
Die Parfüms meiner goldgestickten Bettdecke
sind schon verflogen, der Kamin brennt nicht mehr.
Meine schöne Freundin, die mit Mühe bis dahin
ihren Zorn beherrschte, reißt mir die Lampe weg.
Und fragt mich: Weißt du, wie spät es ist?

 

»Das ist ein Gedicht«, so schwärmte Kafka, »das man auskosten muss.« Max Brod bemerkte dazu: »Die Schlusszeilen pflegte Kafka dramatisch, humoristisch, mit einem eigentümlich gurrenden Lachen vorzulesen.«
Kafka zitierte das Gedicht aus: Hans P. Heilmann (1859-1930): Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gegenwart. In deutscher Übersetzung, mit Einleitung und Anmerkungen ( Die Fruchtschale. Band 1). Piper, 1905.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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