Sinnliche Lyrik, Folge 5: Beziehungsgedichte übers Leuchten im Dunkeln von Franziska Beyer-Lallauret

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Franziska Beyer-Lallauret

Jubiläum

Manche leuchten sich lange an
Über den feuchten Latten des Ausschanks
Über den Narben im Boden
Wo kaum Gras wächst tanzen sie
Leuchten zu lange und meinen sich nicht
Trinken sich unter die Tische
Bleiben zwischen Metallbeinen klemmen
Sehen sich sitzen und fragen was
Machen wir jetzt mit den Vollmündern
Ihre Köpfe kommen sich nah
Trotz der am Gaumen wie Sauerampfer
Festgekleisterten Zungenflügel
Dann wachen sie auf und husten sich was
Hören von ferne die Fideln
Der Heupferde Süßholz raspeln
Ziehen die Kniescheiben aus
Fremden Griffen löschen Fingerabdrücke
In fünfzig Jahren oder schon
Morgen sieht man sich bei den Lämmchen
Wohnen zeitweise Weißwölfe

Fête des voisins

Leur éclat se répond longuement
Au-dessus des lattes du bar
Sur les cicatrices du sol où l’herbe
Ne pousse guère ils dansent
Ensemble mais luisent trop longtemps
Ils ne se sont pas choisis
Ils boivent jusqu’à tomber à terre
Coincés entre les jambes
Des tables il se demandent que faire
De leur bouches pleines les têtes
S’approchent l’une de l’autre
Malgré les langues desséchées
Comme de l’oseille collées aux palais
Ils se réveillent sous la toux
Et entendent de loin la vielle
Des sauterelles conter fleurette
La rotule se dérobe à l’emprise
Les empreintes des mains s’effacent
Dans cinquante ans ou demain
On se reverra auprès des agnelets
Les loups blancs
S’installent pour un laps’
Us et coutumes temporaires

Aus: »Falterfragmente / Poussière de papillon«, Dr. Ziethen 2022


Überm Linoleum

Dein Ernst ist eine Regenwand
Du weißt nicht wohin
Mit den Beinen
Zwischen den Stühlen
Das Meer
Dein Gerechtigkeitssinn
Sieht mich nicht
Sitzen auf Kohlen
Für Schnee
Mannaugen
Mit Nebensonnen


Koeffizient

Wenn du wüsstest wie hoch
Die Wellen von innen
An meine Rippenbögen schlagen
Bis sie gebrochen werden
Unter der Epidermis
Mit Gradmesser in der Brust
Sehe ich dermaßen harmlos aus
Doch bin ich eine Boje
An deiner langen Leitung
An deiner salzbesetzten Kette
Treibe ich auf und ab
Stürze in jede Begegnung
Mit ordentlich Luft zwischen uns
Wie das Wasser
Mir im Kopf herumschwimmt
Wie es sich verirrt
Wenn du wieder aufgehst
An einem der vielen Horizonte
Als Zwillingsstern
Bild das den Kaprand umrundet
Langsam verblassen wird
In den Mondhöfen

Beide aus dem unveröffentlichten Manuskript »Eigentlich bist du auf Meer geeicht« (Arbeitstitel)

© für alle Gedichte: Franziska Beyer-Lallauret, Avrillé (Frankreich)


Zur Autorin:
Franziska Beyer-Lallauret, 1977 in Mittweida geboren, im sächsischen Muldental aufgewachsen, studierte in Leipzig und Rennes Germanistik und Französisch. Sie lebt mit ihrer Familie in Avrillé bei Angers (Pays de la Loire, Frankreich), arbeitet als Lehrerin für deutsche Literatur und Sprache und schreibt auf Französisch und Deutsch.

Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Ulrich-Grasnick-Lyrikpreis 2021, der Shortlist-Nominierung beim Bonner Literaturpreis 2021 und der Finalteinahme beim Lyrikpreis Meran 2022. Beyer-Lallauret ist Mitglied im Friedrich-Bödecker-Kreis Sachsen-Anhalt, in der Lyrikgesellschaft Leipzig und seit 2023 im PEN Deutschland.

Zwei eigenständige Gedichtbände: »Warteschleifen auf Holz« (2015) und – zweisprachig frz.-deutsch – »Falterfragmente / Poussière de papillon« (2022, beide Dr.-Ziethen-Verlag). Dazu Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften (u. a. Wortschau, Ort der Augen, Ostragehege, Das Gedicht).

www.franziska-beyerlallauret.eu


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist kürzlich bei Otto Müller erschienen. Momentan Arbeit an der Kurzprosasammlung »Worte wie Mandelblüte« sowie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.sophialunraschnack.com



Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.



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