Wo auch immer der „Weltreisende in Sachen Poesie” sich gerade wieder herumtreiben mag: wenn Michael Augustin ein Buchantiquariat erspäht, dann kommt er daran nicht vorbei, ohne wenigstens in haikuhafter Kürze (aber viel lieber in balladenhafter Länge) die dort erhofften mit Lyrik gefüllten Regalmeter auf Überraschendes und Wohlfeiles zu inspizieren. Vom Glück des Findens handelt seine Kolumne, in der er seine liebsten lyrischen Trouvaillen aus Läden und Bücherschuppen, von Flohmarkttischen und Straßenrändern in loser Folge am 3. eines Monats vorstellt.
Über Klaus Groths Quickborn
(Quickborn von Klaus Groth, Siebzehnte Auflage, Kiel 1892, Verlag von Lipsius & Tischer)
Sein Freund und Zeitgenosse Johannes Brahms hat Gedichte von ihm vertont, auch Hannes Wader hat es getan in den 1970er Jahren, wovon bei mir zu Hause eine hoffnungslos zerkratze Langspielplatte zeugt. Sogar Friedrich Nietzsche fühlte sich durch die Verse des 1819 in Heide/Dithmarschen geborenen Dichters Klaus Groth zum Komponieren veranlasst, auch wenn er dabei auf eine hochdeutsche Übersetzung zurückgegriffen hat, denn, ob er des Plattdeutschen mächtig gewesen ist, lasse ich mal dahingestellt. Auch Brahms, der nachweislich mit dem niederdeutschen Idiom hochemotional vertraut war, hat es, mit einer Ausnahme, vorgezogen, die hochdeutschen Fassungen zu vertonen.
Aber gerade um das Plattdeutsche soll es diesmal gehen in meiner Kolumne, um eines der erfolgreichsten und ruhmreichsten Bücher der niederdeutschen Literaturrenaissance Mitte des 19. Jahrhunderts, als nicht nur Klaus Groth, sondern auch sein Kollege, der Mecklenburger Fritz Reuter, unter Beweis stellte, wieviel Power noch drinsteckte in der „abgesunkenen“, ehemals europaweit gesprochenen und geschriebenen lingua franca der Hanse.
Meine bibliophile 1892er-Ausgabe der Gedichtsammlung mit dem jungbrunnigen Titel Quickborn – Volksleben in plattdeutschen Gedichten in ditmarsischer Mundart habe ich als Student in einem Kieler Antiquariat erstanden und mich gefreut, damit eines der zigtausend zu Lebzeiten des Autors zirkulierenden und in vielen Editionen gedruckten Exemplare mein Eigen zu nennen. Die siebzehnte Auflage seit dem Erscheinen des Erfolgsbuches und Longsellers 1852, versehen mit einem 3 1/2seitigen Vorwort, das Groth zur vierten Auflage Anno 1855 geschrieben hat und aus dem Literatur- und Kulturwissenschaftler immer wieder gern zitieren, weil der Autor hier seine Motive zum Plattdeutschschreiben und seine Einschätzung zur damaligen Sprachsituation in den norddeutschen Landen dargelegt hat. Als jemand, der seine Kindheit und einen Teil seiner Jugend in Lübeck zugebracht hat, der ruhmreichen ehemaligen Hauptstadt der Hanse, ist mir, wie Thomas Mann es bei seinem allerersten Nachkriegsbesuch in Norddeutschland so schön sagte, das waterkantische Sprachtimbre der Menschen zwischen Nord- und Ostsee ebenfalls urvertraut, wobei es vor allem mein Lübecker Opa, der Schneider Fiete Blieffert war, Jahrgang 1900, aus dessen Mund ich das Plattdeutsche in seiner gesprochenen Form immer wieder zu hören bekam, wenn ich mit ihm zum Beispiel auf Tour im Hafen oder der Innenstadt war und er alle paar Meter einem seiner alten Mackers begegnete und zu einem kurzen Klönschnack stehen blieb.
Plattdeutsch bzw. Niederdeutsch als Literatursprache hat, ehrlich gesagt, bis zu meiner Studentenzeit eine eher geringe Rolle gespielt. Zwar habe ich gelegentlich dem Niederdeutschen Hörspiel von Radio Bremen und dem NDR gelauscht und zu meiner Einschulung in Lübeck als veritabler Dichtersmann eine Geschichte auf Platt gelesen, in der ein Eichhörnchen vorkam, een Katteker. Aber so richtig interessant und spannend fand ich den literarischen Aspekt erst in den 1970er-Jahren, als ich mich für irische und schottische Literatur, Folk Studies, Musik und Balladen zu interessieren begann und zu meinem Erstaunen entdeckte, dass der Dichter Klaus Groth, der 1899 knapp 100 Meter von meiner ehemaligen Schule in Kiel entfernt sein Ehrengrab auf dem Südfriedhof bewohnt, zahlreiche seiner Quickborn-Gedichte mit dem kleingedruckten Zusatz nach Burns versehen hat. Dass er also nicht unerheblich vom Volkston der Gedichte des schottischen Nationaldichters Robert Burns (1759 – 1796) beeinflusst worden ist. Burns‘ weltberühmtes Langgedicht Tam o’Shanter hat er in seinem Hans Schander kurzerhand aus Schottlands Mooren in die norddeutschen umgeleitet und aus Rabbie Burns‘ ungemein populärem Liebeslied My Love is like a red, red Rose wurde bei Groth Min Anna is en Ros‘ so roth. Die beiden meistrezitierten Gedichte der Sammlung dürften allerdings zum einen jenes vom gelackmeierten Matten Has‘ und zum anderen die herzige Hymne an die niederdeutsche Sprache sein: Min Modersprak. Von letzterer seien hier kurz die ersten zwei Strophen wiedergegeben:
Min Modersprak, wa klingst du schön
Wa büst du mi vertrut!
Weer ok min Hart as Stahl un Steen,
Du drevst den Stolt herut.
Du bögst min stiwe Nack so licht
As Moder mit ern Arm,
Du fichelst mi umt Angesicht
Un still is alle Larm.
Da diese, meine Fundsachen-Kolumne bekanntlich auf einer von einem befreundeten bajuwarischen Mundartautor veranstalteten Internet-Platt(!)form erscheint, sei es mir vergönnt, hier händereibend doch noch ein oder zwei fabelhafte Wahrheiten über die niederdeutsche Sprache manifest zu machen, indem ich einen Vorgänger Klaus Groths zitiere, den Autor und Philologen Johann Christoph Adelung, der es schon Anno 1782 in seiner Leipziger Schrift Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen auf den Punkt brachte:
Das Plattdeutsche ist unter allen deutschen Mundarten in der Wahl und Aussprache der Töne die wohlklingendste, gefälligste und angenehmste, eine Feindin aller hauchenden und zischenden und der meisten blasenden Laute und des unnützen Aufwandes eines vollen, mit vielen hochtönenden Lauten wenig sagenden Mundes, aber dagegen reich an einer kernhaften Kürze, an treffenden Ausdrücken und naiven Bildern. (…) Der Niedersachse (lernt) wegen seines feinen Gehörs und wegen der Feinheit und Biegsamkeit seiner Sprachwerkzeuge jede fremde Sprache weit eher vollkommen sprechen, als sein schwerfälliger südlicher Bruder.
Weets Bescheed? Kiek, nu büst Du platt!
© Michael Augustin, 2022
Der gebürtige Lübecker Michael Augustin hat in Dublin, in Kiel, auf Vancouver Island und in Carlisle, Pennsylvania, gelebt. Bei Radio Bremen hat er als Kulturredakteur ungezählte Literatursendungen über den Äther geschickt und war Leiter des internationalen Literaturfestivals „Poetry on the Road”.
Seit 2019 widmet er sich vorrangig seiner eigenen literarischen und künstlerischen Arbeit.