Gedichte für Kinder – Folge 1: Fünf unveröffentlichte Kindergedichte von Peter Maiwald

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Die Grippen

Die Grippen schleichen sich heran.
Die Grippen sagen niemals: wann.

Die Grippen sehen häßlich aus.
Die Grippen sind in Stadt und Haus.

Die Grippen sagen: Hab ich dich.
Die Grippen sind mitleidig nich.

Die Grippen sagen: Medizin
die halt ich aus, die nehm ich hin.

Die Grippen machen Gliederschmerz.
Die Grippen haben nicht ein Herz.

Die Grippen machen: Nase läuft.
Die Grippen wolln: daß Tee man säuft.

Die Grippen machen müd und matt.
Wohl dem, der keine davon hat.

Die Grippen kommen und sie gehn.
Die Grippen, nein, sie sind nicht schön.
 
 

Was man hört
(wenn man sich die Ohren zuhält)

Sabbel, sabbel, sabbel.
(Man hört nur ein Gebrabbel.)

Sebbel, sebbel, sebbel.
(Man hört nur ein Gebrebbel.)

Sibbel, sibbel, sibbel.
(Man hört nur ein Gebribbel.)

Sobbel, sobbel, sobbel.
(Man hört nur ein Gebrobbel.)

Subbel, subbel, subbel.
(Man hört nur ein Gebrubbel.)
 
 

Der Indianer

Der Indianer jagt das Tier.
Das Tier ist da und doch nicht hier.

Das Tier hat sich weißwo versteckt
wobei es seine Zähne bleckt.

Der Indianer weiß genau:
Das Tier ist wild, das Tier ist grau.

Das Tier duckt sich im Hinterhalt
wobei es seine Krallen krallt.

Der Indianer schleicht sich an.
Das Tier faucht wie ein Tier das kann.

Der Indianer schreit vor Schreck.
Das Tier springt auf. Dann ist es weg.

Am Ende ist wohl, strenggenommen
Die Katze wieder Paul entkommen.
 
 

Unglaubliche Geschichte

Es war ein Tag, es war April
als (batsch!) die Sonn‘ vom Himmel fiel.

Pit nahm die Sonne in die Hand
und dachte: Das gibt Sonnenbrand.

Den gab es aber (prima!) nicht.
Trag mich herum, die Sonne spricht

und lag in Pitters Hand ganz kühl.
Pit trug sie sanft, daß sie nicht fiel

und alle Leute, die das sahn
die starrten Pit, die Sonne, an.

Wenn das nur gut geht, sagten sie.
Geh aufrecht Pit und streck die Knie!

Nun ist es gut, die Sonne sprach
und sie ging unter kurz danach.

Seitdem erzählt man die Geschicht.
Die einen glaubens, andre nicht.
 
 

Ballade

Sieben, sieben Siamkatzen
leckten ihre Siamtatzen.

Da kam leise, eins, zwei, drei
Misch, die Milchkatze vorbei.

O nein! Wie sieht die denn aus!
Grau und weiß! Fast wie ne Maus!

Lachten sieben Siamkatzen
leckten ihre Siamtatzen.

Da hat Misch im Dreck gescharrt.
Matsch und Modder trafen hart

sieben, sieben Siamkatzen
und die saubern Siamtatzen.

O nein! Wie seht ihr denn aus!
Grau und weiß! Fast wie ne Maus!
 

© Erbengemeinschaft Peter Maiwald, Erkrath
 
 

Peter Maiwald starb 2008 im Alter von 62 Jahren. »Der Misere unserer Zeit hielt er unbeirrt sein Gedicht entgegen, dem drohenden Zerfall die Form und die Schönheit. Darin liegt die tiefste Aktualität der Verse …«, schrieb Marcel Reich-Ranicki zum Tod des Dichters in der FAZ. Maiwald veröffentlichte Prosa- und Gedichtbände, schrieb Hörspiele, Drehbücher, Reportagen und Texte fürs Kabarett. Neben seinen Erwachsenengedichten, die ihn bekannt machten, veröffentlichte er auch zwei Lyrikbände für Kinder, die noch immer Maßstäbe setzen: »Die Leute von der Annostraße« (1979) und »Die Mammutmaus sieht wie ein Mammut aus« (2006). Beide Bücher sind leider nur noch antiquarisch zu haben.
 

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982) und »Der Alltag des Fortschritts« (1996). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erscheint seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her.«

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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